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Porträts über Kreuz
"Anfang der Achtzigerjahre war der Erwachsenencomic zwar ästhetisch sehr verführerisch, für mich aber dennoch deprimierend düster. Seinerseits erneuerte sich der Comic für Jugendliche zwar, ging jedoch in eine Richtung, die mir auch nicht gefiel. Ich hatte eine Vorliebe: Ich fühlte mich zur Literatur hingezogen, insbesondere zu der, die Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts populär war. Das und eine Riesenlust auf Räume, Lichter und ferne Landschaften ... Theodor Pussel ist aus diesem Bedürfnis heraus entstanden. Zusammen wollten wir in den Orient fliehen, in einen geheimnisvollen Orient voller Träume, in einen Orient der Kindheit ..."

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1987 in Brüssel. Teddy, wie Frank ihn nennt, entdeckt die ersten von George Towns Geheimnis

1984: Ein 25-jähriger junger Mann sitzt an seinem Zeichentisch und fragt sich, wohin ihn wohl die Figur mit der runden Brille führen wird, die er gerade zeichnet. Frank Le Gall hat bereits Kurzgeschichten in der Zeitschrift Pistil veröffentlicht, bevor er 1980 im Magazin Spirou Fuß fasst. "Als ich sehr jung war, in der Grundschule, so etwa 1968 oder 1969, gab es zwei Dinge, die uns faszinierten: Comics, in erster Linie Tim und Struppi, Asterix und Lucky Luke, und diese elektrische Musik aus England, vor allem The Beatles! Für mich war es aber naheliegender, Cowboys und Ritter in Hefte zu zeichnen, als mir eine elektrische Gitarre zu kaufen, ein nicht realisierbarer Traum. Hinzu kam, dass Zeichnungen eine sofortige Wirkung auf alle Kumpels hatten, egal, wie gut oder wie schlecht man war!" In diesem November 1984 zeichnet Frank Le Gall zum ersten Mal Theodor Pussel. "Ich habe mich mit viel Naivität an Das Geheimnis des Kapitän Stien gewagt, ohne richtig zu realisieren, was ich eigentlich tat. Es war die erste Episode einer Serie, und ich wusste das, ohne es wirklich zu verstehen. Erst die Erwartungen des Publikums und die Ermunterungen der Spirou-Redaktion nach der Zeitschriftenveröffentlichung haben mir die Augen geöffnet... und mich gleichzeitig etwas erschreckt!" Inspiriert wird er zu Anfang von seinem Großvater, Theodore-Charles Le Coq, der an Bord der Cap Saint-Jacques gearbeitet hatte. "Der Anfang von Das Geheimnis des Kapitän Stien ist authentisch, inklusive der Texte aus dem Tagebuch, das mein Großvater an Bord geschrieben hatte. Selbst die unwahrscheinliche Geschichte des verschwundenen Onkels ist wahr! Aber der Rest ist nur eine Ansammlung von Erfindungen und bei jeder von ihnen erinnerte mich mein Großvater - der Wahrheit verpflichtet, um selbst nicht für einen Spinner gehalten zu werden - vorsichtig daran: "Weißt du, das hier habe ich nicht erlebt!""

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Der wirklich erste Auftritt von Theodor Pussel auf Seite 1 von Das Geheimnis des Kapitän Stien. Ein nicht verwendetes Bild.

theodor_pussel71927: Ein 25-jähriger junger Mann sitzt an seinem Schreibtisch in der Firma Seefracht - Verschiffung - Dünkirchen. Er fragt sich, ob nicht eines Tages Singapur, Schanghai und die geheimnisvollen Regionen, von denen er träumt, nicht mehr nur einfache Namen auf dem Papier sein werden, sondern tatsächliche Fahrtziele. Dieser junge Mann heißt Theodor Pussel. "Das glaubt mir zwar keiner, aber der Name Poussin stammt gar nicht von dem Namen Le Coq." [Anm. d. Übers.: Pussels frz. Name lautet "Poussin" und bedeutet "Küken"; "le coq" ist "der Hahn".]

"Ursprünglich hieß meine Figur Theodore-Louis Stierbecke. Ich mochte den flämischen Klang des Namens und seine "reelle" Bedeutung, sogar für Franzosen unaussprechbar. Doch Philippe Vandooren, damals Chefredakteur von Spirou, überzeugte mich davon, einen einfacheren Namen zu suchen. Und so wählte ich in letzter Sekunde, ohne weiter darüber nachzudenken, hervorgekramt aus einem anderen Szenario: Poussin. Ich brauche hier wohl nicht meine Überraschung und meine Perplexität zu erklären, als Leser und Journalisten mich auf dieses schlechte Wortspiel aufmerksam machten!" Theodors Gesicht ist so rund wie seine Brille und so glatt wie ein Kiesel. Seine Physiognomie strahlt Generosität und eine gewisse Naivität aus. Man könnte sagen, ein Öltropfen, der über die Ereignisse und die Dinge gleitet, ohne jemals Widerstand zu leisten. Die Zeichnung, selbst wenn sie von der ligne claire [dt.: klare Linie] beeinflusst ist, ist schon sehr persönlich. Der Stil ist noch nicht ausgeprägt, aber die kleine Figur, die Frank Le Gall gerade geschaffen hat, indem er manchmal mit den Proportionen spielt, ist schon unverkennbar. "Das Geheimnis des Kapitän Stien zu zeichnen bereitete mir viele Probleme, die ich meist so löste, dass ich einfach weitermachte, ohne zu sehr darüber nachzudenken. Es waren meine ersten "44 Seiten", und so ein 44-Seiten-Album ist entsetzlich lang! Und ich musste viele für mich ganz neue Dinge zeichnen. Ich hatte so gut wie keine Dokumentationen zur Verfügung und es stellte sich für mich jeden Tag die Frage, wie ich eine chinesische Dschunke oder eine Straße in Haiphong in diesem etwas "fabrizierten" Stil hinkriegen sollte, der sich von all dem sehr abhob, was ich bisher gemacht hatte.

Doch es war ein Segen, dass ich genau die Bilder zeichnete, von denen ich als Kind immer geträumt hatte: die brüllende Sirene eines Schiffes, einen Frachter auf hoher See, exotische Häfen, den Dschungel..." Seufzend hört Theodor, wie die Schiffe in den Hafen einlaufen. Ihm reicht es nicht mehr, dem Gesang der Sirenen nur zu lauschen. Er möchte ihm erliegen und an Bord eines dieser abfahrbereiten Schiffe gehen. Und von dem Tag an, an dem ihm sein Vorgesetzter verkündet, er dürfe gehen, wenn er wolle, wird nichts mehr sein wie früher. Sein Leben scheint plötzlich einen Sinn zu bekommen. Mit dieser Abreise nimmt Frank Le Gall Theodor an die Hand, um ihn nicht mehr loszulassen.


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Filzstift-Studie für das Titelbild von Das Geheimnis des Kapitän Stien, damaliger Titel: Que s'est-il passe ä Haiphong en 14? [Dt.: Was ist 1914 in Haiphong passiert?]


Special vom: 22.11.2012
Autor dieses Specials: Ehapa
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Carsten Rittgarns Daumen zeigt nach oben
Le Gall: Ein Standbild
Ein Passagier namens Theodor Pussel
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