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Ohne Industrie keine Comic-Kunst
Interview mit Paco Roca, geführt von Christof Ruoss

Paco Roca ist einer der erfolgreichsten spanischen Zeichner, der 1969 in Valencia geboren wurde. Der genaue Beobachter mit der spitzen Feder ist ein sehr vielseitiger Comicautor und Illustrator. Ursprünglich arbeitete Roca für die Werbung und gründete schließlich sein eigenes Zeichenstudio in Valencia. Neben Auftragsarbeiten, mit denen er seinen Lebensunterhalt verdient, erfindet er Comic- Geschichten. Mit Der Winter des Zeichners (Reprodukt) erscheint erstmals ein Werk des spanischen Künstlers in Deutschland. Die ambitionierte Geschichte über das Verlagshaus Bruguera und fünf Zeichner, die dem Fließbandbetrieb des Comic-Monopolisten entfliehen wollen, wurde beim Salón del Cómic de Barcelona 2011 mit dem Premio al mejor guión und dem Premio a la mejor obra ausgezeichnet. Zum Erscheinen der Graphic Novel sprach Christof Ruoss mit Paco Roca für ZACK.

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Hallo Paco, Glückwunsch zur Veröffentlichung Deines ersten Buches auf dem deutschsprachigen Markt! Der Winter des Zeichners erzählt seine Geschichte vor einem konkreten kulturhistorischen Hintergrund, von dem wir deutsche Leser nur wenig wissen.

Kannst Du uns kurz beschreiben, was der Verlag Bruguera für den spanischen Comic-Markt und die spaniche Szene bedeutet?


Die Geschichte des Verlages Bruguera erstreckt sich über nahezu 70 Jahre, in denen sich das Haus zu einem der maßgeblichen, wenn nicht überhaupt dem wichtigsten Verlag für Populärliteratur in Spanien mit Niederlassungen in ganz Lateinamerika entwickelte. Man publizierte Comics, Kinder- und Jugendzeitschriften, Romanheftserien wie auch Klassiker der Weltliteratur, Sticker-Sammelalben und vieles mehr. Gegen Ende der 50er Jahre, als das Fernsehen in Spanien noch nahezu inexistent war und somit keine ernstzunehmende Konkurrenz für den Kinder-Comic darstellte, erreichten die Hefte und Magazine des Verlags monatliche Auflagen von bis zu einer Million und ihre Helden gehörten zum allgemeinen Kulturgut bei Groß und Klein.

Inwieweit waren diese Publikationen auch für Dich, der Du – als Kind des demokratischen Übergangs nach Ende der Franco-Diktatur – nur noch die letzten Jahre des langsamen Niedergangs der Bruguera-Ära erlebt hast, trotzdem prägend?

Wie unzählige Kindergenerationen vor uns wuchsen auch wir noch mit der nahezu unüberschaubaren Palette an Publikationen des Verlages und deren Helden auf. Ich selbst bekam die Sachen im Laufe der 1970er Jahre in die Hände. Die Hefte und Sammelbände dieser Zeit dürften sich jedoch kaum von denen aus den 1950er Jahren unterschieden haben. Die Politik des Verlages, sein Archivmaterial in einer Vielzahl immer wieder neu zusammengestellter Formate, Jahr für Jahr mit immer weniger Neumaterial angereichert, stetig wiederzuveröffentlichen, führte dazu, dass sich die Publikationen über Jahrzehnte hinweg sehr ähnlich waren.

All die Zeichner und Autoren aus über fünf Jahrzehnten ‘Bruguera-Schule’ sorgten dafür, dass Millonen spanischer Kinder den Comic kennen und lieben lernten und, in meinem Fall, dass ich von klein auf selbst ein solcher Comic-Künstler werden wollte.

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Von den Comics aus der Bruguera-Schmiede mal abgesehen – welche Comics oder Serien waren damals sonst noch prägend für Dich?

Tim und Struppi, Asterix, Spirou ... Leutnant Blueberry, auch die Superhelden ...

... und was liest Du heute am liebsten?

Ich versuche nach wie vor, die internationale Entwicklung in allen Sparten und Stilistiken so gut es geht zu verfolgen und habe dabei zahlreiche Favoriten: europäische Autoren wie Giardino, Peeters oder Sfar. Mangakünstler wie Taniguchi und Mizuki. Oder Amerikaner wie Daniel Clowes, Seth, David Mazzucheli, Chris Ware und viele andere.

