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Graphic Novels: Chance für den Comic zu mehr Akzeptanz? Eine Diskussionsrunde

Graphic Novels:
Chance für den Comic zu mehr Akzeptanz?


Graphic Novels sind keine Neuerfindung, da es diese Art von Comics schon sehr lange gibt. Neu aber ist, dass sich Comic-Verlage dazu entschieden haben, Comic-Alben und Bücher, die in die Definition Graphic Novel passen, entsprechend auszugliedern und zu bewerben. Das Konzept hat zu spürbar mehr Beachtung für diverse Publikationen in den Medien geführt. Die fünf Comicverlage avant-verlag, Carlsen Comics, Edition 52, Edition Moderne und Reprodukt haben unter www.graphic-novel.info sogar eine verlagsübergreifende Website zum Thema Graphic Novels installiert, auf der u. a. ständig News, Interviews und Berichte über Neuerscheinungen im Segment veröffentlicht werden.

Die Definition des Begriffs Graphic Novel ist umstritten und so gehen die Meinungen in der Fachpresse zu diesem Thema weit auseinander.
Auf der o. g. Homepage wird die heutige, sehr vielfältige Ausprägung der Graphic-Novel-Landschaft inhaltlich wie folgt beschreibt: „Da gibt es anspruchsvolle und bewegende Werke mit literarischem Anspruch, autobiografisch inspirierte Geschichten, aufschlussreiche Reiseberichte, lyrische Erzählungen, kenntnisreiche Biografien, nicht immer lustige Kinder- und Jugendbücher und spannende Krimis. Auch manche Titel aus den Bereichen Fantasy und Science Fiction kann man dazu zählen.“Anfang März 2011 wurde von der Süddeutsche Zeitung eine Graphic-Novel-Edition veröffentlicht. Die zehn Titel umfassende Reihe läuft unter dem Motto “Literatur trifft Illustration”. Darunter sind schwerpunktmäßig Titel mit biografischem und autobiografischem Inhalt. Die wohl bekanntesten Titel sind Ein Vertrag mit Gott von Will Eisner, Persepolis von Marjane Satrapi, Vertraute Fremde von Jiro Taniguchi und Cash – I see a darkness von Reinhard Kleist.
Die Aktualität des Themas „Graphic Novel“ aufgreifend, stellte die ZACK-Redaktion in einem „Crossover-Interview“ Fragen rund um das „neue“ Genre an beteiligte Verlage, Künstler und Buchhandelsvertreter.
Die Verlagsantworten für Reprodukt, Edition Moderne und Avant lieferte Pressevertreterin Jutta Harms, die Antworten von Carlsen Comics stammen von Ralf Keiser. Für den Buchhandel äußerte sich Thalia-Pressesprecherin Mirjam Berle und für den Bereich Künstler wurde Reinhard Kleist befragt. Die Antworten der Süddeutschen Zeitung lieferte Marion Meyer, Leiterin Neue Produkte, und für die Edition 52 Uwe Garske.

Graphic_Novels_1Wie entstand die Idee zur Bibliothek Graphic Novels der Süddeutschen Zeitung? Wer hat die Auswahl getroffen?
Marion Meyer: Die Idee ist bei mir entstanden, als ich in kurzer Folge spannende Rezensionen über Graphic Novels sowie einen Artikel über dieses neue „Genre“ gelesen habe. Nach ausführlicher Recherche habe ich entdeckt, welche tollen Titel es gibt, und fand, dass dies ein aufregendes Thema für eine neue Edition der Süddeutschen Zeitung ist – auch weil dies etwas ist, was wir gerne einer größeren Zielgruppe vorstellen möchten. Nach Rücksprache mit der Feuilletonredaktion, insbesondere Martina Knoben, die auch in Absprache mit den Kollegen die Titelauswahl vorgenommen hat, haben wir das Thema final abgestimmt.

Wann wurden Graphic Novels für Sie als besonderes Comic-Segment zum Thema?
Jutta Harms: 2006 erfuhren wir bei Reprodukt, dass bald in größeren Belletristikverlagen Graphic Novels erscheinen würden. Das waren vor allem Fun Home bei KIWI und Maus bei S. Fischer. Das sahen wir zum einen als Chance, dass sich bald auch der Buchhandel mit Graphic Novels befassen würde. Zum anderen aber sahen wir auch die Gefahr, dass Comicverlage, die schon lange Graphic Novels veröffentlichen, mit der Marktmacht der Publikumsverlage nicht würden mithalten können. Das betraf nicht nur Reprodukt, und so sprachen wir die Kollegen in anderen Verlagen an, also Edition Moderne, avant-verlag und Edition 52.
Ralf Keiser: Wir haben unseren Graphic-Novel-Stempel 2007 aus der Taufe gehoben, und der Band Autoroute du soleil war der erste Titel bei uns, der diesen Stempel bekam. Später haben dann auch einige andere Verlage ein Logo bzw. einen Aufkleber entwickelt, aber daran waren wir nicht beteiligt.

