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Interview mit Herausgeber Mike Loos: Teil Zwei

7. Wie erarbeiten die Studenten ihre Illustrationen? Per Hand, oder per PC? Ist das Zeichnen am PC in ihrem Studiengang vorgesehen, oder wird dies aufgrund bestimmter Gründe ausgeschlossen?

ML: Die Arbeitsweisen im Projekt „Comicwerkstatt“ sind völlig unterschiedlich – und das ist auch gut so. Allerdings fordere ich zu Semesterende „druckfähige Daten“. Anna Gallenberger hat für Heft 3 alles von Hand gezeichnet/gemalt und diese Originale zum Schluss nur gescannt. Timo Decker hat in Heft 1 die gesamte Arbeit – vom ersten Scribble bis zur fertig getuschten und colorierten Seite – mithilfe eines Grafik-Tablets und Photoshop erstellt.
Die Fähigkeit mit einem Computer zu arbeiten, ist für einen Kommunikationsdesigner unerlässlich. Deshalb gibt es in den ersten Semestern das Fach „digitale Medien“ das aber nur einen kleinen Einstieg in die Grundlagen im Umgang mit den Programmen InDesign, Photoshop und Illustrator ermöglicht. Zusätzlich finden Workshops und Tutorien statt, die die Studierenden freiwillig besuchen können. Darin können bestehende Kenntnisse vertieft werden und es werden auch weitere Programmschulungen (Flash, 3-D Software, Animationssoftware) angeboten.

8. In dieselbe Richtung geht die Frage nach der Farbgestaltung. Ich nehme an, die Studenten erledigen diese Arbeiten (Inken, Kolorieren) selbstständig. Angesichts aufwendiger Hintergründe, wie zum Beispiel bei „Schönwettermann“ von Sarah Stowasser, stellt sich mir die Frage, wie viel Vorwissen die Studenten für Ihr Seminar benötigen und wie hoch der Zeitanteil für diese Arbeiten angesetzt wird.

ML: Ich setze voraus, dass im 4. Semester jedes Gruppenmitglied alle relevanten Grundlagen im Umgang mit dem Computer beherrscht. Das ist nicht Teil des Unterrichts, das würde zeitlich gar nicht gehen. Die meisten Teilnehmer sind einigermaßen fit am Computer. In kleinerem Rahmen gebe ich mitunter Hilfestellung, wenn nötig. Oft vermitteln sich die Studierenden auch gegenseitig Kenntnisse. Mein Unterricht umfasst in der „Fachklasse Illustration“ und im „Projekt Comicwerkstatt“ nur jeweils 6 Stunden pro Woche. In dieser Zeit kann keiner seinen Comic fertig stellen. Deshalb ist ein hoher Anteil an zeichnerischer Arbeit zu Hause zu erledigen. Wie viel Zeit das in Anspruch nimmt hängt vom persönlichen Engagement des jeweiligen Studierenden ab.

9. Die zweite Strichnin-Ausgabe hat den "Max-und-Moritz-Preis 2010" in der Kategorie "beste studentische Publikation" bekommen. Hat Sie diese Auszeichnung überrascht und wie wurde der Preis in Ihrem Fachbereich aufgenommen? Hat die Auszeichnung das Seminar „Illustration“ beflügelt, wird es nun folglich von Studenten überrannt?

ML: Der Preis kam für mich völlig überraschend – und ich hätte mir sehr gewünscht, dass es im Vorfeld der Preisverleihung einen kleinen Hinweis gegeben hätte. Denn leider waren die Zeichner und Zeichnerinnen von Heft 2 im Sommer 2010 schon auf dem Weg ins Berufsleben und nicht in Erlangen anwesend. Unser Stand dort wurde vom Team von Strichnin 3 betreut.
In unserem Fachbereich wurde der Preis von manchen Kollegen sehr positiv aufgenommen, die mir sofort per Mail gratuliert haben, von manchen auch komplett ignoriert.
In diesem Jahr war der Andrang zur Teilnahme am Projekt sehr hoch, die Gruppe umfasst derzeit 19 Leute, was eigentlich zu groß ist, um gut gemeinsam arbeiten zu können.  

