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Comic-Besprechung - Die Reise des Marcel Grob
Geschichten:Die Reise des Marcel Grob
Autor: Philippe Collin, Sébastien Goethals, Zeichner / Colorist: Sébastien Goethals
Story:
Am 11. Oktober 2009 steht der 83-jährige Marcel Grob vor einem Untersuchungsrichter und muss seine Vergangenheit rechtfertigen. Denn mit 17 Jahren trat er als junger Elsässer der Waffen-SS bei, wie andere Elsässer auch. Nun muss geklärt werden ob er es freiwillig tat, oder gezwungen wurde. Einer der Hauptvorwürfe gegenüber Grob ist die Teilnahme an dem Massaker in dem italienischen Ort Marzabotto. Man muss tief in die Geschichte und Erinnerungen eintauchen, um die Wahrheit zu finden.
Meinung:
Wer bei dem dicken Band Die Reise des Marcel Grob einen actionreichen Kriegscomic erwartet, ist hier falsch. Im Gegensatz zu vielen anderen Comics welche den Krieg behandeln, hier der Zweite Weltkrieg, aber im Grunde betrifft das so gut wie alle Konflikte die in den bunten Bildern als Hintergrund der Story dienen, liegt hier kein Abenteuer vor. Es geht nicht darum, dass ein junger Mann anhand der Erfahrungen reift und als wertvolles Mitglied der Gesellschaft eingegliedert wird. In dem Zusammenhang kommt es auch oft zu patriotischen Ergüssen, da der Soldat sein Vaterland und dessen Ideale verteidigt und trotz aller Mühsal und Elend den Status Quo bewahrt.
Hier ist nichts davon zu finden. Marcel Grob wird zu dem Kriegsdienst gezwungen. Als Elsässer fühlt er sich eher als Franzose denn als Deutscher. Um seinen Eltern Repressalien zu ersparen wehrt er sich nicht gegen die Rekrutierung und wird zur Waffen-SS eingezogen. Diese Ausgangslage enthebt allen schon einem Idealismus und auch der Patriotismus wird so umgangen weil Grob für ein Land kämpft das eigentlich nicht seines ist. Dramaturgisch ist das sehr geschickt, da so viele Fallen schon in der Konzeptanlage vermieden werden. Auch geht es nicht um eine Reifung. Natürlich prüft der Kriegseinsatz den 17-jährigen. Aber es geht weniger um das Eingliedern in die Gesellschaft, sondern genau um das Gegenteil.
Die Graphic Novel ist eher eine Abhandlung und eine Überlegung welche Ereignisse und Umstände zu Lebenslügen führen und stellvertretend an diesem Charakter auch für eine ganze Gesellschaft dienen können. Diese Lebenslüge wird aus einem schlechten Gewissen geboren. Dabei wird hier sehr elegant in zwei Erzählebenen die Entwicklung aufgezeigt. In der Gegenwart wird Marcel Grob der Prozess gemacht, da er als Soldat der Waffen-SS an einem der schlimmsten Massaker des Zweiten Weltkrieges beteiligt war. Auf einer anderen Erzählebene werden die Kriegserlebnisse geschildert. So können sich der Leser und die Leserin selber ein Bild machen ob den Mann nun Schuld trifft oder ob er ein Opfer der Umstände und der Zeitläufte war. Da stellt sich unwillkürlich die Frage wie man selber gehandelt hätte und ob man das in einer Retrospektive überhaupt bewerten kann. Beide Erzählebenen zeigen auf, wie schwer die Wahrheit und Ideale im Krieg zu bewahren sind und der Waffengang eine eigene Dynamik entwickelt. Und alle Ideologien zerstört. So etwa bei dem patriotischen Rassisten der letztlich durch die Erlebnisse und Taten so angewidert ist das er desertiert.
Der Band verurteilt nicht, zeigt aber auch alle Schrecken wie das Massaker, hält aber dennoch die Schuldfrage offen. Dabei wird eher der Wert auf die Desillusionierung und das Gewissen der einzelnen gelegt wobei das Spannungsverhältnis zwischen dem eigenen Glauben und der Psychologie und der Befehlsstruktur sehr kurz kommt. Aber die Soldaten müssen später mit ihren Taten und Erfahrungen leben und das führt zu den Lebenslügen.
Weil sich die Autoren auf die individuelle Ebene beschränken, ist der Band sehr berührend und zudem wahr, denn der Titel Held Marcel Grob ist der Großonkel des Autoren. So ist er hier sympathisch gezeichnet, aber dennoch mit Makeln behaftet. Dazu gehört das unerwartete Ende was eine wichtige Sequenz in eine metaphorische Ebene hievt und wieder verdeutlicht, dass der Einzelne auch vor sich selber bestehen muss.
Zeichnerisch ist das alles sehr gelungen. Obwohl die Gegenwart blass und karg wirkt, ist sie in den langen Dialogpassagen sehr dynamisch gestaltet, da sich immer wieder die Blickrichtungen ändern da eine Figur oft im Büro umhergeht. Dadurch wirkt das nie statisch. Was eine sehr elegante Lösung ist. Die Rückblenden sind leicht sepiafarben und wirken sehr erdig wie alte Fotografien was im Grunde schon ein erzählerisches Klischee ist, aber hier in der Abgrenzung zu den einzelnen zeitlichen Passagen und deren Schwerpunktthemen auch in der Farbgebung stimmungsvolle Akzente setzt. Neben der gut geschaffenen Atmosphäre sind auch die Actionszenen sehr dynamisch und temporeich. Einziger Schwachpunkt ist die Tatsache, dass die Gesichter manchmal schwer auseinanderzuhalten sind. So hätten die Physiognomien etwas ausgeprägter ausfallen können, was die Lektüre erleichtert hätte. Aber ansonsten liegt hier ein sehr guter Band vor, bei dem man einfach nur zugreifen kann.
Fazit:
Ein berührender Band der nicht nur historische Fakten schildert, sondern auch die schwierige Suche nach der Wahrheit thematisiert. Dabei wird die Leserin und der Leser mit der Frage konfrontiert wie man selber gehandelt hätte. Ein packender Band den man nicht verpassen sollte.
Die Reise des Marcel Grob
Autor der Besprechung:
Jons Marek Schiemann
Verlag:
Splitter
Preis:
€ 29,80
ISBN 10:
3962193200
ISBN 13:
978-3962193201
192 Seiten
Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser
- Story
- dramaturgisch geschickt aufgebaut
- atmosphärische Schwerpunkte durch Farbgebung
- Gedanken über historische Bewertungen
- manche Gesichter verwechselbar
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic | ||
Bewertung: | ||
(2 Stimmen) | ||
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Rezension vom: | 22.06.2019 | ||||||
Kategorie: | Alben | ||||||
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