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Gastbeitrag: Szene eines tödlichen Gerichtsverfahrens
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Carola Kern stellt mit ihrem Bild von einem Hexenprozess die Frage nach Schuld und Vergebung

Ein Gerichtsprozess im Mittelalter: Mit ausgebreiteten Armen steht eine Frau im Raum, ungläubiges Staunen im Gesicht. Eine andere weist auf den Betrachter, scheint zu sagen: Sieh, hier geschieht Unrecht.


Lemgo.
Es ist die Szene eines Hexenprozesses, der so genannten "gütlichen Befragung", die Carola Kern auf einer großen Leinwand festgehalten hat. Margarete Krevetsiek ist die Frau, die hier im Jahr 1653 der Hexerei angeklagt ist. Bis auf eine Frau, die sie stützt, und die, die den Betrachter ansieht, sind alle anderen Figuren des Bildes auf Distanz – Bürgermeister Heinrich Kerkmann, Scharfrichter David Clauss, der Gerichtsschreiber, ein Geistlicher, zwei frömmelnde Nonnen und andere. Der Titel des Bildes: "Vergib uns unsere Schuld".

Margarete Krevetsiek hatte ihrem Pflegekind eine Tracht Prügel verpasst, das Kind hatte sie gegenüber seiner Mutter als Hexe bezeichnet, diese wiederum bezichtigte Krevetsiek gegenüber dem Magistrat der Zauberei. Wer hat Schuld, wer muss vergeben? Die Antwort auf diese Frage liegt  nicht so klar auf der Hand wie es zunächst scheint.

Seit zwei Jahren arbeitet Carola Kern an ihrem Bild. "Ich mache ’slow art‘ – das dauert." Sie verwendet eine Technik, die durch mehrschichtige Lasuren und das Hinzufügen immer weiterer Details eine hohe Plastizität erreicht. Ein anderer Grund für den langen Entstehungsprozess ist die intensive Beschäftigung mit dem  Thema Hexenverfolgung. Die Künstlerin, die vor zehn Jahren von Berlin nach Entrup zu ihrem Mann Peter zog, hat eigens im Weserrenaissance-Museum Brake Gewänder aus dem Mittelalter angezogen, um nachvollziehen zu können, wie sich das Tragen anfühlte, wie der Faltenwurf war, den sie malt. Für den Hexenrichter-Comic der Studentin Luisa Preissler, der einigen Lemgoer Kulturbeflissenen sauer aufgestoßen war (die LIPPISCHE LANDES-ZEITUNG berichtete), findet sie lobende Worte: "Die junge Frau hat die Kleidung jener Zeit, auch die der angeblichen Hexe, gut getroffen." Dass sie die Frau mit kahl geschorenem Kopf dargestellt hat, entspreche damaligen Gepflogenheiten und zeige, dass Luisa Preissler sich mit dem Thema auseinandergesetzt habe.

Carola Kern verarbeitet in ihren Bildern auch ihre eigene Biografie. Die 47-Jährige, bei Schwerin in der DDR geboren, unternahm mit 18 Jahren einen Fluchtversuch und wurde wegen versuchter Republikflucht eingesperrt. Als etwas aufsässige junge Frau hat sie Repressionsmechanismen der DDR kennen gelernt: "Ich kann mitreden in Sachen Verfolgung."

Das Bild "Vergib uns unsere Schuld" ist Teil eines Bilderzyklus, der derzeit in Arbeit ist. Die Werke tragen Namen, die dem Vaterunser entlehnt sind. "Unser täglich Brot" etwa zeigt sie selbst, auf dem Boden kauernd, mit einem Kanten trockenen Brotes, daneben die Stiefel des Gefängniswärters: "Das war das Frühstück in Bautzen", sagt Carola Kern. Ein Kreuzigungsmotiv im Heiligenbildchen-Stil, aber mit einer Schwangeren zu Fuße des Gekreuzigten, ein blutverschmiertes Mädchen, das ein Gewehr hält, dazu ein Vaterunser-Zitat – Carola Kerns Bilder dürften für Gesprächsstoff sorgen, wenn sie erst einmal fertig sind und ausgestellt werden.
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Scheint den Betrachter ins Bild hineinzuziehen: Carola Kern weist mit derselben Geste auf ihr Bild wie die dargestellte Frau auf den Betrachter. Das noch nicht vollendete Gemälde vom Hexenprozess ziert den Flur ihres Hauses in Entrup. Foto: Asbrock

Zur Person: Carola Kern wurde am 4. Mai 1965 in Parchim geboren und wuchs in Schwerin auf. Sie wollte Kunst studieren, was ihr aber nach ihrem Austritt aus der FDJ (Freie Deutsche Jugend) verwehrt wurde. Mit 18 Jahren unternahm sie einen Fluchtversuch in den Westen über Tschechien und Ungarn, wurde aber festgenommen. In der DDR wurde sie wegen versuchter Republikflucht zu 18 Monaten Haft im berüchtigten Gefängnis Bautzen verurteilt. Dort wurde sie vorzeitig entlassen, weil sie ihren Ausreiseantrag zurückzog. Nach ihrer Entlassung stellte sie erneut einen Ausreiseantrag. 1986 heiratete sie einen Westberliner, den sie in der Haft kennen gelernt hatte. Im Rahmen der Familienzusammenführung durfte sie schließlich aus der DDR nach West-Berlin ausreisen. 1995 begann sie zu malen und ihre DDR-Vergangenheit künstlerisch aufzuarbeiten, arbeitete daneben auch als Auftragsmalerin. Vor etwa zehn Jahren lernte sie ihren zweiten Mann kennen, den Lemgoer Peter Kern. Es folgte die Hochzeit und der Umzug von der Metropole Berlin ins beschauliche Entrup. Inzwischen empfindet sie die die Abwesenheit großstädtischer Reizüberflutung und Oberflächlichkeit als Vorteil: "Hier kann man zu sich selbst finden."(as)
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Special vom: 08.03.2013
Autor dieses Specials: Dieter Asbrock
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
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Interview mit Dr. Harald Pohlmann, Fraktionsvorsitzender der CDU in Lemgo
Interview mit Dr. Oliver Herrmann, Präsident der Hochschule Ostwestfalen-Lippe
Interview mit Luisa Preißler, Autorin des Comics Hexenrichter
Der Skandal, der keiner war - Ein Kommentar
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