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Interview mit Christoph Heuer
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Christoph Heuer hat zusammen mit Fabian W. W. Mauruschat und Uwe Garske die Graphic Novel über Engels verfasst. Unser Mitarbeiter Bernd Hinrichs hat ihm einige Fragen dazu gestellt.cover_Engels___Revolution__r___Unternehmer

1. Wie bist Du zum Projekt „Engels – Unternehmer und Revolutionär“ gekommen?

Uwe schlug mir die Idee vor etwa vier Jahren vor. Damals hatte ich den Familienführer durch den Archäologischen Park in Xanten illustriert und es gab die Idee, einen Comic über den Bataveraufstand zu machen, der aber bislang nicht zu Stande kam. Als das absehbar war, schlug er mir also den Engels vor. Ich muss aber zu meiner Schande erkennen, dass er für mich ein relativ unbeschriebenes Blatt war. Mehr, als dass er der Freund und Finanzier von Marx war wusste ich nicht. Drei Biografien, und zwei Bücher von ihm später, war ich dann besser informiert...

2. Wie gestaltete sich Deine Zusammenarbeit mit zwei Textern?

Am Anfang war das schwierig, aber nach einem bestimmten Punkt ging es richtig gut. Drei Kreative an einem Werk bedeutet auch drei verschiedene Arten, an die Sache ranzugehen. Doch im Laufe der Zeit wuchsen wir zu einem Team zusammen, das sich die Bälle hin und her spielte.
Eine echte Herausforderung war die von Fabian vorgeschlagene nonlineare Erzählweise. Denn wir folgen seinem Leben nicht chronologisch, sondern thematisch. Also dem Revolutionär, dem General, denn er hatte eine sehr systematische Art Dinge wie einen Feldzug zu planen, dann als Mann der Märkte, die er noch vor Marx sehr präzise und durch eigene Anschauung analysierte, der durchaus an der Börse zockte (vor allem wenn es dazu diente der Bewegung Geld zu verschaffen) und schließlich folgen wir ihm in die Höllen seines Lebens und der industriellen Revolution. Uwe Garske wiederum hat im Wesentlichen den Epilog verfasst, in dem Engels einen Blick auf die heutige Welt wirft.

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3. Wie arbeitest Du? Mit Blatt und Papier oder am PC?

Gelettert wurde am PC. Der Rest ist auf 250gr Karton ganz traditionell mit Tusche gezeichnet. Zuvor gab es ein Storyboard und wann immer wir das Gefühl hatten, was ändern zu müssen wurde dort geändert. Dann zeichnete ich alles neu ins Reine.
Obwohl ich die meiste Zeit mit einem Cintiq 27 Zoll arbeite, ist für mich das Comiczeichnen was anderes. Das möchte ich mit der Hand machen. Ein Original haben. Was am Rechner geschieht hat ja keine Dimension. Hier waren es DIN A3 Bögen, und ich wusste, dass sie auf etwa A5 gedruckt würden. Fühlte sich richtiger an für mich.

seite754. Welche Bedeutung hat Engels für Dich heute noch?

Als ich nach der feierlichen Eröffnung des Engelsjahres (in dessen Rahmen unser Buch ja gefördert wurde) im Düsseldorfer Hauptbahnhof im Supermarkt stand, sah ich wie eine alte Dame versuchte drei Pfandflaschen in den Automaten zu geben. Doch der funktionierte nicht. Die Frau musste sich dann vom Filialleiter anhören, dass sie diese erst morgen zurückgeben konnte. Als ich an der Kasse meine leere Flasche von der Hinfahrt abgeben wollte, war das aber kein Problem. Diese alte Frau aber wurde zurückgeschickt?
Ich erinnerte mich daran, dass weniger als 40 Minuten vorher das ganze Theater textsicher die erste Strophe der Internationalen geschmettert hatte und jetzt das hier. Ich habe mich hundeelend gefühlt. “Völker hört die Signale.“ Was würde Engels dazu sagen? Oder dazu, das Tafeln mittlerweile zur Grundversorgung im Lande zählen, sie aber dann während der Corona Krise geschlossen werden und ehrenamtliche Helfer, die den Bedürftigen trotz Krise helfen, von der Polizei behindert werden. Wenn eben diese Helfer, vier Kilometer Luftlinie von der Geburtsstätte von Engels entfernt, hören müssen, dass die Obdachlosen doch selbst schuld an ihrer Misere sind, dann macht das wütend.
Engels hat in seinen frühesten Schriften, den Briefen aus Wuppertal, die in unserem Buch ja die Rahmenhandlung bilden, sehr deutlich auf die Ursachen des Alkoholismus hingewiesen, den Kranken die Schuld dafür zu geben fiel ihm aber nicht ein. Wenn ich auf die Lebensbedingungen unter den Schlachthofmitarbeitern sehe, dann sieht das fast so aus wie im Manchester des Jahres 1843, wo Engels sein erstes Buch über die Lage der arbeitenden Klasse recherchierte. Ebenso wie damals, nimmt der wohlhabende Teil der Gesellschaft diese Bedingungen erst zur Kenntnis, wenn er selber betroffen wird, vorzugsweise durch Seuchen. In Manchester war es die Cholera und bei uns Corona.
Im Epilog beschäftigen wir uns zudem mit den fürchterlichen Arbeitsbedingungen, unter denen unsere Alltagswaren entspringen. Ja, wir wissen es eigentlich, ignorieren es aber, damit wir am Leben teilhaben können. Denn alleine in unserem Land gibt es viele Millionen Menschen, die auch bei Vollzeitbeschäftigung in Läden einkaufen müssen, die aus Lieferketten bestückt werden, die aus den elendsten Arbeitsstätten der Welt entspringen. Aber auch die Luxuswaren werden in den gleichen Höllenläden produziert.
Stimmen dagegen gibt es viele. Aber keine, die wirklich nachhallt und jene zu Veränderungen zwingt, die das verursachen. Die Verursacher aber wälzen die Schuld auf den Verbraucher ab! Aber eine Gesellschaft deren arbeitende Bevölkerung nicht mal genug ansparen kann, um drei Monate ohne Arbeit zu überleben, wie soll die in allen Schichten nachhaltig einkaufen können?
Engels ist so leider immer noch aktuell. Doch sein Einfluss auf Männer wie Lenin, Mao oder andere Figuren hat vieles überlagert, was er geschrieben hat. Natürlich war da ja der junge Revoluzzer, der aber nach der gescheiterten Revolution von 1848 und der von ihm ideologisch unterstützten Revolution in Paris 1870 für einen anderen Weg warb: den durch die Parlamente. Es war eben die Angst der Regierenden vor diesem Weg, die dazu führte, dass es heute eine Sozialgesetzgebung gibt! Das ist vielleicht die größte Bedeutung, die er heute hat.