Waren bessere Platzierung im Buchhandel und damit auch andere Leserzielgruppendie Zielrichtung der Graphic-Novel-Initiative?
Jutta Harms: Es ging uns in erster Linie darum, die neue Chance zu nutzen und gleichzeitig unsere Position gegenüber den Belletristik-Verlagen zu behaupten, die über wesentlich größere Budgets für PR, Werbung und Marketing verfügen. Die Maßnahmen, die wir dazu entwickelten, sind vor allem die Website und der gemeinsame Graphic-Novel-Flyer für den Handel, der mittlerweile bereits in fünfter Auflage erschienen ist. Diese Medien richten sich sowohl an den Buchhandel, wo es oft noch Erklärungsbedarf für Graphic Novels gibt, als auch an interessierte Leser. Wichtig ist uns auch der Comichandel, wo ebenfalls noch häufig die Chance verpasst wird, sich neue Kundenkreise zu erschließen. Sowohl der Flyer als auch die Website werden sehr gut angenommen. Wir bekommen überaus positive Rückmeldungen, und vom Flyer sind bereits 140.000 Stück gedruckt worden.
Ralf Keiser: Auch hier kann ich nur für Carlsen sprechen: Beides stimmt. Wir brauchten einen anderen Begriff, um erst einmal den Buchhandel zu überzeugen. Hätten wir gesagt: „Hey, wir haben jetzt anspruchsvolle Comics im Programm“, wäre die Reaktion vermutlich gewesen: „Comics?
Kenn ich. Die gehen nicht.“ Durch eine simple Umbenennung war die Frage dann: „Graphic Novel? Was ist das denn?“ Und schon hat man einen Dialog und kann anfangen, sein Gegenüber zu überzeugen.
Bei vielen potenziellen Lesern funktioniert das ähnlich. Die sehen sich vielleicht nicht als Comicleser, aber wenn man ihnen einen neuen Namen anbietet, interessieren sie sich auf einmal dafür.

Insgesamt fanden in jüngster Zeit verschiedene Graphic Novel-Veröffentlichungen spürbar mehr Beachtung in Presse, Radio und TV. Graphic_Novels_2Verfilmungen von Graphic Novels tragen zum Bekanntheitsgrad bestimmter Titel bei. Haben die Verlage mit der Ausgliederung bestimmter Comics unter dem Titel Graphic Novel einen geschickten Marketingweg beschritten, um Comics auch für den klassischen Buchleser interessant zu machen?
Jutta Harms: Der Begriff Graphic Novel dient der Orientierung. Im Buchhandel werden Comicserien, abseits der großen Klassiker, oft als schwierig empfunden. Comicserien muss der Händler gut kennen und pflegen, wozu im Buchhandel oft (zumindest noch) das Knowhow fehlt. Graphic Novel signalisiert, dass es sich um ein abgeschlossenes Werk handelt.
Genau wie bei Romanen ist dabei die ganze Bandbreite an Themen möglich, kann es sich um leichte Kost oder Schwergewichtiges handeln.
Wenn diese Erkenntnis sich schrittweise im Buchhandel durchsetzt, sind unsere Maßnahmen erfolgreich. Dann können Graphic Novels tatsächlich neue Leser erreichen.
Marion Meyer: Sicherlich ist die Etablierung der Graphic Novel in Hinblick auf Marketing hilfreich, würde sich aber nicht durchsetzen können, wenn dahinter nur ein anderes Etikett und keine inhaltlichen Merkmale stünden. Vielmehr ist es m.E. so, dass viele (Buch)Leser bei dem Begriff „Comic“ eine bestimmte Assoziation haben – die Witzfigur oder den Superheld – und die Vielschichtigkeit und Nuancen des Genres überhaupt nicht kennen: Die Themen die behandelt werden, die Art wie Geschichten erzählt werden – ohne Scheu vor problematischen Themen. Der Begriff der Graphic Novel hilft, dass Berührungsängste abgebaut werden, und macht hoffentlich neue Lesegruppen neugierig.
Mirjam Berle: Der Schritt, bestimmte Comics unter der Bezeichnung Graphic Novel auszugliedern ist vorteilhaft, um auf die inhaltlichen Unterschiede zum klassischen Comic zu verweisen. Eine klare Benennung ist sowohl für den Leser als auch für den Buchhändler hilfreich und zeigt, dass es sich um eine eigenständige Gattung handelt. So kann gerade ein so junges und hierzulande wenig bekanntes Genre auch von der gezielten Beratung der Buchhändler profitieren.
Ralf Keiser: Ja, ganz klar. Wie bereits von mir beschrieben, war das notwendig. Wir haben uns zum Vorbild genommen, wie damals Manga in Deutschland eingeführt wurden. Wenn man „japanische Comics in schwarz-weiß und um gekehrter Leserichtung“ angeboten hätte, wäre sicher nie diese Verbreitung erreicht worden. Aber mit dem (für viele Leser und Händler) vollkommen neuen Begriff Manga hat man den Einstieg geschafft. Und darauf kommt es an.
Uwe Garske: Sicherlich werden unter dem Markenetikett Graphic Novels neue Käuferschichten gewonnen, die vormals über den Bahnhofsbuchhandel bzw. über Comicläden nicht erreicht wurden. Allerdings liegt darin möglicherweise auch ein gewisses Risiko, denn dieser Weg kann nur Erfolg versprechend sein, wenn es weiter gelingt, anspruchsvolle Inhalte mit hoher künstlerischer Kompetenz zu bieten.
Der Begriff Graphic Novel ist in dem Augenblick tot und uninteressant, wenn er inflationär benutzt wird und nur noch als Pseudonym für Oneshots, biographische Inhalte oder Literaturadaptionen verwendet wird. 

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Special vom: 29.07.2011
Autor dieses Specials: Michael Hüster
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F.W. Tempel
Viva la Revolucion! Die Kubanische Revolution im Comic
VROOOAAAR oder über Freud und Leid eines Comic-Übersetzers
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