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Busch und die Gewalt
Reiche_Illu.jpg Volker Reiche: Ich muss dich, Ralf, zu deiner Geschichte was fragen. Um eins vorauszuschicken - bei Busch ist es oft so, dass er für böse Buben am Ende die Todesstrafe verhängt. Einerseits ist das wirklich so gemeint, nicht nur nach meiner Ansicht, sondern auch viele Buschforscher sind sich einig, dass Busch wirklich der Ansicht war, dass diese Knaben, diese quälsüchtigen Knaben, einfach böswillig waren, und dass das Böse zu bekämpfen ist. Und ganz praktischerweise hält er dann das Umbringen bzw. das "Zutodekommen" seiner Figuren für einen angemessenen moralischen Schluss.
Das ist sicherlich auch ein Kern von Busch. Man muss das aber auch relativieren. Denn es ist sicherlich auch so, dass er diese höchste Strafe - die Todesstrafe - auch verhängt, weil er dann gleichzeitig mit seinen lustigen und auch ironischen Texten eine irrsinnig hohe Fallhöhe schafft. Eine ganz große Diskrepanz. Ein Räuber wird von einem Mühlstein zerrieben oder Max und Moritz werden zu Körnern zerquetscht und dann schafft er mit seinen auch komisch gemeinten Texten so ein merkwürdiges Schillern, was wir als komisch empfinden. Das ist natürlich ungeheuer modern.
Bei dir aber bekommen Max und Moritz nicht die Todesstrafe. Sie sind eher die Helden. Sie sind locker und entlarven einen Pornokracher. Sie werden auch mal gequält - sexuell gequält - und man weiß nicht recht, ob ihnen dieses Erlebnis nicht vielleicht ganz gut getan hat. Sie werden jedenfalls nicht richtig umgenietet und totgemacht. Das ist ja eigentlich eine ziemliche Entschärfung von Busch und da frage ich mich, warum du das gemacht hast?

König:
Das frag ich mich jetzt auch. Also, die Todesstrafe - an so was denk ich gar nicht. Oder, dass ich die beiden zu Tode kommen lasse.

Reiche: Das ist doch der Kern von Wilhelm Busch!

König: Nö!

Reiche: Doch!

König: Na gut, bei "Max und Moritz"!

Reiche: Bei ganz vielen Geschichten!

König: Na gut - die fromme Helene trinkt sich zu Tode ...

Reiche: Und dann kommt noch dieses Bild mit jeder Menge Gerippe und Toten ...

König: Ja, ja. Stimmt, stimmt. Du hast es eben ganz anders gemacht. Du bist auf die Brutalität eingegangen und hast sie als solche auch gezeigt. Also bei Busch ist es komisch gezeichnet und bei Dir ... als ich die Bilder in Hannover zum ersten Mal an der Wand gesehen habe, da musste ich zurückzucken.

Knigge: Volker, möchtest Du etwas dazu sagen.

Reiche: In dem zentralen, brutalen Bild zur Geschichte "Das Pusterohr" von Busch geht es um einen Herrn, der will in aller Ruhe seinen Kaffee trinken. Und ein böser, quälsüchtiger Knabe beschießt ihn ohne einen ersichtlichen Grund mit einer Kugel aus seinem Pusterohr. Und bei Busch endet das eigentlich genauso wie hier. Der nimmt seine Kanne und treibt ihm das Pusterohr tief in den Schlund. Das Ergebnis ist dann, dass man sechs, sieben Zähne sieht, die ausgeschlagen sind. Wenn man natürlich mit einer solchen Urgewalt, wie Busch und ich es zeigen, jemanden das Rohr in den Mund treibt, dann passiert natürlich auch noch mehr. Hier habe ich die Folgen also etwas realistischer gezeigt. Er ist dann vermutlich tot und liegt mit viel Blut am Boden.
Übrigens, das mal als kleinen Einschub - der Busch wollte eigentlich auch gerne Blut zeigen in seinen Zeichnungen, die dann später als Holzschnitte angefertigt wurden. In seinen Vorzeichnungen hat er durchaus auch Blutspritzer gesetzt, wenn einem Räuber ein gewaltiger Spieß in den Leib getrieben wurde und es stellte sich dann raus bzw. man hat behauptet, es sei zu schwer zu reproduzieren. Möglicherweise war das auch so eine kleine Zensur. Der Busch hat dann auch Ruhe gegeben. Er hat dann gesagt: "Na gut, dann eben kein Blut!" Aber eigentlich war ihm das auch ganz recht, dass die Sprache in aller Drastik gezeigt wurde und nicht nur so bereinigt.
Ich hab versucht, vom heutigen Verständnis her, diese Situation mit dem Pusterohr noch einmal zu begreifen, es realistischer zu zeigen. Bei mir ist dieser Junge vermutlich so eine autistische Figur, so ein Dorfjunge, der da rumlümmelt, alleine ohne Freunde und wenn da jemand vorbeikommt, dann wird er in dieser Weise niedergemacht. Ohne jede Empathie, ohne jedes Mitleid. Das ist einfach dieselbe moralische Freude, die auch Busch hat, wenn er seine Leute zu Tode bringt.

Knigge: Bei Busch endet ja die Geschichte, in der der Junge Franz heißt und den Herrn Bartelmann malträtiert, mit: "Drum schieß mit deinem Püstericht auf keine alten Leute nicht!"

Reiche: Das ist so eine nachgeschobene Moral. Eigentlich ist das nur eine ganz einfache Alltagsmoral, die erklärt natürlich überhaupt nicht, warum man jemanden zu Tode bringen kann. Und bei Busch ist das tendenziell, was er so macht mit der Kanne und dem Schlag, ganz genau dasselbe wie bei mir.
Übrigens, das Bild mit dem Rohr im Mund des jungen Knaben hab ich einem Freund von mir, einem Zeichner per E-Mail nach New York geschickt - und dann war diese E-Mail-Adresse nicht mehr zu benutzen. Ich bin beim amerikanischen Provider wohl sofort in einen Hardcore-Porno-Raster reingekommen, was man ja annehmen kann, denn die sexuelle Konnotation ist ja unübersehbar, dass einem Kind ein riesiger Stab in den Mund gerammt wird. Das ist ja übelste Hardcore-Pornographie.
Ich möchte aber für Busch nicht die Hand ins Feuer legen, ob es bei ihm nicht auch diese sexuelle Beimengung hatte - weiß man alles nicht. Da halten sich auch die Forscher bei Busch zurück. Aber ich habe immer noch nicht die Frage beantwortet bekommen, warum die bei dir so viel freundlicher behandelt werden.


Special vom: 06.02.2008
Autor dieses Specials: Daniela Graf & Martin Jurgeit
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Das Faszinierende an Buschs Zeichnungen
Busch und die Bigotterie
Der gemalte Willi und der Prototyp
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