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Der Skandal, der keiner war - Ein Kommentar
Comicgeschichten, wie auch Geschichten, die in anderen Medien erzählt werden, sind oft rein fiktive Geschichten. Manchmal geben sie aber auch einen Ausschnitt der Realität wieder. Und dann gibt es Geschichten, die auf der Realität basieren und doch ihre eigene fiktive Welt erfinden. Der „Hexenrichter“ von Luisa Preißler ist eindeutig eine solche Geschichte.

Der Comic wurde als Teil einer Bachelorarbeit an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe umgesetzt und erhielt die Bestnote. Anschließend erschien der Comic mit einem kurzen redaktionellen Text dazu in Horrorschocker 27, einem Comicmagazin, das sich hauptsächlich mit kurzen Horrorgeschichten beschäftigt und in der Tradition der Pulp-Magazine steht. Auch hier erhielt der Comic in Rezensionen sehr gute Beurteilungen. Kein Wunder, der Comic macht einfach Spaß, ist gut erzählt und trotz der nur 14 Seiten spannend und wendungsreich umgesetzt.

Ich hatte, zugegeben, den Comic bereits wieder vergessen. Die 27. Ausgabe von Horrorschocker war immerhin vor über einem Jahr heraus gekommen. Ich hatte zwischenzeitlich viele andere gute Comics gelesen. Warum musste also dieser Comic so dringend „kurzfristig“ auf die Tagesordnung des Kulturausschusses in Lemgo gesetzt werden? Ausgelöst wurde das Ganze jedenfalls durch einen Artikel in der Lippischen Landes-Zeitung. Darin war über die geplante Verfilmung eben genau dieser Geschichte berichtet worden. Es schien nun Eile geboten, und der Comic wurde vier Tage nach dem Erscheinen des Artikels auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gehoben. Immerhin: Die Hochschule, an der Luisa Preißler ihren Bachelor machte, wurde informiert, und man schickte jemanden aus dem Pressestab zur Sitzung. Anwesend war auch Frau Professor Ehret, die aber Luisa Preißler nicht betreut hatte.

Der wissenschaftliche Teil
In dieser Sitzung, aber auch in den Interviews, die ich später führte, fielen dann einige Aussagen, die mich perplex zurücklassen. Ich zitiere aus der öffentlichen Niederschrift der Sitzung: „[Die Vorsitzende des Kulturausschusses, Anm. d. Red.] Frau Kochsiek-Jakobfeuerborn hält einige Darstellungen im Comic für sexistisch und frauenfeindlich sowie für historisch schlecht recherchiert, was Ihrer Meinung nach auf eine schlechte Beratung seitens der Lehrenden der Hochschule OWL schließen lasse.“ Auch Frau Professor Ehret äußerte sich ähnlich: „Dennoch sei sie entsetzt von den sexistischen Darstellungen in dem Comic. Die historischen Daten und herangezogenen Quellen seien schlecht recherchiert.“

An diesem Punkt muss ich einmal erklären, um was es überhaupt in Luisa Preißlers Bachelorarbeit ging. Sie hat ihre Arbeit am Fachbereich Medienproduktion angefertigt. Mehrere Disziplinen fließen hier zusammen. Es geht darum Medienproduktionen zu managen, Designs und Konzepte zu erstellen. Aber auf jeden Fall geht es nicht um die Wissenschaft der Geschichte. Luisa Preißler sollte mitnichten eine geschichtswissenschaftliche Arbeit abliefern. Die Recherche rund um ihre Arbeit herum war sozusagen ein Goodie, eine Zusatzleistung. Sie hätte durchaus auch eine komplett fiktionale Geschichte erfinden und dennoch ihre Bachelorarbeit schreiben können. Wobei wir denke ich davon ausgehen können, dass die Prüfer auch diese Zusatzleistung bewertet haben und bisher niemand der Beteiligten wirklich sagen konnte, wo denn aus ihrer Sicht die Fehler lagen.

