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Interview mit Simon Schwartz

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simon_schwartzHallo Simon. Mit Packeis ist nun dein zweites Werk erschienen. Wie lange hast Du an dem Buch gearbeitet und inwieweit entspricht der fertige Comic deinen Vorstellungen vor dem Projektbeginn?
Insgesamt habe ich fast 2 ½ Jahre an dem Buch gearbeitet. Inwiefern das finale Ergebnis meinen anfänglichen Vorstellungen entspricht lässt sich schwer sagen. Einige Szenen und speziell das Ende waren von Beginn an sehr konkret in meinem Kopf, andere waren noch bis kurz vor Schluss in der Schwebe.

Packeis bearbeitet eine amerikanische Lebensgeschichte, die sich indirekt auch mit der Politik des Landes auseinandersetzt. Kannst Du erklären, warum bisher in den Staaten so wenig Material über Matthew Henson veröffentlicht wurde und warum erst ein deutscher Comickünstler kommen musste, um die Geschichte aus dem heutigen Blickwinkel zu erzählen?
Der Mangel an Informationen über Henson ist mit Sicherheit dem Desinteresse seiner Zeit geschuldet. Wieder entdeckt wurde erst in den 1960er und 1970er als Folge der Bürgerrechtsbewegung. Im Wesentlichen interessieren sich auch heute fast nur noch afroamerikanische Vereinigungen für sein Erbe.

Das was man über Henson weiß sind zumeist nur die Fakten. Das für ihn wichtige erste Treffen mit Peary und ihre gemeinsame Zeit in Nicaragua behandelt Henson in seiner eigenen Autobiografie z.B. auf gerade einmal einer halben Seite. Faktisch Informationen über Henson gibt es, aber rein menschlich ist er eine Enigma und das hat mich gereizt. Wie tickt so jemand.

Unsere angeblich objektive und rationale Geschichtsschreibung lehren uns, dass Robert Peary der erste Mensch am Nordpol war. Das ist aber weder rational noch objektiv. Der einzige Mensch der uns das berichtet ist Peary selbst und defakto war Henson sogar fast eine Stunde vor ihm da.

Dem gegenüber stelle ich deshalb in Packeis die Sagenwelt der Inuit in die Henson tatsächlich als das mystische Wesen Mahri Pahluk eingegangen ist. Das Erinnern der eigenen Geschichte von Naturvölkern durch Sagen und Gesänge ist zutiefst subjektiv, in diesem Fall jedoch wahrhaftiger als der vermeintliche historische Fakt, den hier hat Henson als erster den Pol erreicht.

Bei einigen Seiten im Buch wechselt die Zeit zwischen den Panels. Einmal sieht der Henson_AltundJungLeser Matthews Henson als jungen Mann auf dem Boot, und gleich danach als alten Mann im Museum. Was willst Du mit diesem ungewohnten Seitenaufbau aussagen?
Speziell in dieser Szene sehen wir Matthew Henson in zwei unterschiedlichen Lebensphasen. Einmal am Anfang und das andere Mal am Ende seines Lebens. Die Situationen denen er in diesen Szenen begegnet sind sich recht ähnlich, seine Reaktionen darauf aber absolut unterschiedlich. Diese beiden Szenen sind zusammen quasi die Prämisse des Buchs und bestimmen seinen Grundtenor.

Ferner bevorzuge ich eine nicht chronologische Erzählform. Man sollte den Leser nicht unterschätzen und ihm immer alles vorkauen. Ich glaube, dass im Verschlüsselten und Vagen große erzählerische Spannung liegt.

cityEin Teil von Packeis wurde als Preview in der monatlichen Zeitung Comix abgedruckt. Warum hast Du dieses Medium genutzt und wie fällt dein Resümee zu der Aktion aus?
Mit der Anfrage für den Vorabdruck von Packeis wurde schon bevor das Buch vollendet war an mich herangetreten. Natürlich muss ich gestehen, dass der Zeitungsdruck und das Format mir bei weiten nicht so gut gefallen, wie das finale Buch. Der Vorabdruck gab mir aber die Möglichkeit meine Arbeit einer völlig anderen Leserschaft näher zu bringen, die vielleicht etwas konservativer ist und sonst eher einen Bogen um Graphic-Novels macht.

Kannst Du bitte erklären, wie Deine Arbeitsweise bei Packeis aussah.

Am Anfang stand natürlich die Recherche. Aber zunächst brüte ich meist  Wochen oder Monate über einem Thema. Ich muss mir sicher sein, dass mich die Geschichte stark genug interessiert, damit ich nicht Gefahr laufe etwas zu beginne, an dem ich nach nur einem Jahr das Interesse verliere.

Recht bald sind dann einige Ideen und Szenen in meinem Kopf, die ich dann auch gleich schreibe und zeichne. Dabei kommen meist neue Ideen und so baue ich das ganze wie einen Flickenteppich zusammen, ohne dabei natürlich das große Ganze aus den Augen zu verlieren.

Im Anhang des Buches findet sich eine umfangreiche Zeittafel. Dort ist auch zu lesen, dass Matthew Hensons Frau erst nach ihm starb. Matthew_HensonIm Comic ist dies aber anders herum. Warum hast Du diesen Fakt für die Story geändert?
Ich hatte nie den Anspruch ein Geschichtsbuch über das Leben von Matthew Henson zu zeichnen. Es ist eine freie literarische Annäherung. Eine Geschichte über Einsamkeit und Demontage. Erzählerisch machte es deshalb Sinn in zum Witwer zu machen, zumal seine Frau Lucy im Buch die einzige in positiver Hinsicht aktive Person in seinem Leben ist.

