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Kapitel 2 - Die gestelzten Jahre
An diese Regeln zur Selbstzensur mußte sich fortan jeder Verlag halten, der seine Comics legal und ohne Einschränkungen am Kiosk vertreiben wollte. Comics mußten moralisch einwandfrei sein, das Gute mußte immer über das Böse siegen, Gewalt war verboten, und Männer und Frauen duften sich vor der Ehe nicht berühren (selbst Blondie und Dagwood mußten in getrennten Betten schlafen).
Jeder Verlag mußte nun jedes einzelne Heft jeder Serie an die Prüfungskommission der CCA schicken. Diese überprüfte Panel für Panel Text und Zeichnungen auf ihre Übereinstimmung mit den Richtlinien des Codes. Hatte die Prüfungskommission etwas zu beanstanden, wurde das Heft mit Anmerkungen, welche Aspekte gegen die Richtlinien verstießen, an den Verlag zurückgeschickt, der nun die Aufgabe hatte, die entsprechenden Stellen zu ändern und das Heft anschließend erneut einzureichen.

Das Siegel der Comics Code Authority War das Heft einmal vom Vorsitzenden der Kommission genehmigt worden, durfte der Verlag das Cover mit dem Siegel der CCA schmücken, das besagte, daß dieses Heft den Segen der CCA hatte. Dieses Logo stellte - zumindest damals - eine Garantie für Eltern, Lehrer und die Regierung dar, daß die entsprechenden Hefte "sicher" für junge Leser seien.
Finanziert wurde die CCA seit jeher von den drei auflagenstärksten Mitgliedern Marvel, DC und Archie, die damit jederzeit in der Lage waren, den aktuellen Vorsitzenden der Prüfungskommission abzusetzen und den Posten neu zu besetzen. Zudem hatten sie zu jeder Zeit die Möglichkeit, die Richtlinien des Codes abzuändern oder sogar komplett neu zu schreiben.

Es dürfte klar sein, daß diese äußerst strengen Regeln das vorläufige Ende der "erwachsenen" Themen bedeuteten, die die jugendlichen Leser so sehr liebten, insbesondere der Horrorgeschichten. Kaufhäuser und Zeitungskioske waren fortan nicht mehr bereit, Comics ohne das CCA-Logo zu akzeptieren, und so mußten Serien wie Vault of Horror und Tales from the Crypt, die Jahre später zu Klassikern erklärt werden sollten, eingestellt werden. Mehr als ein halbes Dutzend Verlage wurden komplett aufgelöst, andere änderten notgedrungen ihr Verlagsprogramm, wie z. B. der E.C.-Verlag, der nur durch die verstärkte Konzentration auf eine bis dato kaum aufgefallenes Satireserie namens MAD überleben konnte, die sich nach einer Änderung ins Magazinformat nicht einmal mehr um die Richtlinien der CCA scheren mußte.
Wertham selbst war von der "Selbstkontrolle" durch die CCA verständlicherweise alles andere als begeistert und bezeichnete sie schlichtweg als "Heuchelei". Selbst nachdem, wie bereits erwähnt, einige Verlage den Betrieb komplett eingestellt hatten und die Comicindustrie praktisch in die Knie gezwungen worden war, beklagte er nach wie vor, daß die Comics einen äußerst unheilvollen Einfluß auf Jugendliche hätten.
Die Fans wiederum waren der Ansicht, die neuen Regelungen hätten ihre Comics "getötet". Damit hatten sie nicht ganz unrecht, immerhin waren die Comics nun gezwungen, sich einem Code zu fügen, der Western-, Kriminal- und Liebesgeschichten strenge Grenzen setzte. Gestelzte, unspektakuläre Geschichten waren die Folge, lustige Tiercomics à la Disney hatten Hochkonjunktur.

Amazing Spider-Man 96 Superheldencomics waren kaum betroffen, da sie zu jener Zeit nur einen geringen Anteil am Comicmarkt darstellten und zudem nicht auf eine übermäßige Verwendung von Sex und Blut angewiesen waren.
Die wenigen Verlage, die nach wie vor Horrorcomics herausbrachten, schwächten deren Inhalte so stark ab, daß sie den strengen Richtlinien der CCA standhalten konnten. Marvel zählte zu den wenigen Verlagen, die neben Science Fiction-Comics noch "Horror"comics veröffentlichten, selbstverständlich ohne den "Horror" im Titel zu führen und ganz im Sinne der Richtlinien der CCA. So unglaublich es auch klingen mag, die Comicindustrie ging beinahe unter, ironischerweise nur wenige Jahre, bevor der Rock'n'Roll die amerikanische Gesellschaft weitaus mehr erschüttern sollte, als es die Comics jemals hätten tun können.

