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Und dann kam Spider-Man
Es war in dieser Zeit, als mir erstmals ein schäbig koloriertes, auf eine Art Znünipapier gedrucktes Heftchen in die Hand fiel, das mein Leben fundamental verändern sollte. Wie ich genau in den Besitz der Ausgabe kam, ist mir nicht mehr bekannt, wohl aber die Begeisterung, Faszination und tiefe existenzielle Verstörung, die sie auslöste. Das Heft handelte vom Schüler Peter Parker, der bei einer wissenschaftlichen Vorführung von einer radioaktiv verseuchten Spinne gebissen wurde und fortan über die spezifischen Fertigkeiten und Kräfte des Insekts verfügte. Auf einmal war Parker in der Lage, Wände hochzuklettern und auf hauchdünnen Seilen und Dachkanten zu balancieren. Stahlrohre zerquetschte er wie Karton. Mit feinen Düsen versprühte er sein Netz, und ein sechster (Spinnen-)Sinn warnte ihn vor drohenden Gefahren. Im rotblauen Kostüm verschrieb sich Parker als «Spider-Man» - zu Deutsch «Die Spinne» - nach anfänglichem zögern der Verbrecherjagd, doch er tat es mit dem Geschäftssinn des Studenten, der in unmittelbarer Nähe der Tatorte immer auch eine automatische Kamera festzurrte, um die Exklusivbilder des Geschehens zur Sicherung seines Auskommens an die örtliche Boulevardzeitung zu verkaufen.

Ich wurde auf Anhieb süchtig nach dieser Figur. Ich kaufte mir alle Hefte, die zu haben waren, und bestellte frühere Ausgaben nach. In der Schule grassierte mit zunehmender Vehemenz der «Spinnen»-Wahn, der mich und meine Freunde dazu brachte, mit durchgepausten Spider-Man-Gegnern die Wände zu tapezieren. Die Spinne selber wurde zum Referenzmodell, an dem wir uns zu messen begannen. Natürlich waren wir vor allem neidisch auf die makellosen Muskeln des Helden, die sich unter der hauchdünnen Verkleidung Faser für Faser abzeichneten. Die ans Fragwürdige grenzende Begeisterung aber hatte tiefere Gründe. Peter Parker alias Spider-Man war kein abstrakter, abgehobener Superheld, sondem ein Durchschnittsversager wie wir. Er hatte seine Komplexe. Er hatte seine Unsicherheiten. Er hatte ein Moped, aber keine Freundin. Mit seinen Superkräften kamen gewaltige psychologische Probleme, mit denen er ebenso vergeblich rang wie wir. Würde seine zerbrechliche Tante May, stets am Rand eines Herzanfalls, von den Kämpfen gegen «Dr. Octopus», «Kingpin» oder den «schaurigen Schocker» erfahren? warum nur wollte der Wissenschafter Curtis Connors zur «Echse» werden? Was hatte es mit der rätselhaften Blondine Gwen Stacy auf sich, die auch nach Folge 47 noch nicht rumzukriegen war?


Special vom: 04.03.2001
Autor dieses Specials: Roger Köppel (Text) und Vera Hartmann (Fotos)
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