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Tobi Dahmen
"Autobiographische Comics sind meine literarische Form"

Tobi Dahmen wurde 1971 in Frankfurt am Main geboren und wuchs in der Kleinstadt Wesel am Niederrhein nahe der holländischen Grenze auf. Schon in jungen Jahren fiel es ihm schwer, sich auf die Hausaufgaben zu konzentrieren, wenn Comics in Sichtweite waren. Möglicherweise, so Tobi Dahmen mit einem Augenzwinkern, fing er mit dem Zeichnen an, um bei den Mädchen Aufmerksamkeit hervorzurufen.

Nach verschiedenen Jobs in der Werbebranche absolvierte er ein Studium der Visuellen Kommunikation in Düsseldorf, welches er 1997 mit dem Examen abschloss.

Seitdem arbeitet er sowohl als Comic-Autor als auch als Illustrator in der Werbung. 1999 gründet er mit befreundeten Zeichnern bzw. Zeichnerinnen die Künstlergemeinschaft “Herrensahne”, das 2005 einen ICOM-Preis für das beste Fanzine erhält. 2008 bekommt Tobi dann für seinen eigenen Band „Sperrbezirk“ den ICOM-Preis für den besten realistischen Kurzcomic. Im nachfolgenden Interview mit Michael Hüster blickt Tobi Dahmen u. a. auf seine bisherigen künstlerischen Stationen zurück und gibt einen Ausblick auf sein aktuell in Arbeit befindliches autobiografisches Projekt „Fahrradmod“, einem Sixties-Subkultur-Epos.

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ZACK: Die obligatorische Frage zuerst: Wie bist du zum Comic-Zeichnen gekommen? Hast du eine grafische Ausbildung gemacht?

Tobi Dahmen: Übers Comics lesen. Ich habe wohl schon immer gern und viel gezeichnet. Mit einem gewissen Mitteilungsbedürfnis ab der Gymnasialzeit wurden dann Bilderstrecken draus. Gemündet ist es letztendlich in einem Studium der Visuellen Kommunikation inDüsseldorf, wo ich aber eigentlich fehl am Platze war. Es gab zwar hochgradige Dozenten wie beispielsweise Wolf Erlbruch, generell wurde die Illustration dort aber eher stiefmütterlich behandelt.

ZACK: Wann hast du den autobiografischen Comic für dich entdeckt? Gab es künstlerische (US-) Vorbilder?


Tobi Dahmen: Um ehrlich zu sein, habe ich schon immer autobiographische Comics gezeichnet. Selbst in der Schule schon. Die gingen auch erstmal von unserem kleinen Schulalltag aus und drehten im Laufe der Geschichte immer mehr ab.
Dass da ein gewisser Stil zu erkennen ist, beginnt - denke ich - seit der zweiten Ausgabe unserer Herrensahne-Publikationen mit dem Namen ‘Tragische Kindheit’. Ein konkretes Vorbild hatte ich damals (1999) aber denke ich noch nicht, ich komme eher aus der franko-belgischen Richtung, kannte aber Crumb schon, und ‘Fuck’ von Chester Brown hatte ich wohl auch schon im Regal.

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ZACK: Könntest du dir auch vorstellen, einen Abenteuer-Comic zu machen?

Tobi Dahmen: Mach ich doch gerade. Welche Autobiographie ist denn kein Abenteuer?! Nein, im Ernst, dass kommt darauf an. Eine klassische Abenteuergeschichte zu erzählen liegt mir wohl nicht. Wenn die Story von jemand anderem wäre vielleicht. Aber wer weiß, was die Zeit noch bringt. Eins nach dem anderen.

ZACK: Alles begann mit Herrensahne, einem Kreativteam aus Düsseldorf/Köln. Wie entstand Herrensahne? Wer gehört(e) alles dazu? Welche Projekte habt ihr umgesetzt (z. B. Comics/Ausstellungen)? Wird es weitere Aktionen des Teams geben?

Tobi Dahmen: Herrensahne entstand aus befreundeten Studenten, die den Austausch nach dem Studium vermissten, und sich so einmal pro Woche in einer Kneipe trafen, um gemeinsam zu zeichnen und ihre Arbeiten zu vergleichen. Irgendwann war man gemeinsam der Ansicht, dass man davon doch etwas nach außen tragen müsste, so was wie ein Heftchen. In den ersten Heften gab es Comics, Texte und Illustrationen, am Ende nur noch Comics und ab und zu einen Text. Die Gruppe war ständig im Wechsel begriffen, ich probiere mal, ob ich noch alle Mitglieder auf die Reihe kriege: Stephan Lomp, Max Fiedler, Steffie Pohl, Marc Ewert, Till Laßmann, John. M. John, Leo Leowald, Olav Korth, Julia Wenz, Gesine Grotrian, Kai Christmann, Christian Lessing, Michael Blomeier, Tanja Weidenbusch, Wil Borgmann, Anke Jühe, Jörn Rings, Nico Montano, Klausi, Rainer Kaldasch, Roman Klonek, Jörg Beckers. Im Kern waren es aber meist nicht mehr als zehn bis fünfzehn Leute.