Die Aussagen der Kritiker zu der Prüfungsarbeit bleiben vage. Die meisten Aussagen beziehen sich auf den Comic, der aber nun einmal eine fiktive Geschichte erzählt. Ich zumindest kann hier keine historischen Ungenauigkeiten feststellen. Die dargestellten Orte und Kostüme scheinen plausibel zu sein.

Nur Herr Dr. Pohlmann bezieht sich auf den Textteil der Arbeit. Unklar bleibt weiterhin, ob dieser Textteil dem Kulturausschuss überhaupt vorlag. Im Protokoll der Sitzung ist davon nichts vermerkt. Eingegangen wurde jedenfalls nur auf den Comic an sich.

War von den Kritikern verkannt wurde: Luisa Preißler wollte nie eine historisch korrekte Geschichte erzählen. Es ging Ihr immer darum, eine auf historisch belegten Fakten basierte fiktive Geschichte zu erzählen. Um es überspitzt darzustellen: Das ist also in etwa so, wie eine Geschichte bei Doctor Who, in der er Winston Churchill begegnet. Churchill ist historisch belegt, die schiere Umgebung der Geschichte ebenso, die Kostüme stimmen, selbst der Schauspieler sieht Churchill ähnlich. Die Erzählung in Doctor Who ist komplett fiktiv. Fordert nun aber das britische Parlament die Produzenten dazu auf zurück zu historischen Fakten zu gehen? Nun, das wäre doch absurd, oder?

Es wäre zumindest einmal angemessen von den Beteiligten zu erfahren, wo ihrer Meinung nach die Fehler in der Arbeit lagen. Bisher sind es nur vage Vorwürfe.
Hinzu kommt die klare Aussage von Dr. Oliver Herrmann, Präsident der Hochschule Ostwestfalen-Lippe: „Ich möchte noch einmal betonen, dass es sich schon von der Art und Weise nicht um eine geschichtswissenschaftliche Arbeit handelt und daher auch entsprechende Maßstäbe angelegt werden.“ Die Beteiligten haben sich meiner Meinung nach vollkommen umsonst aufgeregt, zumindest was die eigentliche Bachelorarbeit anbelangt.

Ich möchte aber auch noch einmal die Aussagen von Herrn Dr. Pohlmann in meinem Interview mit ihm ins Gedächtnis rufen: „Hier geht es um die Bewertung einer Examensarbeit. In dem zur Prüfungsarbeit gehörenden Textteil wird deutlich, dass sich die Verfasserin nur mangelhaft mit der Geschichte beschäftigt hat. Ein Prüfungsausschuss, der dies verkennt, hat ein ähnliches Problem wie einer, der einen Plagiatsversuch übersieht.“

Es stellt sich für mich die Frage, ob sich Herr Dr. Pohlmann überhaupt wirklich mit den Kriterien und dem Inhalt der Arbeit beschäftigt hat. Eben hier kam ich in der Recherche nicht weiter. Leider wollte er keine weiteren Fragen über das bereits geführte Interview hinaus beantworten. Meiner Meinung nach hat er es aber nicht getan, sonst hätte er als Wissenschaftler erkennen müssen, dass er über das Ziel hinaus geschossen war.

Für mich erstaunlich waren auch die Äußerungen von Frau Professor Ehret. Sie arbeitet im Bereich der Medienproduktion und dennoch legt sie die falschen Maßstäbe an. Und selbst Frau Kochsiek-Jakobfeuerborn hätte es abschließend besser wissen können. Denn in der Sitzung selbst wurde folgendes niedergeschrieben: „Frau Vogel gibt zu Bedenken, dass Ihrer Kenntnis nach in dem Fachbereich Medienproduktion das Hauptaugenmerk auf die technische Umsetzung gelegt wird.“

