7. Wie erarbeiten die Studenten ihre Illustrationen? Per Hand, oder
per PC? Ist das Zeichnen am PC in ihrem Studiengang vorgesehen, oder
wird dies aufgrund bestimmter Gründe ausgeschlossen?
ML: Die Arbeitsweisen im Projekt „Comicwerkstatt“ sind völlig
unterschiedlich – und das ist auch gut so. Allerdings fordere ich zu
Semesterende „druckfähige Daten“. Anna Gallenberger hat für Heft 3 alles
von Hand gezeichnet/gemalt und diese Originale zum Schluss nur
gescannt. Timo Decker hat in Heft 1 die gesamte Arbeit – vom ersten
Scribble bis zur fertig getuschten und colorierten Seite – mithilfe
eines Grafik-Tablets und Photoshop erstellt.
Die Fähigkeit mit einem Computer zu arbeiten, ist für einen
Kommunikationsdesigner unerlässlich. Deshalb gibt es in den ersten
Semestern das Fach „digitale Medien“ das aber nur einen kleinen Einstieg
in die Grundlagen im Umgang mit den Programmen InDesign, Photoshop und
Illustrator ermöglicht. Zusätzlich finden Workshops und Tutorien statt,
die die Studierenden freiwillig besuchen können. Darin können bestehende
Kenntnisse vertieft werden und es werden auch weitere
Programmschulungen (Flash, 3-D Software, Animationssoftware) angeboten. 8. In dieselbe Richtung geht die Frage nach der Farbgestaltung. Ich
nehme an, die Studenten erledigen diese Arbeiten (Inken, Kolorieren)
selbstständig. Angesichts aufwendiger Hintergründe, wie zum Beispiel bei
„Schönwettermann“ von Sarah Stowasser, stellt sich mir die Frage, wie
viel Vorwissen die Studenten für Ihr Seminar benötigen und wie hoch der
Zeitanteil für diese Arbeiten angesetzt wird.
ML: Ich setze voraus, dass im 4. Semester jedes Gruppenmitglied alle
relevanten Grundlagen im Umgang mit dem Computer beherrscht. Das ist
nicht Teil des Unterrichts, das würde zeitlich gar nicht gehen. Die
meisten Teilnehmer sind einigermaßen fit am Computer. In kleinerem
Rahmen gebe ich mitunter Hilfestellung, wenn nötig. Oft vermitteln sich
die Studierenden auch gegenseitig Kenntnisse. Mein Unterricht umfasst in
der „Fachklasse Illustration“ und im „Projekt Comicwerkstatt“ nur
jeweils 6 Stunden pro Woche. In dieser Zeit kann keiner seinen Comic
fertig stellen. Deshalb ist ein hoher Anteil an zeichnerischer Arbeit zu
Hause zu erledigen. Wie viel Zeit das in Anspruch nimmt hängt vom
persönlichen Engagement des jeweiligen Studierenden ab. 9. Die zweite Strichnin-Ausgabe hat den "Max-und-Moritz-Preis 2010" in
der Kategorie "beste studentische Publikation" bekommen. Hat Sie diese
Auszeichnung überrascht und wie wurde der Preis in Ihrem Fachbereich
aufgenommen? Hat die Auszeichnung das Seminar „Illustration“ beflügelt,
wird es nun folglich von Studenten überrannt?
ML: Der Preis kam für mich völlig überraschend – und ich hätte mir sehr
gewünscht, dass es im Vorfeld der Preisverleihung einen kleinen Hinweis
gegeben hätte. Denn leider waren die Zeichner und Zeichnerinnen von Heft
2 im Sommer 2010 schon auf dem Weg ins Berufsleben und nicht in
Erlangen anwesend. Unser Stand dort wurde vom Team von Strichnin 3
betreut.
In unserem Fachbereich wurde der Preis von manchen Kollegen sehr positiv
aufgenommen, die mir sofort per Mail gratuliert haben, von manchen auch
komplett ignoriert.
