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Der Klang in "Strizz"
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Flapp_klein.jpg Man stelle sich folgendes Experiment vor, dass zum Scheitern verurteilt ist und aus dessen Scheitern ich eine These entwickeln möchte: Die Versuchsanordnung ist so einfach wie nur eben möglich: eine Holzkiste, ein Notizbuch. Wenn man das Notizbuch nun in die Kiste hinein wirft, gibt es ein eher dumpfes Geräusch. Wenn man nun versucht, diesen Klang auf einen Begriff zu bringen, würde – soviel ist sicher – keiner von uns auf die Lautmalerei „Flapp!“ kommen. Flapp – das schiene mir eher als ein Geräusch, das entsteht, wenn ein Buch mit Schwung aufgeschlagen wird. Aber Flapp ist tatsächlich das konkrete akustische Resultat einer Aufräumaktion im Hause Strizz, und das ist nachzulesen und -zusehen in der letzten Silvesterfolge dieser Comic-Serie. Dort liest man: „Flapp!“ Und vier Reihen weiter unten schon wieder „Flapp“. Man kann also gewiss nicht von einem Zufall sprechen. Wie es überhaupt den Zufall auf einer Comic-Seite nicht gibt. Denn alles, was wir darauf sehen, ist mit größter Sorgfalt ausgeführt. Bislang hat sich auch nur ein einziger Comic-Zeichner – der Franzose Jean Giraud alias Mœbius – an etwas versucht, was man in Anlehnung an die surrealistische Arbeitsweise der „écriture automatique“ als „dessin automatique“ bezeichnen könnte: Zeichnen ohne nachzudenken.

figur.jpg Das ist Volker Reiches Sache nicht. Wenn seinereins Onomatopöien setzt – um Ihnen einmal den linguistischen Fachbegriff für Lautmalereien vorzustellen –, dann will er etwas davon haben. Vor allem neue Ausdrucksmöglichkeiten. Strizz klingt anders als andere Comic-Serien, und das ist durchaus Programm. Denn Volker Reiche hat einen hohen Anspruch: Er will die Tradition der Donald-Duck-Übersetzerin Erika Fuchs fortsetzen, die unter anderem damit berühmt geworden ist, dass sie Lautmalereien eines völlig neuen Typs geprägt hat. Ein Beispiel mag dafür genügen, denn wir wollen ja heute über Strizz und nicht über Entenhausen reden. Unser Beispiel für die große Fuchs-Leistung sei „Grübel“. Grübel lässt uns naheliegenderweise einen Denkvorgang registrieren – in Entenhausen ist Denken also hörbar. Das allein wäre schon bemerkenswert genug, aber die eigentliche Sensation liegt in der Ableitung dieser Lautmalerei, die – wie sie gemerkt haben werden – ganz anderen Gesetzen gehorcht als „Flapp“. Erika Fuchs hat einfach den Indikativ des Verbs „grübeln“ gewählt und diese Befehlsform zum Geräusch erhoben. Das war ein Geniestreich, so simpel es auch scheint. Niemand ist in mehr als hundert Jahren Comic-Geschichte im englischen Sprachraum etwa auf die Idee gekommen, über einen Denker „Think, think“ zu schreiben, oder im französischen „Pense, pense“. Der Platz in der deutschen Sprachgeschichte ist Erika Fuchs also sicher, und in Volker Reiche hat sie einen gelehrigen Schüler gefunden. Vergessen wir einmal kurz „Flapp“, und denken wir an Geräusche, die jedem Strizz-Liebhaber tiefvertraut sind, auch wenn er sie bislang nur gelesen, nicht gehört hat: „Bausch“ etwa (das Geräusch, das entsteht, wenn Kater Paul in Verärgerung die Haare seines Schwanzes aufstellt, ihn also bauscht). Oder „Tatzel“ als akustisches Ergebnis eines spielerischen Umgangs mit Objekten und „Fetz“ für einen weniger spielerischen Umgang mit Objekten. Sie merken bereits, Volker Reiche sucht nicht gerade nach dem nächstgelegenen Indikativ. Das unterscheidet ihn von Erika Fuchs. Mehr noch als bei ihr sind seine Lautmalereien immer auch Beschreibungen – und das dürfen wir ganz wörtlich verstehen, weil ja tatsächlich die Strizz-Folgen vom Zeichner mit diesen Geräuschen beschrieben werden. Und sie beschreiben gleichzeitig die Handlung: Ein Herr Paul, der einem Bällchen mit dem Geräusch „Tatzel“ nachjagt, hat keine bösen Absichten, denn im Tatzeln steckt auch ein liebevoller Beiklang. Auch darauf muss man erst einmal kommen. Oder auf eine so banale und doch meines Wissens nach noch nie zuvor verwendete Onomatopoesie wie „Böller“, die man gleichfalls in der Silvesterfolge lesen kann. Es gab bislang schon mehr als genug Explosionslautmalereien in der Comic-Historie, und mit „Wumm“, „Päng“ und „Rumms“ hat auch das Silvesterfeuerwerk der Strizz-Stadt einige Gängige zu bieten. Aber dort machen die Raketen eben auch „Böller“, wenn sie in die Luft gehen. Oder „Ka-Dorz“, wie man im letzten Bild lesen kann. Wobei „Böller“ die ungleich brillantere, weil unmittelbar einleuchtende Lösung des Problems der akustischen Untermalung von Feuerwerksbildern ist.

Sie sehen das Dilemma, in das ein Comic-Zeichner sich begibt. Er muss versuchen, was unmöglich ist: Töne sichtbar zu machen, ihnen in Analogie zu „Anschaulichkeit“ oder „Ansehnlichkeit“ etwas wie „Anhörigkeit“ zu verleihen. Deshalb ist „Flapp“ keine schlechte Wahl, denn wie bereits von mir erwähnt, liegt dabei die Assoziation zu Buchseiten nahe. Ich vermute, dass dies der Grund für die Entscheidung gewesen ist, „Flapp“ statt etwa „Rumpel“ zu wählen. Und ich glaube ausschließen zu können, dass Volker Reiche vorher Versuchsreihen durchgeführt hat, die der unseren geglichen hätten. Wobei ich auch einräume, dass es sich im Hause Strizz um einen Pappkarton handelt, in den das Notizbuch geworfen wird, und dieser Karton ist auch noch gut gefüllt – man könnte gar meinen, einen bemoosten Feldstein darin zu entdecken.

Der Text ist ein Auszug des Beitrags "Dieses Flapp ist kein Flop – Klang und Zeit in der Welt von Strizz" von Andreas Platthaus in COMIXENE 93.


Special vom: 22.03.2006
Autor dieses Specials: Comixene
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Interview mit Volker Reiche
Flapp! in Gross
Strizz-Ausstellung
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