Entsetzen über sexistische Darstellungen
Erzählt wird eine Geschichte aus Lemgo, einer Hochburg der Hexenverfolgung im Mittelalter. Im Mittelpunkt der Hexenrichter Cothmann. Er war – und das ist historisch belegt – ein menschenverachtender Schlächter, der auch vor der Ermordung von Vertrauten nicht zurück schreckte, um seine eigene Machtposition zu stärken. Eine Person wie die seine bietet sich freilich für eine fiktive Geschichte an. Man musste ihn nicht neu erfinden. Was aber darüber hinaus frei erfunden wurde, war eine Haushälterin, die sich ihm anbot und das nicht nur mit den normalen Diensten einer Magd, sondern auch in sexueller Hinsicht. Sie lockt ihn damit in eine Falle, wie dies am Ende der Geschichte zu sehen ist. Denn sie will sich für den Tod ihres Ehemannes rächen.

Ganz sicher ist Maria, wie sie sich nennt, eine starke Frau. Sie setzt ihre Reize, ihren Körper ganz gezielt für ihre Rache ein. Sie entspricht dabei einem Frauenbild, wie es in den vergangenen zwei Jahrzehnten in fiktiven Werken immer öfter zu sehen ist. Dieses Frauenbild zeigt intelligente, selbstbewusste Frauen, die für ihre Ziele kämpfen und dies sowohl in intellektueller, als auch in körperlicher Hinsicht. Gute Beispiele der aktuellen Pop-Kultur finden sich beispielsweise in Verfilmungen wie Schneewittchen oder Rotkäppchen. Sie denkt, sie fühlt, aber sie unterwirft sich nicht.

Und dennoch: Der Comic wurde als sexistisch bezeichnet. Was ist Sexismus? Die Wikipedia sagt dazu aus: „Der Sexismus unterteilt alle Menschen anhand ihrer biologischen Geschlechtsmerkmale in Frauen und Männer, unterstellt ihnen damit eine grundlegende Unterschiedlichkeit und weist ihnen auf dieser Basis unterschiedliche Rechte und Pflichten zu.“ Man könnte hier einräumen, dass dies genau gezeigt wird. Bis in die jüngere Neuzeit wurde das Bild des Heimchen am Herd gepflegt.

Aber aus den Aussagen lässt sich etwas Anderes heraus lesen. Denn es wird stark kritisiert, dass die Magd Maria auf einer Seite des Comics mit blanken Brüsten zu sehen ist. Nur wenn das der Sexismus sein soll, hat man sich scheinbar in den Begriffen verirrt und meint eher die Pornografie. Nun ist Pornografie die direkte Darstellung der menschlichen Sexualität oder eben des Aktes an sich. Und sie zielt in der Regel darauf den Betrachter sexuell zu erregen. In der heutigen Zeit, in der blanke Brüste selbst im Vorabendprogramm zu sehen sind, ist dieser Zweck wohl doch eher unwahrscheinlich angesichts der gezeigten Szene.

Starke Frauen
Sicherlich gab es damals auch starke Frauen, doch sie waren mit ebensolcher Sicherheit in der Minderheit. Die historische Maria Rampendal (oder Rampendahl je nach Quelle) war eine solche starke Frau. Sie wurde von Hermann Cothmann im letzten Hexenprozess der Stadt Lemgo festgenommen und gefoltert, legte aber kein Geständnis ab. Daher wurde sie am 15. April 1681 der Stadt verwiesen und nicht zum Tode verurteilt. Sie starb im damals hohen Alter von 60 Jahren in Varel. Ob sie sozusagen im Alleingang die Hexenprozesse in Lemgo beendete, ist höchst umstritten. Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen wären die Hexenprozesse ohnehin zu Ende gegangen, ihr Prozess wäre so oder so der Letzte gewesen, auch wenn sie hingerichtet worden wäre. Historische Dokumente legen nahe, dass selbst ihre Folterung nur „halbherzig“ betrieben wurde und zumindest die Frage offen bleibt, ob sie bei weiterer Tortur nicht doch ein Geständnis abgelegt hätte. Sie selbst sagte später aus, dass sie die Folter ertragen hatte, weil ihre Familie und insbesondere ihr Ehemann sie bedingungslos unterstützt hatten.