Es gibt nur sehr wenige Informationen über Lucy Henson und meine Charakterisierung basiert auf einer kurzen Beschreibung von Lucy in einem  Artikel der New York Times von 1932. Am Ende ist sie die Person im Buch, die Matthew Henson all die Fragen stellt, die ich an ihn habe.

Der historische Anhang im Buch ist gerade auf Grund meiner literarischen Freiheiten wichtig, um sie dem Leser als solche erkenntlich zu machen und ferner auch ein noch umfassenderes Bild von Hensons Lebensgeschichte zu geben.

schneemusterDie für mich erschreckendste Stelle im Comic war der Diebstahl der Meteoriten und die Entführung der Inuit mit den dargestellten Folgen für die Menschen. Im Buch wird Henson dafür die Schuld gegeben. Wie denkst Du persönlich darüber? Und weißt Du, ob es neue Bestrebungen gibt die Gesteine den Inuit zurückzugeben?
Nun, ich würde ihm jetzt nicht die Generalschuld zuweisen und wie genau seine Rolle bei dem Diebstahl war weiß ich nicht, aber ich wollte mit dieser Szene aufzeigen, dass er mit seinen Ängsten und Nöten aus dieser ganzen Geschichte auch nicht mit einer weißen Weste hervor gegangen seien kann. Im Grunde ist er ja auch, ob freiwillig oder unfreiwillig, Teil dieser imperialistischen und von nationalen Bestrebungen geprägten Entdeckung Grönlands.

Das die Meteoriten je zurück nach Grönland kommen halte ich für unwahrscheinlich. Schließlich sind sie die Herzstücke des New Yorker Naturkundemuseums.

In Packeis wird viel über die Mythologie der Inuit gesprochen. Wie aufwendig war die Recherche zu dieser Thematik? Gibt es diesbezüglich Lektüre auf Deutsch?

Es gibt nicht viel auf Deutsch, jedoch einige Märchensammlungen. Auch konkrete Geschichten über Mahri Pahluk gibt es kaum und so benutze ich die mystische Welt in Packeis als Kommentar, der die Dinge noch einmal aus einem anderen Blickwinkel nacherzählt und sich mit der regulären Handlung immer mehr vermischt. Optisch habe ich mich hier für an schamanistischen Masken der Inuit orientiert.

Ist das Phänomen Mahri Pahluk, also die Glorifizierung Matthew Hensons durch die Inuit, nur auf das kleine Dörfchen in Grönland begrenzt, oder hat sich der Mythos weiter ausgebreitet?
Prinzipiell muss man sagen, dass es so etwas wie feste Dörfer um 1900 nicht gab. Die einzelnen Stämme wanderten umher, suchten aber bestimmte Orte zu bestimmten Jahreszeiten immer wieder auf. So auch im Fall von Etha, von wo aus auch viele westliche Expeditionen starteten. Mittlerweile leben fast alle Inuit in festen Ortschaften und ehemalige temporäre Siedlungsorte wie Etha sind verlassen.
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Der Mythos von Marie Pahluk wurde erstmals von dem dänischen Polarforscher Peter Freuchen erwähnt, der davon 1910 erfuhr und sehr schnell die Verbindung zu Matthew Henson erkannte. Vermutlich wird sich aber diese Verehrung Hensons nur auf einen oder wenige Stämme beschränkt haben.

Mit drüben! und Packeis hast du zwei Comics veröffentlicht, die vorrangig real-historische Ursprünge haben. Siehst Du in dieser Sparte deine künstlerischen Stärken? Kann man in Zukunft auch einmal ein reines fiktionales Werk erwarten?
Ich mag es auf jeden Fall historische Stoffe zu bearbeiten. Das Recherchieren und Forschen kommt meiner Erzählweise sehr entgegen. Im Gegensatz zu drüben! habe ich mir bei Packeis aber wie schon gesagt auch einige literarische Freiheiten genommen. Gerade diese Schnittstelle von Fakt und Fiktion finde ich sehr spannend und vielleicht werde ich das in Zukunft weiter vertiefen.

Ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen und wünsche weiterhin viel Erfolg bei deiner Arbeit!


Zum Autor:

Simon Schwartz wurde 1982 in Erfurt geboren und wuchs in Berlin-Kreuzberg auf.
2004 zog er nach Hamburg und begann dort ein Studium zum Illustrator an der HAW-Hamburg, wo er mit seinem Debut "drüben!" fünf Jahre später diplomierte.
Das Buch erhielt viel positive Presse, wurde mit dem "ICOM Independent-Comic-Preis" ausgezeichnet und für den "Deutschen Jugendliteraturpreis" nominiert.
Seine Comics und Illustrationen erscheinen regelmäßig in diversen Zeitungen und Magazinen, u.a. die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung", den "Tagesspiegel", "Der Freitag", "GEOlino" und "Die Zeit".
Momentan hat er einen Lehrauftrag für Illustrationen an der HAW Hamburg.
Simon Schwartz lebt und arbeitet in Hamburg.

www.simon-schwartz.com

Weitere Infos zu Packeis:

http://packeis.blogspot.de

http://avant-verlag.de

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Special vom: 01.04.2012
Autor dieses Specials: Christian Recklies
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Wie entsteht eine Packeis-Seite?
Packeis Videotrailer
Packeis - Leseprobe
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