Im März 1955 gab das Subcommittee des amerikanischen Senat seinen Zwischenbericht mit dem Titel "Comics und Jugendkriminalität" heraus. Der Bericht war ausgewogen und nachvollziehbar, es wurde festgestellt, daß viele von Werthams Behauptungen übertrieben waren oder jeglicher Grundlage entbehrten, da es keine Studien gab, die sie belegten. Obwohl der Senat die Idee einer gesetzlichen Zensur ablehnte, stand er dem Inhalt der Kriminal- und Horrorcomics kritisch gegenüber, ebenso der Werbung, die zu jener Zeit in den meisten Comics abgedruckt wurde.
Der Bericht lobte die Bemühungen einzelner Gemeinden, die anstößige Comics regional boykottierten und gegen diese protestierten, und empfahl Selbstkontrolle innerhalb der Comicindustrie als effektive Lösung des Problems. Ganz offensichtlich kam der Präventivschlag in Form der Comics Code Authority genau zur rechten Zeit.
Noch im selben Jahr veröffentlichte das Subcommittee seinen Abschlußbericht, in dem es die CCA offiziell anerkannte und als "Schritt in die richtige Richtung" begrüßte. Das Subcommittee stimmte Werthams Theorien bezüglich der Auswirkungen von Comics auf Jugendliche nicht in allen Punkten zu, da seine Studien nicht an der "gesamten Umwelt" vorgenommen wurden, sondern nur an jugendlichen Straftätern. Allerdings stimmte das Subcommittee ihm in der Hinsicht zu, daß Comics möglicherweise einen schlechten Einfluß auf Jugendliche hatten, die bereits psychisch gestört oder moralisch verdorben waren.
Da man jedoch nicht sicher war, ob Comics diesen Einfluß nun tatsächlich hatten oder nicht, entschied das Subcommitteee zu Gunsten der Selbstkontrolle der Comicverlage. Der Abschlußbericht warnte die Verlage jedoch auch, daß, falls sich herausstellen sollte, daß der Versuch der Selbstkontrolle nicht funktionierte, das Thema erneut auf der Tagesordnung landen würde und diesmal alle Mittel eingesetzt würden, die nötig seien, um "die Jugend unserer Nation davor zu bewahren, durch Kriminal- und Horrorcomics Schaden zu erleiden".

Amazing Spider-Man 97 Während der nächsten Jahre erschienen nun ausschließlich "harmlose" Comics mit simplen, fast schon unspektakulären Geschichten. Einfache Westerngeschichten ohne tödliche Schießereien wurden populär, eine der bekanntesten davon ist Boy's Ranch von Jack Kirby (1950-1951). In den späten fünziger und frühen sechziger Jahren startete Marvel eine ganze Reihe von Westernserien mit Helden wie Rawhide Kid, Kid Colt, Two-Gun Kid und anderen.
Mit der Einführung eines neuen Flash (Showcase #4, Oktober 1956), eine neuen Green Lantern (Showcase #22, Oktober 1959) bei DC und dem Debüt der Fantastic Four (November 1961) bei Marvel kehrten die Superhelden schließlich nach und nach an die Zeitungskioske zurück, und es begann die Zeit, die heute gemeinhin unter der Bezeichnung "Silver Age" bekannt ist.
Im Laufe der nächsten Jahre brachten die beiden Verlage eine regelrechte Flut an Superheldentiteln wie Justice League of America, The Incredible Hulk, The Amazing Spider-Man, The Avengers, The X-Men und The Atom auf den Markt, und auch andere Verlage wie Charlton Comics folgten ihrem Beispiel. Diese Comics mußten sich jedoch allesamt den Bestimmungen des Comics Code beugen, was auch über ein Jahrzehnt hinweg so bleiben sollte.
Zwar setzten sich sich Marvel-Serien wie Fantastic Four und The Amazing Spider-Man erstmals über geltende Koventionen hinweg und wagten sich, den bestehenden Status Quo zu ändern, indem beispielsweise in erstgenannter Serie die beiden Hauptfiguren Reed Richards (Mr. Fantastic) und Susan Storm (Invisible Girl) heirateten (Fantastic Four Annual #3, 1965) - eine deutliche Veränderung gegenüber den Zeiten, in denen der Held seine Freundin nicht einmal geküßt hätte - und drei Jahre später ein Kind bekamen (Fantastic Four Annual #6, 1968), doch die Richtlinien des Codes wurden nach wie vor eingehalten, auch wenn sie mittlerweile nicht mehr ganz so streng aufgefaßt wurden wie noch wenige Jahre zuvor.

