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Comic-Besprechung - Chronik einer verschwundenen Stadt

Geschichten:

Chronik einer verschwundenen Stadt
Autor
: Dibou, Golo
Zeichner / Colorist: Golo



Story:
1995 lernt die Französin Dibou auf dem Weg zu einer Feier den Zeichner und Karikaturisten Golo kennen. Die beiden freunden sich schnell an und Golo lädt Dibou in ein kleines Dorf namens Qurna ein. Dieses kleine Dorf besitzt eine Besonderheit: es liegt in unmittelbarer Nähe zu dem Tal der Könige und so kommen viele Touristen vorbei. Dibou lernt schnell das Dorf und das Leben in ihm lieben. In den folgenden Jahren kommt sie immer wieder zurück und zieht schließlich ganz nach Ägypten. Zusammen mit Golo eröffnet sie nicht nur eine Galerie, sondern erkundet auch die Mentalität der Ägypter und Touristen. Doch die Tage des Dorfes sind gezählt. 

Meinung:

Als ehemalige Marketing Consultant ist Dibou natürlich dem Comicpublikum noch kein Begriff. Chronik einer verschwundenen Stadt ist ihr erster Comic, bei dem sie ergänzend zu Golo ihre Sichtweise auf das Erlebte einbringt. Golo ist kein gänzlich Unbekannter. Schließlich erschien erst letztes Jahr auf Deutsch die Biographie B. Traven (ebenfalls im Avant-Verlag) von ihm. In Ägypten scheint er dann noch recht bekannt zu sein, da er wohl auch viele Karikaturen veröffentlicht. Seinem Stil merkt man das auch an. Zum einen ist er sehr sicher und scheut sich auch nicht obskure Einfälle zu Papier zu bringen. In Hintergründen, Setting und Atmosphäre, sowie Gesichtern ist er sehr detailliert, obgleich nicht naturalistisch. Bei manchen Sequenzen kommt aber auch deutlich der Karikaturist zum Vorschein, etwa wenn manche lustigen Episoden oder der merkwürdige Typus Tourist vorkommen. Das ergibt eine erfrischende Mischung, die einen sowohl in das Land und in das Geschehen versetzt, aber durchaus eine Position ermöglicht, das ganze aus einer gewissen ironischen Distanz zu betrachten. Zum anderen hat Golo viele schöne graphischen Ideen, welche den ganzen Band sehr abwechslungsreich macht.

All das allein ergibt schon einen faszinierenden Band, der zudem noch das Alltagsleben in Ägypten schildert ohne den üblichen Klischees aufzusitzen. Da kommen zwar so manche allgemeine Bilder vor (etwa das Sitzen im Teehaus, die Korruption, die laissez faire Haltung, das Betteln, der Nepp von Touristen denen angebliche Antiquitäten angedreht werden sollen), aber geschildert werden nur reale Ereignisse. Vor allem wird das mit viel Empathie erzählt und man merkt den beiden Autoren die Liebe zu dem Land und den Leuten auf jeder Seite an. Auch wenn sie manchmal an dem selben Land und denselben Leuten verzweifeln. Sie besitzen durchaus eine große Prise Humor, welcher auch vor den Autoren selber nicht Halt macht. Die Selbstironie verhindert jede mögliche Überheblichkeit.

Es werden vorrangig die Menschen und ihr Leben betrachtet, wobei die fehlende Dramaturgie durch die auftretenden Exzentriker und hervorragenden Episoden wett gemacht wird. Das erweckt den Eindruck eines Abends unter Freunden, bei denen die Reiseerlebnisse ausgetauscht werden, die ja auch ohne eine Dramaturgie verlaufen. Dazu passt auch der Abdruck von Fotos, welcher allerdings zunächst deutlich irritiert, da sie eigentlich in einer Graphic Novel nichts zu suchen haben. Die Fotos zeigen aber Vergangenes und wie es mal war. Was am Anfang nicht nur als Stilbruch, sondern verdächtig nach Eigenlob aussieht (besonders die Schilderungen von der Ladeneröffnung und den von den Autoren initiierten Preisausschreiben und die Jugendarbeit), bekommt am Ende als Portrait einer verlorenen Gesellschaft und der Nichtigkeit all dieser Handlungen eine ganz andere Bedeutung.

Gegen Ende ist es aber sehr schade, dass der Kampf des Dorfes um sein Überleben vorher nicht zur Sprache kam. Nicht nur ist dann das Ende, weil es nicht vorbereitet worden ist, sehr überraschend, sondern aufgrund der mangelnden dramaturgischen Verarbeitung von der Bedrohung und des Widerstandes wird auch viel Potential verschenkt. So wird der Leser nicht unbedingt emotional involviert. Es herrscht dann am Ende eher ein Schock vor als Suspense. Aber insgesamt ist der Eindruck sehr gelungen mit dieser nostalgischen Erzählung von einer vergangenen Zeit, die wahrlich noch nicht lange zurückliegt. Und es wird auch nicht mit Kritik am Tourismus und der Korruption gespart. Obwohl der Band nostalgisch gefärbt ist, gelingt es den Machern, eine Verherrlichung zu umgehen. Auch in ihrem Dorf war nicht alles Gold was glänzte.



Fazit:
Auch wenn keine gängige Dramaturgie vorliegt und das Ende zu keinem Zeitpunkt vorbereitet worden ist, so ist der Band doch eine lustige, spannende und interessante Reise nach Ägypten und man lernt das Alltagsleben der Menschen kennen. Viele gute graphische Ideen machen den Band zudem zeichnerisch abwechslungsreich.

Chronik einer verschwundenen Stadt - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Chronik einer verschwundenen Stadt

Autor der Besprechung:
Jons Marek Schiemann

Verlag:
Avant Verlag

Preis:
€ 24,95

ISBN 10:
3939080640

ISBN 13:
978-3-939-08064-0

200 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • Humor
  • graphische Ideen
  • Schilderung des Alltags, aber auch von Exzentrikern und absurden Situationen
  • trotz Nostalgie durchaus kritische Betrachtung
Negativ aufgefallen
  • keine gängige Dramaturgie vorhanden, so dass Ende zu abrupt und zu unvorbereitet
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
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Rezension vom: 19.07.2012
Kategorie: One Shots
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