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Comic-Besprechung - Ganz allein

Geschichten:

Tout seul

Autor/Zeichner: Christophe Chabouté



Story:
Auf hoher See, der Horizont eine scheinbar unendliche Linie. Mittendrin eine kleine Insel, ein Fels in der schäumenden Gischt, bekrönt mit einem Leuchtturm. Ein Mann wohnt darin. Seine Züge sind entstellt und das einzige, was er von der Welt kennt ist der Leuchtturm und das Meer. Seit seiner Geburt befindet er sich in dieser Isolation, sein einziger Kontakt zur Außenwelt ein paar Kisten, die im wöchentlichen Rhythmus bei ihm abgestellt werden und mit Lebensmitteln gefüllt sind. Mag der einsame Bewohner die Grenzen seiner Umgebung nicht überwinden können, so streift sein Geist über diese Bande längst hinaus. Auf den Flügeln der Phantasie lässt er die Mauern verschwinden. Doch kann das genügen?


Meinung:
Die Einsamkeit ist ein Leuchtturm im wogenden Meer. Um sie zu erfahren muss man sich ihr langsam nähern. Will man sehen, welche Blüten in ihr sprießen, muss man behutsam ihre Nähe suchen und ganz genau hinschauen. Eine derart behutsame Annäherung versucht Christophe Chabouté. Erst ein paar Wellen. Dann weit entfernt am Horizont eine Möwe, die langsam näher und näher kommt. Der Zeichner verfolgt ihren Flug, die Bewegungen ihrer Flügel, bis sie schließlich absinkt und auf einem Geländer landet. Sie sitzt dort, schreit kurz ihr Möwenschreien und wird von einer Welle aufgeschreckt. Ein Fels taucht in ihrem Steigflug unter ihr auf. Stufen sind zu erkennen. Sie kreist höher und höher, lässt sich von Aufwinden treiben. Das Fundament eines Gebäudes gerät in den Blick, ragt ebenso höher und höher. Der Verfolgerblick macht einen einsamen Leuchtturm im Meer aus. Erneut lässt sich die Möwe nieder, auf dem Geländer an der Spitze des steil aufragenden Turmes. Wieder bleibt sie sitzen, überschaut das Meer und nimmt schließlich, angetrieben von einem Impuls den nur sie verspüren kann, ihre Reise wieder auf. Der Leuchtturm verschwindet in der Ferne.

So beginnen die ersten 16 Seiten der Graphic Novel Ganz allein von Chabuté. Er wird das Tempo nicht wesentlich erhöhen. Im Gegenteil stören die schnelleren, erzählenden Abschnitte fast schon, da sie einen aus der Ruhe reißen, die sich dank der Bilder verbreitete. Ob das im Sinne des Erfinders war? Wenn man sich die einzelnen Strömungen der Graphic Novel anschaut, sollte wohl etwas ganz anderes im wesentlichen Vordergrund stehen. Die Macht der Phantasie, die Raum und Zeit zu überwinden vermag. Wenn man nämlich mal konkret ist, dann ist dieser in der Eingangssequenz so umfassend eingeführte Leuchtturm nichts anderes als ein Gefängnis für den Leuchtturmwärter.

Seine Kraft bezieht dieser aus seiner Vorstellungsgabe, die ihn die Grenzen seines kleinen Reiches vergessen lässt. Nun ist es aber kein normaler Leuchtturmwärter, der mitten auf hoher See seinen Dienst tut. Chabouté verwendet einige der erzählenden Passagen dazu, die Geschichte des Mannes zu entfalten, der dort im Leuchtturm hockt. Dieser wurde auf dem Leuchtturm geboren und hat noch niemals in seinem Leben etwas anderes kennengelernt, als den Leuchtturm selbst und die wenigen Meter Kai, die ins Meer hineinragen. Warum Chabouté aus diesem Mann, der nach dem Tod seiner Eltern gänzlich allein auf seinem Eiland ist, ausgerechnet eine entstellte Person gemacht hat, erschließt sich nach der Lektüre von Ganz allein dann jedoch nicht.