10. In ihrem Vorwort ist Kritik am Bologna-Prozess zu erkennen. Wie schätzen sie die Folgen der Umbildung der Unis und FHs für die Ausbildung in Ihrem Studiengang ein? Ergeben sich neben der verkürzten Studiendauer weitere positive Faktoren? Macht sich die Straffung des Lehrplans auf die künstlerische Entwicklung der Studenten bemerkbar?

ML: Ja, ich sehe den Umbau der Studiengänge, die der Bologna-Prozess gefordert hat nicht ganz unkritisch. Wir haben in der Fakultät ein paar Verbesserungen geschafft, auf die ich stolz bin. Mit den Vorgaben durch die Bologna-Konferenz hat sich die Hochschullandschaft aber gleichzeitig auch Probleme eingehandelt. Vieles ist bürokratischer geworden, Spielräume sind, aus meiner Sicht, geschrumpft. Der Effizienzgedanke steht bei allem im Vordergrund, gleichzeitig wird ein permanent wachsender Verwaltungsapparat benötigt.  
Gerade die verkürzte Studiendauer empfinde ich als wenig positiv. Das ist ein trauriger Trend unserer Gesellschaft, dass auch persönliche Entwicklungsprozesse in immer kürzeren Zeiten durchlaufen werden sollen. Menschen benötigen Reifephasen, um zu Persönlichkeiten zu werden. Auch die künstlerische Entwicklung der jungen Gestalter kann nicht beliebig beschleunigt werden. Mitunter benötigt gute Gestaltung Irrwege und Umwege. Abkürzungen im kreativen Prozess können zur Verflachung der Ergebnisse führen.

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11. Das erste Strichnin-Heft  war eine Zusammenstellung der Entwürfe aus drei Semestern „Illustration“. Die letzten beiden Ausgaben enthalten die Arbeiten eines Jahrgangs, bei kürzerer Dauer der Fachklasse. In welchen Punkten wurde die Durchführung des Seminars optimiert, was wurde evtl. weggelassen und welche neuen Schwerpunkte werden gesetzt?

ML: Zu Beginn des Projekts, 2006, war mir selbst noch nicht ganz klar, wo es hingehen soll. Das ist ja meistens so, wenn man sich auf einen neuen Weg begibt ist man voller froher Erwartungen, und ahnt noch nicht, wo die Schlaglöcher und Fallgruben lauern. Inzwischen ist das Seminar straffer organisiert. Generell führe ich die Gruppe viel strenger als früher, sonst werden die Arbeiten in dieser kurzen Zeit einfach nicht fertig. Derzeit verzichte ich vollständig auf alle Vorträge zum Thema „Geschichte der Comics“, dafür spreche ich viel über Erzählstrukturen und Characterdesign und die Wirkung von Bildern und Bildsequenzen. Es gibt ein paar sehr detaillierte Strukturanalysen einzelner Comics wie „Held“ von Flix oder „Asterix und die Normannen“ von Goscinny/Uderzo oder „Strandsafari“ von Mawil, jeweils in einer Einzelvorlesung. Dazu vergleichende Gegenüberstellungen der Erzählweisen unterschiedlicher Comics und Genres („Persepolis“ von Marjane Satrapi, „Jimmy Corrigan“ von Chris Ware, „Elektra, Assasin“ von Sienkiewicz /Miller, „Fritz the Cat“ von Robert Crumb und vielen anderen). Es gibt ab und zu Gruppenpräsentationen, in denen sich jeder ein Feedback der anderen Teilnehmer abholt. Dazwischen Termine, bei denen ich mich im direkten Einzelgespräch mit der jeweiligen Arbeit der Studierenden beschäftige.

12. Wie hoch sind die einzelnen Auflagen der Strichnin-Hefte und wie sieht die Verbreitung aus? Gibt es das Heft auch in Comicläden bzw. Fachhandlungen?