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Wer Deinen Werdegang als Zeichner kennt, weiß, dass Du Dich stilistisch stets weiterbewegst. Jedes neue Buch bietet eine neue Spielart, eine noch ungekannte stilistische Facette des Zeichners Paco Roca. Was führte Dich zu dem Stil, den Du schließlich für den Winter gewählt hast? Warst Du zu irgendeinem Zeitpunkt versucht, Dich der Geschichte in einer Stilistik anzunähern, die der klassischen ‘Bruguera-Schule’ näher läge?


Natürlich lag diese Überlegung erstmal nahe. Doch eine Umsetzung in einem ‘typischen Bruguera-Stil’ hätte dem Werk nicht gut getan, wäre zur reinen Stil-Fingerübung mutiert. Ich spürte, dass ich einen sehr viel realistischeren Ansatz brauchte, in welchem die detailliert dokumentierten Schauplätze gut funktionieren würden. Das Ambiente der Stadt Barcelona in den Fünfzigern ist ein mindestens ebenso wichtiger Handlungsträger der Erzählung wie ihre menschlichen Hauptdarsteller.

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Für diejenigen von uns, die wir nur wenig von der Geschichte des spanischen Comics wissen, bietet Dein Buch zwei unterschiedliche Möglichkeiten, gelesen zu werden: Da ist zum einen der fundiert recherchierte Blick auf einen konkreten Moment jüngerer spanischer Historie und eine spezielle Form frühindustrieller Comic-Produktion.

Andererseits liest sich der Band auch als allgemeine Parabel über kreatives Arbeiten in einem repressiven Umfeld.

Welche dieser Lesarten erscheint Dir dabei wichtiger? Und würdest Du eine ähnliche Geschichte erzählt haben, hätte es die Geschichte der “Fabrik” Bruguera und ihrer Autoren nie gegeben?


Eingangs war mir erstmal nur klar, dass ich etwas über die Herkunft der Comics meiner Kindheit machen wollte, eine Hommage an deren Schöpfer. Doch ich wusste noch nicht, in welchem Moment der Verlagsgeschichte ich die Erzählung ansiedeln sollte. Im Zug meiner Recherchen stieß ich dann auf die Gründung der Zeitschrift Tio Vivo durch einige abtrünnige Bruguera-Autoren. Dieses Geschehen erlaubte mir zum einen, eine der düstersten Phasen spanischer Geschichte – das Leben unter der Franco-Diktatur – sowie fünf republikanisch geprägte Zeichner in ihrem individuellen Kampf gegen das System zu porträtieren. Zum anderen konnte ich den Alltag dieser Künstler beschreiben, deren Situation stets näher an der eines Lohnarbeiters denn der eines anerkannten Künstlers lag. Der versuchte (und gescheiterte) Ausbruch dieser Autoren gab mir Gelegenheit, ein universelles und gerade heute immer noch aktuelles Thema anzusprechen: den Kampf des Autors um seine Würde und die Rechte an seiner Schöpfung.

Für das deutsche Publikum besonders interessant ist der Einblick in ein Comic-Produktionsmodell, welches in halbindustrieller Form Serienmaterial quasi “am Fließband” generierte. Ein System, das uns so im deutschsprachigen Raum, damals wie heute, eher unbekannt ist. Wie erklärst Du Dir, dass inmitten eines solch restriktiven Produktionssystems, neben einer Menge Mittelmaß, doch auch zahlreiche “Perlen” und bis heute unvergessene Serien und Helden entstehen konnten?

Eben diese “Perlen” entstehen im Grunde nur auf dem fruchtbaren Boden einer funktionierenden Industrie. Sicher bringt eine solche stets in erster Linie eine lediglich “Systemernährende” Durchschnittsproduktion hervor. Das schlichte Vorhandensein einer produktiven Industrie aber nährt eben erst eine lebendige Szene professionell arbeitender Künstler ... aus der dann wiederum manch bleibendes und richtungsweisendes Werk hervorgehen kann. Genau das passiert beispielsweise in der fernöstlichen Manga-Produktion, im US-Markt vor dem Hintergrund des Superhelden- Mainstreams oder im frankobelgischen Markt. Schwieriger wird es, dort Juwelen zu finden, wo es keine Industrie als Nährboden gibt!

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Special vom: 26.11.2012
Autor dieses Specials: Christof Ruoss
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