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5. Es heißt, dass Deine Begeisterung für Comics auf einer Reise nach Paris entfacht wurde. Kannst Du Dich noch erinnern, welche Comics das waren?

Das war in den 80ern. Zunächst mal lockte mich eine Postkarte für meinen Großvater in einen Laden auf dem Boulevard St. Michel. Darauf war eine Zeichnung vom Pont Neuf von Andre Juillard. Als ich die bezahlen wollte, sah ich erst, was das für ein Laden war. Vier Etagen, voll mit Comics! Aber nicht nur die Funnies oder Superhelden, sondern Bücher aus und über das Leben, subtile Abenteuergeschichten, kritische Historiencomics, einfach so viele verschiedene Bücher. Es war auch kein Laden, wie die damaligen deutschen Szeneläden. Ein richtiges Buchgeschäft mit gezeichneten Büchern. Ich kam drei Tage nicht mehr raus aus dem Laden.
Als ich zurückfuhr, hatte ich nur ein Buch dabei, von DUC „L’arte de la Bande Dessinee Tome I“. Ich wollte wissen, wie man das macht! Drei Monate später fuhr ich nach Paris für den Band 2. Den ersten hatte ich durch.
Die ersten Comics die ich mir kaufte, waren Bourgeons „Reisende im Wind“, „Treibjagd“ von Enki Bilal und Pierre Christin, Francois Royet „Voyage Au Bout de la Ville“ und „Soledad“ von Tito, Pascal Varelli.

6. Was macht für Dich einen guten Comic aus?seite95

Schwierige Frage. Zunächst mal die Zeichnungen, wenn die mich in eine Welt eintauchen lassen, dann ist das der Anfang. Wenn die Geschichte mich nicht mitreißt, dann ist es zwar sehr schade, dann schaue ich mir zumindest nochmal die Bilder an. Es gibt auch Bücher mit einer total fesselnden Geschichte, aber wenn die Zeichnungen mich nicht mitreißen, dann wird alles Lesen zur Qual.

7. Hast Du schon weitere Comicprojekte im Kopf, über die Du was sagen kannst?

Mein Skizzenbuch hat gerade drei oder besser gesagt vier Ansätze für eine Geschichte.

Vor ein paar Jahren habe ich an einem Buch mit Christian Schlierkamp und James Gurney gearbeitet. Da ging es um das zeichnerische Werk von Adolph von Menzel.
Im Sommer des Jahres 1866 nahm er als Zeichner am Krieg zwischen Preußen und Österreich teil. Er zog mit neugieriger Begeisterung den Truppen hinterher und erlebte dann den ganzen Schrecken des Krieges in einem Feldlazarett. An dem Tag machte er drei Zeichnungen von verreckten Soldaten. Danach machte er nie wieder ein Gemälde zum Thema Krieg und auch keine Auftragsarbeiten für den Berliner Hof.

Aber ich höre jeden Tag interessante Geschichten, zu denen ich gerne Bilder suche. Manchmal mache ich da auch kleine Geschichten raus, die ich aber für mich behalte.

8. Welches Buch/Comic liegt bei Dir gerade am Bett?

Da liegen (immer) mehrere Bücher. Ich unterscheide nicht zwischen Comics und „Buch“! Wiederentdeckt habe ich letzte Woche „Brought to Light“ von Alan Moore und Bill Sienkiewicz, dann von das Sin City Gesamtwerk von Frank Miller, von Gert Ledig der Roman „Vergeltung“ (was auch eine sehr gute Graphic-Novel werden könnte), die Absolute Sandman Sammlung, der aktuelle Band der „Reisenden im Wind“ (der auch eine große Inspirationsquelle für den Engels Comic war) und die kompletten Drehbücher zur Serie „Blackadder.“

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Special vom: 25.06.2020
Autor dieses Specials: Bernd Hinrichs
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