Dennoch sorgten die teilweise doch arg übertriebenen Einwände der Prüfungskommission der CCA bei so manchem Autoren, Zeichner und Herausgeber im Laufe der Zeit für Schlaflosigkeit. Stan Lee, der zu jener Zeit wohl mit Abstand wichtigste Autor der Marvel Comics, erinnert sich beispielsweise rückblickend an eine Geschichte, in der er die Rauchwolke eines Revolvers auf Anweisung der CCA verkleinern mußte, um die Szene nicht allzu "gewalttätig" erscheinen zu lassen. Dennoch wagte es niemand, bewußt gegen die Richtlinien des Codes zu verstoßen, mit Ausnahme diverser alternativer Kleinverlage, die nicht Mitglied der CMAA waren und ihre Comics über andere Vertriebswege herausbrachten als die großen Verlage und sich somit auch nicht an die Bestimmungen der CCA halten mußten.
Unabhängige Künstler wie Robert Crumb (Zap Comix, 1967-1998), Gilbert Shelton (The Fabulous Furry Freak Brothers, ab 1971), Robert Williams und Vaughn Bodé brachten eine beachtliche Menge an Unterhaltung für Erwachsene heraus, die deutlich von den Werken des E.C.-Verlages beeinflußt waren. Bodés Werke wimmelten vor nackten, notgeilen Echsen und ebenso nackten Frauen, den "Bodé Broads", die als Sinnbild für den Planeten Erde standen und dementsprechend häufig vergewaltigt und ausgenutzt wurden, andererseits jedoch auch in der Lage waren, verheerende Gewalt inmitten von unbeschreiblicher Schönheit einzusetzen.
In New York kam eines ihrer Werke, Zap #4, unter dem Vorwurf der Obszönität vor Gericht. Das Verfahren dauerte mehrere Jahre und durchlief mehrere Instanzen. 1973 wurde es schließlich endgültig für "obszön" erklärt und verboten. Dennoch wurde es auch danach mehrfach in New York verkauft, und die Arbeit seines Schöpfers fand sogar ihren Weg ins Museum of Modern Art und andere Ausstellungen.

Amazing Spider-Man 98 Auch bei den großen Verlagen deuteten sich erste Veränderungen an. 1970 startete Marvel die Fantasyserie Conan the Barbarian, deren Hauptdarsteller, der seine Ursprünge in Groschenromanen aus den dreißiger Jahren hatte, keine großen Skrupel hatte, Gewalt gegen seine Gegner einzusetzen. Das stand in klarem Gegensatz zu den Titelhelden anderer Serien des Verlages, für die der Einsatz körperlicher Gewalt immer nur eine Notlösung darstellte.

Die erste wirklich große Veränderung fand im Jahr 1971 statt. Es war wiederum Marvel, der es als erster Verlag überhaupt tatsächlich wagte, gegen den Comics Code zu verstoßen. Alles begann damit, daß Stan Lee vom amerikanischen Gesundheitsministerium gebeten wurde, eine Geschichte herauszubringen, die Jugendliche auf die Gefahren des Drogenkonsums hinweisen sollte. Das Ergebnis war eine dreiteilige Geschichte in The Amazing Spider-Man #96-98, die in einer Nebenhandlung davon erzählte, wie Harry Osborn, ein Freund des Titelhelden, aus Verzweiflung über die Trennung von seiner damaligen Freundin Mary Jane abhängig wurde von nicht näher bezeichneten Pillen. Die CCA weigerte sich jedoch, die Geschichte zu genehmigen, selbst als Lee darauf hinwies, daß er die Geschichte auf die direkte Bitte der Gesundheitsbehörde hin geschrieben hatte.
Als Lee klar wurde, daß die CCA die Geschichte unter keinen Umständen akzeptieren würde, wagte er einen Schritt, zu dem sich in den letzten siebzehn Jahren niemand vor ihm getraut hatte: The Amazing Spider-Man #96-98 erschienen ganz einfach ohne das Prüfsiegel der CCA. Marvel ging damit ein enormes Risiko ein, da es sehr gut möglich war, daß die Vertriebsfirmen das Heft ohne das Siegel nicht akzeptieren würden.
Doch das Heft gelangte trotzdem an die Zeitungskioske, und fortan wagten es die Verlage häufiger, gegen die Bestimmungen der CCA zu verstoßen. Unter diesem Druck gab die CCA schließlich nach und änderte ihre Richtlinien in vielen Punkten. Die Neufassung, die am 28. Januar 1971 verabschiedet wurde, ist im nächsten Abschnitt nachzulesen.


Special vom: 06.05.2001
Autor dieses Specials: Torsten B Abel
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Kapitel 1 - Die Verführung der Unschuldigen
Die Richtlinien zu Kapitel 1
Die Richtlinien zu Kapitel 2
Kapitel 3 - Neue Freiheiten
Die Richtlinien zu Kapitel 3
Kapitel 4 - Die letzten Züge des Comics Code
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