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Comic-Besprechung - Der Passagier der Polarlys

Geschichten:

Der Passagier der Polarlys

Autor: José-Louis Bocquet, nach Georges Simenon

Zeichner: Christian Cailleaux

Übersetzer: Christoph Haas



Story:

Die Polaris ist ein Versorgungsdampfer, der in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts von Hamburg aus die westliche Küstenregion im hohen Norden Norwegens ansteuert, um die dortige Bevölkerung mit Post und Waren zu versorgen. Und nebenbei nimmt man noch einige Passagiere mit — die Nachfrage nach Passagen in diese Region ist im Allgemeinen gering, das Schiff ist absolut nicht als Passagierschiff zu charakterisieren. Doch als dann kurz nach dem Ablegen bereits einer der Passagiere verschwunden zu sein scheint, hat Kapitän Petersen eine Sorge mehr am Hals als sonst schon: nicht nur muss er das Schiff sicher durch die Winterstürme des Nordatlantiks navigieren, jetzt stellt sich noch die Frage, ob der verschwundene Passagier in ein Verbrechen in Paris verstrickt ist. Und dann beginnen eine Reihe von Verbrechen an Bord des Schiffes, die die Situation immer verwirrender erscheinen lassen.



Dieser Comic wurde mit dem Splash-Hit ausgezeichnet Meinung:

Der vorliegende Band basiert, wie man dem sehr ausführlichen Nachwort des Szenaristen José-Louis Bocquet am Ende des Buches entnehmen kann, auf dem ersten „ernsthaften” Roman aus der Feder Georges Simenons, den man hierzulande und wahrscheinlich auch international gesehen, am ehesten durch seine Figur des Kommissar Maigret kennen dürfte. Dies ist jedoch noch kein Maigret-Krimi, sondern eine Einzelgeschichte, mit der Simenon seiner Karriere als Autor von sogenannten „Romans populaires”, wörtlich „Volksromanen” oder auf deutsch eher „Groschenromanen”, eine deutliche Wende hin zur echten Literatur geben wollte. Dabei bewegt sich dieses erste von ihm selbst als „Roman dur” bezeichnete Werk noch in einer Grauzone, ein wirklich großes Krimiwerk ist es meines Erachtens noch nicht, doch es sind bereits eine Menge der Zutaten zu erkennen, die später auch andere Autoren zu Ruhm und Ehre gereicht haben, wie zum Beispiel Leo Malet mit seiner Figur des Privatdetektivs Nestor Burma. Und das sind vor allem zwei Komponenten, die hier wie dort zu nennen wären: eine, meist düstere, Atmosphäre und das Versammeln eines ganzen Haufens von seltsamen bis schrägen Charakteren, die sofort die Aufmerksamkeit des Lesers fesseln sollen (und das meist auch schaffen). Doch im vorliegenden Band geht Simenon für meinen Geschmack noch viel zu früh ins Eingemachte, er nimmt sich kaum Zeit, die Figuren zu charakterisieren — was, das muss man ihm zugestehen, aber hier auch in nicht geringem Maße am Aufbau der Geschichte selbst liegt. Denn die sollte ein Mystery-Krimi werden, voller falscher Anschuldigungen, Missverständnissen und vor allem: mit haufenweise falschen Identitäten. Und die kann man natürlich nicht frühzeitig durch eine Charakterisierung bloßstellen, das versteht sich von selbst. Vielleicht kommt mein Eindruck aber auch durch die Umsetzung des Stoffes in das Comicformat, also durch die Bearbeitung seitens Bocquets? Ich weiß es nicht, ich kenne den Originalroman nicht. Doch da der Stoff tatsächlich zuerst noch als Fortsetzungsroman in einer Zeitung veröffentlicht worden ist, bevor er mit neuem Titel in die Buchhandlungen kam, unterstelle ich die schriftstellerischen Schwächen hier mal ganz frech dem Originalautor selbst. Denn der hat, so ist mein Eindruck, einerseits, unter dem Zwang des „schnell schreiben Müssens” zu Charakteren gegriffen, von denen er unterstellen konnte, dass seine Leserschaft mit ihnen bekannt sein dürfte, ohne dass man sie groß vorstellen müsste. Denn wenn man ferner bedenkt, dass der Originalstoff inzwischen bereits fast einhundert Jahre alt ist (!), ist es natürlich nicht verwunderlich, wenn diese „Vorurteile” bezüglich der Figuren bei einem aktuellen Leser nicht mehr ganz so zünden. Andererseits hat Simenon sich auch ein bisschen von Agatha Christie beeinflussen lassen und ein wenig in deren Stil gewildert — Christie hat ihre Mystery-Romane ja auch gerne dadurch mysteriös gemacht, dass dem Leser viele Details vorenthalten wurden, die die Ermittler dann erst auf den letzten Seiten preisgegeben haben. Ein bisschen so ist es auch hier. Doch insgesamt funktioniert die Geschichte schon, das Ende ist entsprechend überraschend, wenn auch die Auflösung selbst ein bisschen hoppla-hop wirkt.