In diesem Jahr war der Andrang zur Teilnahme am Projekt sehr hoch, die
Gruppe umfasst derzeit 19 Leute, was eigentlich zu groß ist, um gut
gemeinsam arbeiten zu können. 10. In ihrem Vorwort ist Kritik am Bologna-Prozess zu erkennen. Wie
schätzen sie die Folgen der Umbildung der Unis und FHs für die
Ausbildung in Ihrem Studiengang ein? Ergeben sich neben der verkürzten
Studiendauer weitere positive Faktoren? Macht sich die Straffung des
Lehrplans auf die künstlerische Entwicklung der Studenten bemerkbar?
ML: Ja, ich sehe den Umbau der Studiengänge, die der Bologna-Prozess
gefordert hat nicht ganz unkritisch. Wir haben in der Fakultät ein paar
Verbesserungen geschafft, auf die ich stolz bin. Mit den Vorgaben durch
die Bologna-Konferenz hat sich die Hochschullandschaft aber gleichzeitig
auch Probleme eingehandelt. Vieles ist bürokratischer geworden,
Spielräume sind, aus meiner Sicht, geschrumpft. Der Effizienzgedanke
steht bei allem im Vordergrund, gleichzeitig wird ein permanent
wachsender Verwaltungsapparat benötigt.
Gerade die verkürzte Studiendauer empfinde ich als wenig positiv. Das
ist ein trauriger Trend unserer Gesellschaft, dass auch persönliche
Entwicklungsprozesse in immer kürzeren Zeiten durchlaufen werden sollen.
Menschen benötigen Reifephasen, um zu Persönlichkeiten zu werden. Auch
die künstlerische Entwicklung der jungen Gestalter kann nicht beliebig
beschleunigt werden. Mitunter benötigt gute Gestaltung Irrwege und
Umwege. Abkürzungen im kreativen Prozess können zur Verflachung der
Ergebnisse führen.
11. Das erste Strichnin-Heft war eine Zusammenstellung der Entwürfe aus
drei Semestern „Illustration“. Die letzten beiden Ausgaben enthalten
die Arbeiten eines Jahrgangs, bei kürzerer Dauer der Fachklasse. In
welchen Punkten wurde die Durchführung des Seminars optimiert, was wurde
evtl. weggelassen und welche neuen Schwerpunkte werden gesetzt?
ML: Zu Beginn des Projekts, 2006, war mir selbst noch nicht ganz klar,
wo es hingehen soll. Das ist ja meistens so, wenn man sich auf einen
neuen Weg begibt ist man voller froher Erwartungen, und ahnt noch nicht,
wo die Schlaglöcher und Fallgruben lauern. Inzwischen ist das Seminar
straffer organisiert. Generell führe ich die Gruppe viel strenger als
früher, sonst werden die Arbeiten in dieser kurzen Zeit einfach nicht
fertig. Derzeit verzichte ich vollständig auf alle Vorträge zum Thema
„Geschichte der Comics“, dafür spreche ich viel über Erzählstrukturen
und Characterdesign und die Wirkung von Bildern und Bildsequenzen. Es
gibt ein paar sehr detaillierte Strukturanalysen einzelner Comics wie
„Held“ von Flix oder „Asterix und die Normannen“ von Goscinny/Uderzo
oder „Strandsafari“ von Mawil, jeweils in einer Einzelvorlesung. Dazu
vergleichende Gegenüberstellungen der Erzählweisen unterschiedlicher
Comics und Genres („Persepolis“ von Marjane Satrapi, „Jimmy Corrigan“
von Chris Ware, „Elektra, Assasin“ von Sienkiewicz /Miller, „Fritz the
Cat“ von Robert Crumb und vielen anderen). Es gibt ab und zu
Gruppenpräsentationen, in denen sich jeder ein Feedback der anderen
Teilnehmer abholt. Dazwischen Termine, bei denen ich mich im direkten
Einzelgespräch mit der jeweiligen Arbeit der Studierenden beschäftige. 12. Wie hoch sind die einzelnen Auflagen der Strichnin-Hefte und wie
sieht die Verbreitung aus? Gibt es das Heft auch in Comicläden bzw.