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Insgesamt sind bisher 11 Hefte erschienen von 1999 bis heute. Das erste war noch ein wilder Mix, dann kamen konkrete Themen, an die man sich halten musste. Später kam noch das Konzept hinzu, alle Geschichten miteinander zu vernetzen, um sich vom klassischen Konzept einer Anthologie abzusetzen.

Wir haben auch zahlreiche Ausstellungen gemacht, meist verbunden mit wilden Partys, um mit dem Bierverkauf die Hefte zu finanzieren. Die Konzepte der Ausstellungen rangierten von schlichten Retrospektiven mit Comicseiten an den Wänden bis hin zu dreidimensionalen Panel-Aufbauten oder riesigen Würfeln aus zusammenmontierten CD-Hüllen, über die sich im Kreuzworträtselstil Geschichten ziehen. Das spektakulärste war wohl die komplette Straßenszenerie aus Pappe, die wir anlässlich der Nacht der Museen perspektivisch in ein Ladenlokal gebaut haben. Die Ausstellungen waren in Düsseldorf, Köln, Luxemburg und beim Comic-Festival Fumetto. Zurzeit befindet sich Herrensahne allerdings ein bisschen im Dornröschenschlaf. Es gibt ein neues Thema, aber wann es damit soweit ist, kann man jetzt noch nicht sagen.

ZACK: 2005 erhielt Herrensahne einen ICOMPreis für das beste Fanzine. Ausgezeichnet wurde der Band „Voulez-vous déja-vu avec moi?“ Das Thema, die verschiedenen Lebenswelten in einer Kneipe zu beschreiben, ist ja praktisch aus dem Leben gegriffen. Lag das einfach sehr nahe?

Tobi Dahmen: Lag schon nahe, weil wir natürlich bei unseren Besprechungen das Kneipenumfeld um uns hatten, mit all den schrägen Vögeln, die in diesen Etablissements herumhängen. Da dachten wir uns, da kann man doch mal was draus machen, so richtig schön mit Lokalkolorit, also Altbierkneipe. Unsere Besprechungen und Planungen liefen immer in endlosen Diskussionsrunden ab, in denen jeder seinen rohen Storyentwurf vorstellte, wir dann gemeinsam überlegten, wie wir die Vernetzungen hinbekommen, und wie die Geschichten anzuordnen sind. Till Laßmann hat die Grundlage für das in allen Geschichten gleiche erste Panel gezeichnet, welches dann alle Zeichner adaptiert haben. Das abschließende Grafik-Design mit dem Bierdeckel und Umschlagsdesign haben die findigen Damen der Sitzgruppe in Düsseldorf gemacht.

ZACK: 2008 wurde dann dein Band „Sperrbezirk“ als bester realistischer Kurzcomic mit einem ICOM-Preis ausgezeichnet.  Es ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die einzelne (modifizierte?) Erlebnisse aus deinem Leben erzählen. Hast du nie Angst, zuviel von deinem Leben offen zu legen oder anderen zu nahe zu treten? Wie waren so die Reaktionen von Personen, die in „Sperrbezirk“ vorkamen?

Tobi Dahmen: Soviel modifiziert ist da gar nicht. Und natürlich hat man dann auch manchmal Sorge, dass man Beteiligten zu nahe tritt oder generell zu weit geht. Aber ich möchte eigentlich die Geschichte am liebsten so echt wie möglich halten. Und ich ändere die (meisten) Namen der Protagonisten. Viele (negative) Reaktionen habe ich eigentlich nicht bekommen, nur meine damalige Freundin aus ‘Wiedersehen’ meinte, die Abschiedsszene hätte sich ganz anders abgespielt. Vielleicht war das auch so. Die Erinnerung spielt einem ja auch manchmal Streiche. Am Ende muss man sowieso die Geschehnisse so arrangieren, dass es noch ein gut zu lesender, interessanter Comic wird. Da fällt manches natürlich weg. Ich kann ja auch einen Dialog, der sich in Wirklichkeit über eine halbe Stunde hinzieht nicht originalgetreu wiedergeben, sondern muss eine Quintessenz daraus schnitzen.

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Special vom: 14.08.2009
Autor dieses Specials: Mosaik Steinchen für Steinchen
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