Man merkt nämlich, dass dieser Kniff relativ unwichtig ist und der Geschichte sogar einen Faden abreißt, der ebenfalls wert gewesen wäre, dass man ihn  erkundet. Was würde denn jemanden davon abhalten diesen Leuchtturm zu verlassen, nachdem die einzigen Bezugspersonen verstorben sind? Die Frage beziehungsweise deren Beantwortung ist nicht so offensichtlich, wie es scheint und hätte sich gut mit der generellen Stimmung und der Art der Erzählung vertragen. So bekommt man die Isolation dagegen etwas plump serviert und erklärt. Der Leuchtturmbewohner ist halt entstellt und kann sich deshalb der Außenwelt nicht zeigen. Klatsch! Bumm! Das müsst ihr jetzt halt schlucken.

Chabouté jedenfalls hat sich für diese Art der Präsentation des Grundkonzeptes entschieden. Und natürlich stellt man sich die Frage, was macht so ein Mann ganz allein in Isolation, ohne menschliche Kontakte. Ja, er meidet sie sogar aufgrund seiner äußeren Gestalt. Es müssen grausame Eltern gewesen sein, die diese Person großgezogen haben. Auf einer Insel nicht größer als eine 4-Zimmer-Wohnung geboren, von seinen Eltern nie in den Kontakt mit dem Festland und damit anderen Menschen gebracht und die selbst für den eigenen Tod vorgesorgt haben, indem man einem Fischer das Versprechen abnimmt, das entstellte Kind mit Lebensmitteln und allem Notwendigen zu beliefern. Das man es auf das Festland schickt, schien nie eine Option gewesen zu sein. Klingt das nach einem übermäßigen Beschützerinstinkt? Nicht nur Kinder können grausam sein, wie es scheint können es auch die Eltern.

Diesen bösen Unterton hat der Autor offensichtlich nicht bemerkt. Und wenn er es hat, so interessiert es ihn nicht weiter. So mutiert seine Geschichte ein wenig zu einem maritimem Glöckner von Notre Dame.  Das aaaaaaalles aber beiseite gelassen, liest sich Ganz allein sehr schön, was vor allem der Erzählweise, denn der tatsächlichen Geschichte geschuldet ist. Chabouté inszeniert seine Graphic Novel mit einer erstaunlichen Geduld und einer traumartigen Ruhe, die einen sehr für den Band einnimmt. Nicht viele nehmen sich heute die Zeit eine Szene wirklich bis zum letzten auszureizen. Die Eingangssequenz bietet dafür ein schönes Beispiel.

Gut gefällt ebenso die Herangehensweise an den Umgang mit der Isolation. Wenn vielleicht auch nicht realistisch, so hält der Bewohner des Leuchtturmes seine Einsamkeit dadurch aus, indem er sein Lexikon auf den Tisch fallen lässt und sich auf der so zufällig aufgeschlagenen Seite einen Begriff heraussucht. Dann beginnt sein Geist zu wandern. Mit den ihm zur Verfügung stehenden Bildern und Eindrücken versucht der Leuchtturmbewohner die Dinge vor seinem geistigen Auge zu erschaffen und kommt dabei manchmal auf kreative Konzeptionen. Konfetti – nach dem Lexikon: Runde Stücke aus farbigem Papier, mit denen bei Festen geworfen wird – wird bei ihm zu Frisbee-großen Scheiben, die eine Schar Menschen fröhlich durch die Luft wirbeln. Auch hier hätte man durchaus wildere Sachen ersinnen können und ein amüsantes Spiel mit den Konventionen treiben können, die ein auf einem Eiland Isolierter naturgemäß nicht kennen kann. So bleibt es leider bei Andeutungen. Der Schleier aus festen Begrifflichkeiten und Vorstellungen, den wir über die Welt legen wird bloß ein Fingerbreit gelüftet. Ansonsten sind nämlich manche der erdachten Eindrücke schon relativ nah an der Realität. Trotzdem kommt die allgemeine Botschaft rüber.