Die Zeichnungen von Christian Cailleaux sind tatsächlich atmosphärisch sehr dicht und meist etwas düster gehalten, was sehr gut zur dargestellten Epoche passt (den 30er-Jahren) als auch zur Handlung auf dem Frachter im sturmgepeitschten Nordatlantik. Cailleaux hat jedoch die Eigenart, die Konturen der Gesichter seiner Figuren mit starken Schattenwürfen zu markieren, vor allem auf den Wangen und in den Augenhöhlen, was seinen Charakteren auf Dauer in meinen Augen einen etwas zu grotesken Ausdruck verleiht, der mich offen gesagt ein wenig irritiert hat. Beinahe schon ein wenig „gothic”. Man gewöhnt sich daran, doch mir machte es dieser Stil irgendwie schwer, die (durchaus vorhandenen) Mimikwechsel wahrzunehmen. Erst ein zweites Durchblättern hat mich davon überzeugen können, dass die Figuren gar nicht so teilnahmslos dargestellt waren, wie ich sie zuerst empfunden hatte. Dadurch hat Cailleaux vielleicht aber auch den Autor bei der Umsetzung ins Comicformat nicht so gut unterstützt, wie man es sich vielleicht gewünscht hätte, indem er die Gefühle der Figuren zeigt, die nicht mit Worten zu beschreiben sind? 

Die beiden Autoren jedenfalls sind auch in Deutschland keine völlig Unbekannten mehr. Beide haben, unabhängig voneinander, bereits an modernen Bänden der klassischen Serie „Blake & Mortimer” mitgewirkt, Bocquet als Co-Autor mit Jean-Luc Fromental bei „Acht Stunden in Berlin” (Zeichnungen von Antoine Aubin) und Cailleaux mit Étienne Schréder bei „Der Ruf des Moloch” (nach einem Szenario von Jean Dufaux) sowie der Fortsetzung von „Die U-Strahlen”, „La Flèche ardente” nach einem Szenario von Jean van Hamme. Von Bocquet sind im Laufe der Jahre in Deutschland bereits weitere Bände wie „Der Gesang der Generäle” (Edition Moderne), „Kiki de Montparnasse” (Carlsen), „Mein Bruder Flo” (Arrache Coeur) oder „Die Abenteuer von Hergé” (Carlsen) erschienen.

Insgesamt lässt sich dieser Comic sehr gut lesen, die Handlung ist flüssig, die Figuren durchaus interessant und der Plot einigermaßen verzwickt und ein typischer „Who-Dunnit” Krimi.

In Frankreich ist von anderen Autoren bereits ein weiterer Band aus dem „Roman-dur”-Werk Simenons erschienen: „La neige était sale” (dt. „Der Schnee war schmutzig”), vielleicht macht Carlsen ja so etwas wie eine Serie daraus und veröffentlicht den auch noch?



Fazit:

Eine gelungene Comic-Adaption eines Krimis von Georges Simenon, dem Schöpfer des Kommissars Maigret, der auf einem Schiff im hohen Norden Norwegens spielt, auf dem im Stile eines Kammerspiels eine Verbrecherjagd stattfindet, die den Leser anhand einer ganzen Reihe von falschen Identitäten, Geheimnissen, Missverständnissen und falscher Anschuldigungen durch einen unterhaltsamen Plot führt. Die Zeichnungen setzen die ein wenig beklemmende Atmosphäre der Schiffsreise durch einen Wintersturm in passende Zeichnungen um, die Mimik der Figuren ist jedoch ein bisschen zu „gothic” geraten. Insgesamt jedoch eine spannende Lektüre, die diesen klassischen Stoff des großen französischen Krimiautors in einem modernen Medium präsentiert. Durchaus zu empfehlen.



Der Passagier der Polarlys - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Der Passagier der Polarlys

Autor der Besprechung:
Uwe Roth

Verlag:
Carlsen

Preis:
€ 22,00

ISBN 10:
3551804206

ISBN 13:
978-3551804204

80 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • Gelungene Umsetzung dieses Klassikers des französischen Krimi-Meisters Simenon.
  • Sehr atmosphärische Zeichnungen.
Negativ aufgefallen
  • Die Mimiken sind für meinen Geschmack etwas zu „gothic” geraten.
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
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Rezension vom: 14.02.2025
Kategorie: Alben
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