Fachhandlungen?
ML: Die Auflage der ersten beiden Hefte lag bei 500 Exemplaren (Heft 1
ist fast vollständig ausverkauft), nun bei Heft 3 sind es 750 Stück.
Das Heft gibt es in Augsburg in den Buchhandlungen „Pustet“ und„Thalia“ sowie bei „Comictime“.
Der Freibeutershop und Hummelcomic haben ebenfalls „Strichnin“ auf
Lager. Der Vertrieb ist ein echtes Problem, denn eigentlich bräuchte man
dafür viel mehr Zeit, die mir leider fehlt.
Die meisten Verkäufe gehen über unsere Homepage, verstärkt in den süddeutschen Raum aber nicht ausschließlich.
13. Der Tagesspiegel schreibt in einer Rezension zu Strichnin 2 „Dieses
Buch zeigt, dass man sich um die Zukunft des deutschen Kunst-Comics
offenbar derzeit keine großen Sorgen machen muss.“ Wie stehen Sie zu
dieser Aussage? Gibt es so etwas wie einen Kunstcomic überhaupt? Sind
einige Beiträge (bspw. von Eva Krusche, Anemone Kloos und Nico Speck in
Strichnin #2 und #3) nicht schon reine Kunst, die nur noch wenig mit dem
Medium Comic zu tun hat?
ML: Das kommt darauf an, wie man die Begriffe „Comic“ und „Kunst“
definiert. Alle drei von Ihnen genannten Arbeiten erzählen dem Leser
eine Geschichte mithilfe der Kombination aus gezeichneten Bildsequenzen,
Textinformationen und vergehender Zeit. Dabei lösen sich diese
Geschichten allerdings von tradierten Erzählweisen des Comics. Ich
begrüße diese experimentellen Ansätze, zumal wenn sie nicht aufgesetzt
sind, sondern sich glaubhaft aus der persönlichen Haltung der
Studierenden entwickeln. Diese Arbeiten bereichern das Heft und liefern
der Gruppe während des Semesters wertvolle Impulse. Am weitesten
entfernt sich die Arbeit von Nico Speck von dem, was man „Comic“ zu
nennen gewillt ist. Interessant dabei ist folgendes: Herr Speck hatte
zunächst mehr als die Hälfte des Semesters damit zugebracht einen
„klassischen Comic“ zu zeichnen, weil er dachte, dass das von mir
erwartet würde. Das ging aber total in die Hose. Irgendwann habe ich ihm
gesagt, dass das auf keinen Fall veröffentlicht werden wird und ihm
vorgeschlagen, er solle etwas komplett Neues anfangen, das auf
Konventionen pfeift und dafür etwas mit ihm und seiner Sicht auf die
Welt zu tun hat und an seine bisherigen künstlerischen Arbeiten
anknüpft. Das Ergebnis ist sein Comic „Anfang“ in Heft 3. Dieser Beitrag
ist ein völlig authentisches Werk, unverstellt und verwurzelt in der
Persönlichkeit des Zeichners. Deshalb würde ich diesen Beitrag
tatsächlich in der Nähe von Kunst verorten. Zur Frage, ob es „ so etwas
wie einen Kunstcomic überhaupt“ gibt: Kunst entsteht aus „Haltung“,
beschäftigt sich heutzutage stark mit „Wahrhaftigkeit“ und der
Vermittlung „sinnlich und geistig wahrnehmbarer Erfahrungen“. Sie ist
nicht an ein Medium gebunden, kann also theoretisch auch in Form eines
Comics präsentiert werden. 14. Ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen und gebe Ihnen
hiermit die Möglichkeit, dieses Gespräch mit abschließendem Worten zu
beenden.
ML: Die Comicwerkstatt ist in dieser Konzeption nicht selbstverständlich
für unseren Studiengang. Deshalb geht abschließend ein Dankeschön an den
Dekan der Fakultät, dafür, dass er das Projekt mit Wohlwollen behandelt
und dadurch als fortlaufendes Seminar ermöglicht. |