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Comic-Besprechung - Berichte aus der Ukraine

Geschichten:
Autor und Zeichner: Igort

Story:

Die Ukraine, das zweitgrößte Land Europas, musste in den vergangenen 100 Jahren mehrere Schicksalsschläge verkraften. Angefangen bei der großen Hungersnot (dem Holodomor), über die Besetzung durch die Nazis und dem Eisernen Vorhang, bis zum Supergau in Tschernobyl, wirkten viele Ereignisse in die Mitte der ukrainischen Bevölkerung, welche tiefe Wunden hinterlassen haben. In diesem Buch berichten vier Personen von ihrem Leben in der Ukraine, was von einigen historischen Artikeln ergänzt wird.



Dieser Comic wurde mit dem Splash-Hit ausgezeichnet Meinung:

Der Italiener Igort hat sich zwischen 2008 und 2009 auf die Reise durch die Ukraine, Russland und Sibirien begeben und ist dort in Kontakt mit der örtlichen Bevölkerung gekommen. In diesem Band berichtet er von seinen Erlebnissen in der Ukraine.

Nach einer kurzen Darstellung der heutigen Lebensumstände, lässt der Künstler vier Personen zu Wort kommen, welche zufällig ausgewählt worden sind und über sehr unterschiedliche Lebensläufe verfügen. Die Berichte beginnen mit einer kurzen Vorstellung der Person und überlassen dann den Worten der Protagonisten freien Lauf, ohne Kommentare, Ergänzungen oder Einschränkungen … ganz wie ihnen der Mund gewachsen ist. Dabei entstehen vier authentische Dokumente über ein Volk, das häufig Spielball fremder  Interessen war und unter den Besatzungen zu leiden hatte. In der Graphic Novel wird besonders auf den Holodomor eingegangen, mit den schrecklichen Auswirkungen, welche die Hungersnot auf die Bevölkerung hatte. Igort scheut sich nicht, über Kannibalismus und Verzehr von Aas zu schreiben. So hart wie das klingt, aber dadurch stellt er die ukrainische Realität in den 30iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ungeschönt dar. Dadurch entsteht ein Geschichtsdokument fern jeder Political Correctness, mit glaubhaften Aussagen der Betroffenen und ergänzenden Beiträgen von Igort. Darunter befinden sich beispielsweise Auszüge aus den Dokumenten der damaligen Geheimpolizei GPU, welche völlig gefühlskalt die schrecklichen Ereignisse protokollierte. Um dem Verbrechen ein Gesicht zu geben, porträtiert Igort die damaligen Befehlshaber ganzseitig und rückt sie damit in das Gedächtnis des Völkermordes.

Die einzelnen Storys beschreiben neben der Hungersnot noch andere Schicksalsschläge, welche im Gesamten zeigen, wie sehr die ukrainische Bevölkerung im 20. Jahrhundert leiden musste, egal welche (finanzielle) Ausgangssituation vorherrschte. So bekommt der Leser neben der Hungersnot und der Unterdrückung durch die Nazis sowie Kommunisten noch andere Gräuel zu Gesicht, welche aufzeigen, wie sehr sich eine Gesellschaft verändert, wenn jeder nur das Nötigste zum Leben hat. Oftmals mag man angesichts der stetigen Abwärtsspirale gar nicht weiterlesen, so schnell wachsen einem die Protagonisten ans Herz und so sehr nimmt einen die ständige Tristesse mit. Dieser Band ist folglich nicht für Zartbesaitete oder für Personen, welche die Augen vor all dem Übel in der Welt verschließen. Die Berichte beschönigen nichts. Igort berichtet unvoreingenommen und ohne anzuklagen. Lediglich am Ende des Bandes dreht sich der Blick Richtung Politik, als Igort auf die Anerkennung der Hungersnot als Genozid berichtet. Da kommt für einen kurzen Augenblick sogar eine gewisse Wut beim Leser auf, was zeigt, wie ausdrucksstark diese Graphic Novel ist.

Die einzelnen Artikel und Berichte werden von dem mehrfach ausgezeichneten Italiener mit einem Mix aus Farb- und Schwarzweiß-Zeichnungen versehen, welche je nach vorhandener Thematik die Entstehung einer gewissen Gefühlsmäßigkeit fördern. Igort lässt bei den Zeichnungen dem Leser oftmals Raum für die eigene Fantasy, was das Erleben der Geschichten noch intensiver macht. Vieles, gerade in Hinblick auf die Hungersnot, wird zwar textlich ausgearbeitet, bleibt aber graphisch nur wage und bietet somit die Möglichkeit, sich eigene Bilder zu den Ereignissen zu schaffen. Bei der Seitenaufteilung benutzt der Künstler größtenteils klare Panelstrukturen, wobei in Hinblick auf die ergänzenden Artikel auch künstlerisch-abstrakte Grafiken entstanden sind. Diese bilden aber eher die Ausnahme.

Reprodukt veröffentlicht mit dieser Graphic Novel einen beeindruckenden Reisebericht, der die Bevölkerung des Landes in den Mittelpunkt rückt und diese uneingeschränkt zu Wort kommen lässt. Dadurch entsteht ein einmaliges Werk, welches die ukrainische Geschichte im 20. Jahrhundert porträtiert, ohne den moralischen Finger zu erheben bzw. auf Political Correctness zu achten.



Fazit:
Die Graphic Novel zeigt ein zerbrochenes Land, welches in den vergangenen 100 Jahren mit mehreren Schicksalsschlägen fertig werden musste. Was davon übrig bleibt, zeigt der Künstler mit eindrucksvollen, traurigen und teilweise abstrakten Bildern. Der Mix aus Text und Grafik erzeugt ein emotional sehr aufgeladenes Werk, das einem nicht mehr los lässt. Empfehlenswert!

Berichte aus der Ukraine - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Berichte aus der Ukraine

Autor der Besprechung:
Christian Recklies

Verlag:
Reprodukt

Preis:
€ 24,00

ISBN 10:
3941099612

ISBN 13:
978-3941099616

180 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • uneingeschränktes Bild über die Historie des osteuropäischen Staates
  • vier authentische Vitae voller Rückschläge und kleinen Lichtblicken
  • überzeugendes Artwork zwischen klar-strukturiert und künstlerisch-abstrakt
Negativ aufgefallen
  • Hardcoverformat wäre passender gewesen
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
Bewertung:
1
(2 Stimmen)
Bewertung
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Rezension vom: 29.10.2011
Kategorie: One Shots
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