Nun war die ganz klare Aussage von Luisa Preißler, dass ihre Magd Maria nicht auf Maria Rampendal basierte, sondern sie höchstens den Vornamen und die Tatsache gemein hatten, Teilnehmerin des letzten Hexenprozesses zu sein. Und an dieser Stelle muss ich der Aussage von Herrn Dr. Pohlmann nachgehen, die da lautet: „Wir ehren Maria Rampendal als mutige, starke Frau, die sich der Tyrannei widersetzt hat. In dem Comic erwidert sie nackt dem auf dem Bett liegend dem Tyrannen auf seine Aussage, wer ‚nicht kuscht brennt‘: „Du bist so gnadenlos. Ich bewundere Deine Stärke. Ich bin glücklich, dass Du mich ausgewählt hast. Mach mit mir, was Du willst, und so oft Du willst.“ So wird die Ehre einer Toten beschmutzt.“

Ich habe es ja schon geschrieben: Die Magd Maria ist eine starke Frau. Sie spielt Hermann Cothmann etwas vor, um ihre Ziele zu erreichen. Hier hat Herr Pohlmann also schon einmal die Geschichte des Comics an sich nicht verstanden. Selbst wenn also die Magd Maria dieselbe Person wäre wie Maria Rampendal, so wäre ihre Stärke eher mit der von Maria Rampendal gleichzusetzen. Davon einmal ganz abgesehen: Maria Rampendal hat nie als Magd für Hermann Cothmann gearbeitet. Cothmann hat ihren Mann auch nie ermorden lassen. Maria Rampendal betrieb mit ihrem Mann einen Butterkarren, und die beiden waren finanziell sehr erfolgreich. Maria im Comic und Maria Rampendal sind also mehr als nur weit voneinander entfernt. Wie hier also die Ehre einer Toten beschmutzt werden konnte, ist mir einfach nur schleierhaft.

Fazit
Die Beteiligten am Lemgoer „Skandal“ haben sich weit aus dem Fenster gelehnt und sind meiner Meinung nach abgestürzt. Von den Vorwürfen gegen Luisa Preißler bleibt bei näherem Hinsehen nichts Substanzielles übrig. Ganz offensichtlich hat man sich hier mit dem Thema nur oberflächlich befasst und Aufhänger gesucht, die dem Gewicht der Vorwürfe nicht standhalten. Erschreckend ist eigentlich, dass an den Vorwürfen gleich zwei Wissenschaftler beteiligt sind. Von Wissenschaftlern erwarte ich eigentlich Objektivität und den Willen sich mit der Materie ordentlich zu beschäftigen. Dies ist meiner Meinung nach hier nicht geschehen.

Es ist sehr schade, dass sich Bürgermeister Austermann dazu überreden ließ eine Stellungnahme bei der Hochschule anzufordern. Ich hoffe jedenfalls, dass diese ihn dazu bewegen wird, den „Skandal“ öffentlich zu beenden und Abbitte bei Luisa Preißler zu leisten. Alles andere wäre der eigentliche Skandal an dieser ganzen Geschichte.


Special vom: 16.02.2013
Autor dieses Specials: Bernd Glasstetter
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Comic erregt Politikergemüter
Interview mit Dr. Harald Pohlmann, Fraktionsvorsitzender der CDU in Lemgo
Interview mit Dr. Oliver Herrmann, Präsident der Hochschule Ostwestfalen-Lippe
Interview mit Luisa Preißler, Autorin des Comics Hexenrichter
Gastbeitrag: Szene eines tödlichen Gerichtsverfahrens
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