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Comic-Besprechung - Kinderland

Geschichten:
„Kinderland“
Autor und Zeichner: Mawil

Max und Moritz Preisträger, Platz Zwei bei der Abstimmung zum Comic des Jahres der tageszeitung und eine durch und durch positive, beinah überschwängliche Presse.
Angesichts dieser Lobpreisungen scheinen sich weitere Worte zum Comic zu erübrigen. Doch ganz so einfach machen wir es uns nicht.

Erst einmal vorneweg. "Kinderland ist" klasse. Im Hintergrund eines großen Tischtennisturniers findet die deutsche Maueröffnung statt. Und statt mit einem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft zu gucken, haben die Kinder in dieser Erzählung nur ihre blöden Tischtenniskellen (gerne auch mal nur ein Buch mit dickem Pappdeckel) im Kopf.

Ja, "Kinderland" ist schon vom Aufbau her anders, als andere Wendecomics oder allgemein Comics, die sich mit politischen Umbrüchen und Wendungen befassen. Hier werden keine Daten und Zahlen zur DDR oder zur BRD präsentiert. Proteste gegen das System werden eher verdeckt beschrieben, beispielsweise als der Vater des Hauptdarstellers Mirko Watzke erst sehr spät am Abend nach Hause kommt. In der Schule ist dies hingegen kein Thema, und genau so war es auch, wenn man mal aus eigener Erinnerung berichten darf.
Es ist genau dieser Fokus auf das normale Leben in der DDR, wo nicht jeder 1989 gleich zum Revolutionär mutierte. Gerade für die Kinder lief im Vorfeld der Wende und auch während den wilden Tagen alles so ab, wie bisher. Tischtennis war wichtiger.

"Kinderland" bietet zudem einen Blick zurück zum Erwachsenwerden in der DDR. Der Leser sieht, dass Depeche Mode hier gerade voll angesagt ist, oder dass bei Pioniernachmittagen die Jugend versucht wird auf Linie zu bringen. Nebenbei gibt es unzählige Anekdoten auf den typischen DDR-Lifestyle. Spielzeug, Infrastruktur, Technik, alles wurde von Mawil sehr genau abgebildet, tief recherchieren musste der Künstler wohl nur bei der Kleidung der Bürger, so seine Aussage in einem früheren Interview.

Angesichts dieser Detailfreudigkeit stellt sich die Frage, warum Kinderland bisher größtenteils auf die Wendethematik festgelegt wird und der typische wunderbar dargestellte DDR Alltag hier eher ausgeklammert wird. Im aktuellen "Alfonz"-Magazin (01/2015) wird beim ebenfalls Berliner Produkt "Das UPgrade" leicht bemängelt, dass zahlreiche Anspielungen auf die DDR-Kultur wohl nur Ostdeutsche verstehen werden. Komisch, dass dieser Kritikpunkt bisher bei "Kinderland" nicht auftauchte, gerade wo Ronny Knäusel und Mirko Watzke doch sicherlich die dicksten Kumpels wären, würde es sie in der Realität geben.

Der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung spielt im Comic folglich eine wichtige Rolle, dennoch ist es eher schmückendes Beiwerk, denn für die jugendlichen Protagonisten und für den Leser steht der Schulalltag mit Tischtennis spielen, herumlungern in Abrisshäusern und sonstigen Freizeitbeschäftigungen im Vordergrund.

Es ist gerade diese Darstellung von Nebensächlichkeiten zu einem Zeitpunkt, wo die ganze Welt auf Deutschland und auf Berlin blickt, das diesen Comic so brillant macht. Mawil spielt mit der Zeitgeschichte und entführt den Leser in den DDR-Alltag, der nicht so trostlos und grau war, wie ihn manche Leute auch heute noch gerne sehen würden.

Die grafische Seite ist geprägt von einer regelmäßigen Panelanordnung, die nur beim Tischtennisspielen aufgebrochen wird. Hier hat Mawil sich Anleihen beim Manga geholt, was die äußerst dynamischen Darstellungen erklärt. Darüber hinaus liegt der Fokus natürlich auf den Figuren. Dort finden sich zahlreiche Details, welche die 80iger Jahre und natürlich die DDR an sich symbolisieren.
Mitsamt den genau abgestimmten Kleidungen und Gegenständen verortet der Zeichner die Story nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch vollends in die thematisierte Zeit, so dass hier schon beim Betrachten die richtige Stimmung beim Leser geweckt wird.

„Kinderland“ ist also zu recht mit allerlei Lob überhäuft wurden. Jedes Panel, jeder Seite und jeder Abschnitt passen genau zum Konzept. Mawil hat hier eine komplexe Schilderung des Erwachsenenwerdens in der DDR verfasst, die durchweg unterhaltsam ist und für viele Lacher sorgt. Gerade im Angesicht des politischen Umsturzes bietet diese Graphic Novel mal einen humorvollen Umgang mit der Wende. Unbedingt zugreifen!

Kinderland - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Kinderland

Autor der Besprechung:
Christian Recklies

Verlag:
Reprodukt

Preis:
€ 29,00

ISBN 13:
978-3-943143-90-4

296 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • detailreiche Schilderung der letzten DDR-Tage ohne ins politische hineinzurutschen
  • viele Anspielungen auf damalige Verhältnisse
  • witzig vom Anfang bis zum Ende
Negativ aufgefallen
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
Bewertung:
1
(1 Stimme)
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Rezension vom: 17.02.2015
Kategorie: One Shots
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