ML: Die Auflage der ersten beiden Hefte lag bei 500 Exemplaren (Heft 1 ist fast vollständig ausverkauft), nun bei Heft 3 sind es 750 Stück.
Das Heft gibt es in Augsburg in den Buchhandlungen „Pustet“ und„Thalia“ sowie bei „Comictime“.
Der Freibeutershop und Hummelcomic haben ebenfalls „Strichnin“ auf Lager. Der Vertrieb ist ein echtes Problem, denn eigentlich bräuchte man dafür viel mehr Zeit, die mir leider fehlt.
Die meisten Verkäufe gehen über unsere Homepage, verstärkt in den süddeutschen Raum aber nicht ausschließlich.

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13. Der Tagesspiegel schreibt in einer Rezension zu Strichnin 2 „Dieses Buch zeigt, dass man sich um die Zukunft des deutschen Kunst-Comics offenbar derzeit keine großen Sorgen machen muss.“ Wie stehen Sie zu dieser Aussage? Gibt es so etwas wie einen Kunstcomic überhaupt? Sind einige Beiträge (bspw. von Eva Krusche, Anemone Kloos und Nico Speck in Strichnin #2 und #3) nicht schon reine Kunst, die nur noch wenig mit dem Medium Comic zu tun hat?

ML: Das kommt darauf an, wie man die Begriffe „Comic“ und „Kunst“ definiert. Alle drei von Ihnen genannten Arbeiten erzählen dem Leser eine Geschichte mithilfe der Kombination aus gezeichneten Bildsequenzen, Textinformationen und vergehender Zeit. Dabei lösen sich diese Geschichten allerdings von tradierten Erzählweisen des Comics. Ich begrüße diese experimentellen Ansätze, zumal wenn sie nicht aufgesetzt sind, sondern sich glaubhaft aus der persönlichen Haltung der Studierenden entwickeln. Diese Arbeiten bereichern das Heft und liefern der Gruppe während des Semesters wertvolle Impulse. Am weitesten entfernt sich die Arbeit von Nico Speck von dem, was man „Comic“ zu nennen gewillt ist. Interessant dabei ist folgendes: Herr Speck hatte zunächst mehr als die Hälfte des Semesters damit zugebracht einen „klassischen Comic“ zu zeichnen, weil er dachte, dass das von mir erwartet würde. Das ging aber total in die Hose. Irgendwann habe ich ihm gesagt, dass das auf keinen Fall veröffentlicht werden wird und ihm vorgeschlagen, er solle etwas komplett Neues anfangen, das auf Konventionen pfeift und dafür etwas mit ihm und seiner Sicht auf die Welt zu tun hat und an seine bisherigen künstlerischen Arbeiten anknüpft. Das Ergebnis ist sein Comic „Anfang“ in Heft 3. Dieser Beitrag ist ein völlig authentisches Werk, unverstellt und verwurzelt in der Persönlichkeit des Zeichners. Deshalb würde ich diesen Beitrag tatsächlich in der Nähe von Kunst verorten. Zur Frage, ob es „ so etwas wie einen Kunstcomic überhaupt“ gibt: Kunst entsteht aus „Haltung“, beschäftigt sich heutzutage stark mit „Wahrhaftigkeit“ und der Vermittlung „sinnlich und geistig wahrnehmbarer Erfahrungen“. Sie ist nicht an ein Medium gebunden, kann also theoretisch auch in Form eines Comics präsentiert werden.

14. Ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen und gebe Ihnen hiermit die Möglichkeit, dieses Gespräch mit abschließendem Worten zu beenden.

ML: Die Comicwerkstatt ist in dieser Konzeption nicht selbstverständlich für unseren Studiengang. Deshalb geht abschließend ein Dankeschön an den Dekan der Fakultät, dafür, dass er das Projekt mit Wohlwollen behandelt und dadurch als fortlaufendes Seminar ermöglicht.

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Special vom: 21.05.2011
Autor dieses Specials: Christian Recklies
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Einleitung
Prämiertes Gift - Vorwort des Herausgebers
Vorstellung: Fachklasse für Illustration
Vorstellung: Herausgeber Prof. Mike Loos
Interview mit Herausgeber Mike Loos: Teil Eins
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