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Comic-Besprechung - Stiche
Geschichten:Stiche
Autor, Zeichner: David Small
Story:
Der junge David Small ist ein recht schwächliches Kind und hat Probleme mit der Verdauung und vor allem mit den Stirnhöhlen. Als Radiologe behandelt sein Vater ihn im Alter von sechs Jahren vorzugsweise mit Röntgenstrahlen. Aber auch sonst krankt es an der Familie. Jeder hat seine Sorgen und seinen Zorn, ohne das die Mitglieder sich wirklich mal miteinander unterhalten. Auch mit den Großeltern hat der junge David so seine Probleme. Eines Tages erwächst ihm eine merkwürdige Schwellung am Hals. Der operative Verlauf und die Krankheit wird sein Leben nachhaltig verändern.
Meinung:
Im Grunde kann man die Kritik zu Stiche von David Small in einem einzigen Wort zusammenfassen: fabelhaft. Ohne Übertreibung ist die Graphic Novel schon jetzt eine der besten des Jahres. Der mit vielen Preisen ausgezeichnete Kinderbuchautor und Illustrator David Small legt hier eine sehr filmisch gestaltete Autobiographie vor, die vor allem mit regelrechten Kamerafahrten besticht. Allein schon die erste Szene ist wie eine lange Kamerafahrt und zeigt nicht nur das elterliche Haus, sondern macht mit der Perspektive in Bodennähe auch deutlich, wie es der Junge im Alter von Sechs wahrnimmt. Ob nun unbewusst oder nicht, liefert diese Perspektive auch einen bedrohlichen ersten Eindruck von der Mutter. Diesen ersten Eindruck wird man dann auch nie wieder los und kann die Frau nicht mehr unvoreingenommen sehen. Und solche Perspektivenauswahl aus der Sicht des Kindes wird fast den ganzen Band über beibehalten, so das der Leser eine eindeutige subjektive Sichtweise bekommt. Wenn der Protagonist älter wird, ändert sich dann auch zwangsläufig die Blickachse und damit die des Lesers. Man nimmt unmittelbar teil an dem Geschehen, an dem Erleben und hat ein sehr realistisches Erlebnis.
Nichtsdestoweniger gelingen immer wieder sehr ausgefeilte und treffende symbolische Szenen, wenn etwa ein zerbombtes Inneres eines Gebäudes in einem Traum für die seelische verwüstung des kindlichen Helden steht. Kunst wird hier als eindringlich als Fluchtmöglichkeit geschildert. Das aber nicht in einem passiven kathartischen Sinne, sondern in dem schöpferischen Ausdruck. Die Kunst, die Illustration ist die einzige Möglichkeit des jungen David sich überhaupt auszudrücken. Alle Familienmitglieder sind zornig aber auch gleichzeitig sprachlos. Was sie so wütend macht und warum, auf wen sie wütend sind, was sie ändern wollen: alles kommt nicht zur Sprache. Keiner redet wirklich miteinander. Jeder reagiert sich ab und in einer solchen sprachlosen, mit negativer Energie aufgeladenen Familie droht der sensible künftige Künstler komplett unterzugehen. In einer schönen symbolischen Szene taucht der Junge direkt in die weissen Blätter ein und träumt immer wieder von einer Zauberwelt wie in Alice im Wunderland. So ist es folgerichtig, dass der Psychiater, der dem mitterweile adoleszenten Jungen den Weg in die Zukunft und in das Leben weist, als das weiße Kaninchen aus Lewis Carrolls Geschichte dargestellt wird. "Keine Zeit, keine Zeit mehr" rief das Kaninchen immer mit seinem Blick auf die Uhr und führte Alice in die Wunderwelt. Und so ist das auch hier. David wird aus dem tristen einengenden Elternhaus ohne Liebe in das Leben geführt.
Es ist trotz aller Anschaulichkeit, Emotionalität, starkem Ausdruck, hoher Symbolik kaum fassbar, wie sehr dieser Junge gelitten hat. Als ob jeder in der Familie litt und das an allen anderen Mitgliedern ausliess. Nicht zuletzt die schwere Erkrankung von Small wird zur Zerreissprobe der Familie, die sie nur scheinbar auf der sichtbaren öffentlichen Ebene besteht. Wie jeder gute Film braucht auch dieser Band nur recht wenige Worte. Das wesentlichste wird mit den Bildern erzählt, wobei es Small schafft, auch die Mimik, Perspektiven, Schraffierungen, ja einfach jedes gestalterische Mittel optimal auszunutzen. Dabei gerät nichts zu einem Selbstzweck, sondern alles dient der Geschichte und der Verdeutlichung des inneren Zustands. Dieser Band wird jeden Leser noch lange nach dem Zuklappen beschäftigen. Fabelhaft.
Fazit:
Jetzt schon eine der besten Graphic Novels des Jahres. Eine intensive Erfahrung, die jeden Leser nicht mehr loslassen wird und noch lange beschäftigt. Die Handhabung der gestalterischen Mittel kann man schlicht genial nennen. Allein schon die Perspektivenauswahl sorgt für nachhaltige Momente. Aber dabei bleibt es nicht, da jeder Strich, jede Nuance, jedes Mittel, ja sogar jede einzelne weiße Fläche zum Inhalt beiträgt.
Stiche
Autor der Besprechung:
Jons Marek Schiemann
Verlag:
Carlsen
Preis:
€ 29,90
ISBN 10:
355178695X
ISBN 13:
978-3-551-78695-1
328 Seiten
Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser
- Story
- graphische Gestaltung
- ungeheurer Realismus
- unmittelbares Nachempfinden von Seiten des Lesers
- gelungene symbolische Szenen
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic | ||
Bewertung: | ||
(1 Stimme) | ||
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Rezension vom: | 04.05.2012 | ||||||
Kategorie: | One Shots | ||||||
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