Parallel zur Handlung im Leuchtturm läuft die Geschichte eines Mannes, der auf genau dem Kutter angeheuert hat, der den Turm immer wieder mit dem Nötigsten versorgt. Er scheint der erste zu sein, der das Schicksal des Leuchtturmbewohners zu hinterfragen beginnt und nimmt zaghafte Versuche auf sich einen Kontakt herzustellen. Dazu hat er einen besonderen Grund, denn (und hier ist eine weitere Parallele) er selbst war eine zeitlang Insasse eines Gefängnisses. Zwei Seelen scheinen sich gefunden zu haben. Diese Karte groß auszuspielen ist nicht im Sinne des Autors, der vieles, was von außen kommt, lediglich als Katalysator für die Entwicklung des Lebens innerhalb der runden Mauern des Leuchtturms benutzt. Ebenso fungiert das Lexikon nicht nur als Mittel zur Flucht (in die Phantasie), sondern gleichfalls als Kommentar zur Situation des entstellten Mannes. Begriffe, wie „Isolation oder „Gefängnis erinnern ihn allzu sehr an die Enge seiner bekannten Welt.

Der Carlsen Verlag selbst fasst die ganze Sache so zusammen, sieht in der Geschichte eine „Parabel darauf, dass man große Probleme mit kleinen Schritten lösen kann.“ Und geht damit am eigentlichen Thema meilenweit vorbei. Vielleicht ist das aber auch gerade den Problemen geschuldet, die der Band damit hat sich eindeutig und kompromisslos hinter sein Thema zu stellen. Unbequemlichkeiten, die die Handlung aufzeigt, werden von Chabouté wie gezeigt teils gänzlich außen vor gelassen oder ignoriert. Stattdessen wird -sagen wir mal- rigoros am festgelegten Konzept festgehalten, was zwar stringent erscheinen mag, die Geschichte selbst allerdings recht künstlich daherkommen lässt. Zumindest im Abgang.

Denn ein Wesentliches ist klar. Ein Gutteil der Stimmung wird über die Bilder transportiert, die in kräftigen schwarzen Strichen ein so wunderbares Auge für Kleinigkeiten und eigentlich eher unspektakuläre Sachen haben. Dadurch dass sich Chabouté meist in vielen Einzelbildern den Dingen annähert, entlockt er ihnen viele Details, die in nur einem Bild keinen Platz gefunden hätten, da dieses sich auf eine Perspektive beschränkt. Zeichnerisch kann die Graphic Novel voll punkten und man ist geneigt zu sagen, dass die Handlung schon beinahe störend empfunden wird.

Welche Botschaft verbleibt Ganz allein nun? Vielleicht die Erkenntnis, dass der menschliche Verstand zwar mithilfe der Phantasie versuchen kann die Grenzen seines Selbst und seiner Umgebung zu sprengen, wirkliche Erfüllung findet er so nicht. Eine Lektion, die auch die Hauptfigur von ganz allein lernen muss. Ein Gefängnis lässt sich verschönern wie man will, seine Natur behält es bei. Erst der Austausch und der Kontakt mit anderen mitfühlenden Geschöpfen machen den Mensch zu dem was er ist. Einem sozialen Wesen.


Fazit:
Sehr ruhig erzählte Geschichte, die sich den ganz großen Wurf leider nicht traut. Neben einigen auffälligen Ecken und Kanten fällt die Graphic Novel dadurch auf, dass sie letztlich doch zu gefällig ist und ihr Thema nicht auszureizen vermag. Schön anzuschauen ist sie aufgrund der Erzählweise allemal. Ob das als Kaufgrund ausreicht, muss jeder für sich beurteilen.


Ganz allein - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Ganz allein

Autor der Besprechung:
Alexander Smolan

Verlag:
Carlsen

Preis:
€ 29,90

ISBN 13:
978-3-551-78373-8

376 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • ruhige Erzählweise in ruhigen Bildern
  • Macht der Phantasie überwindet Grenzen
Negativ aufgefallen
  • Handlung hat ein paar Haken und Ösen
  • Botschaft verwässert dargestellt
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
Bewertung:
2.67
(3 Stimmen)
Bewertung
Du kannst diesen Comic hier benoten.

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Rezension vom: 13.09.2011
Kategorie: One Shots
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