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Comic-Besprechung - Robert Crumbs Genesis

Geschichten:

Robert Crumbs Genesis
Autor
, Zeichner: Robert Crumb



Story:
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Von der Schöpfung bis zu dem Leben und Wirken von Joseph in Ägypten reicht das Erste Buch Mose, die Genesis, die hier wort- und inhaltsgetreu adaptiert worden ist. Die Vertreibung aus dem Paradies, Kain und Abel, die Sintflut, Abraham, Isaak, Jakob und Esau, alle treten auf.



Meinung:

Es ist im Grunde nicht gerade angenehm, zu diesem Band eine Kritik zu schreiben. Denn an der Story darf man eigentlich nicht mäkeln. Schließlich hat Robert Crumb mit seiner Genesis eine unbearbeitete, wortgetreue Bibeladaption des Ersten Buch Mose vorgelegt. Es ist insofern sehr verwunderlich, dass hier keine Interpretation vorliegt und sich Crumb, abgesehen von der graphischen Gestaltung, auch keinerlei Freiheiten genommen hat. Eine Themengewichtung, neuere theologische oder archäologische Erkenntnisse, ein Religionenvergleich: nichts davon kommt hier vor. Das macht die Lektüre stellenweise sehr anstrengend. So wurde die umständliche Sprache beibehalten (im deutschen die Bearbeitung der Lutherübersetzung von 1912, im Englischen die King James Bibel), die aus heutiger Sicht sehr redundant ist mit Begriffen die mittlerweile eine ganz andere Bedeutung haben. Also wurde auch hier auf eine Modernisierung verzichtet. Sondern das erste Buch Mose wurde auch ungekürzt übernommen. Mit all den nervigen Genealogien, die den Geschichtsschreibern dienten, um eine Völkeridentität zu schaffen und Herrschaftsansprüche anzumelden. Das geht dann häufig nach diesem Prinzip: Jener ist der Sohn von ... und zeugte mit ..., Tochter von..., sechzehn Söhne. Und zwar: es folgt eine Aufzählung. Das ist anstrengend, nervig und überrascht höchstens mit dem Aspekt, dass einige Namen schon in der Bibel vorkamen. Vor allem aber ist das erste Buch Mose von den Geschichten und von der ganzen Philosophie her noch arg eingeschränkt und beschränkt sich, dramaturgisch gesehen, auf Episoden.

Erst mit Joseph und seinem Vater gibt es so etwas wie einen Handlungsbogen, wenn man es bei der Bibel so formulieren darf, der das ganze flüssig lesbar macht. Skandalträchtig ist der Band also eigentlich nur insofern, weil der Zeichner eben Robert Crumb ist. Ein Erotomane, der seinen Fritz the Cat vergewaltigen und Inzest treiben liess, ein Regeln, Konformitäten ignorierender Zeichner aus dem amerikanischen Underground, der mit allen aneckte und kaum Tabus anerkannte (und wenn, dann nur um sie zu brechen), solange er seine Kritik unterbringen und provozieren konnte. Das er mittlerweile zum Mainstream gehört und seine Werke in Museen hängen (etwa im Museum of Modern Art in New York), dürfte ihn insgeheim wohl immer noch königlich amüsieren. Aber allein bei seiner Stoffauswahl, wie die Biographie zu Franz Kafka, hat er natürlich selber dazu beigetragen. Vor allem aber gehört er zu denjenigen, die gerade den amerikanischen Comic unweigerlich verändert haben und somit gehört er zu den ganz Großen. Ohne Crumb sähe die heutige Comiclandschaft ganz anders aus. Dennoch: ausgerechnet die Bibel?

Sucht Crumb im Alter (er ist Jahrgang 1943) nach Erkenntnis, Erlösung, Erleuchtung? Nachdem er schon mit Mr. Natural in den siebzigern alle esoterischen Aspekte und Heilserwartungen verdammt hatte? Wenn man nun aber die Anmerkungen von Crumb zu dem Band liest, ist man allerdings viel weniger verwundert. Auch wenn er selbst es nicht formuliert, so macht sich Crumb mit seiner Adaption zum einen auf die Suche nach den kulturellen Wurzeln des Abendlandes und erforscht diese. Zum anderen wird deutlich, dass die Frauen in der Bibel, obwohl ziemlich marginalisert, sehr stark sind. Und das hat Crumb immer schon angezogen. Denn die Bibel ist auch ein Zeichen und ein Zeugnis dafür, wie sich eine matriarchisch geprägte Gesellschaft in eine patriarchalische umwandelte. Was einige Stellen in der Bibel verwirrend macht und manche voller Widersprüche sind. Diese werden aber in dem erhellenden Nachwort schlüssig dargelegt.

Die Zeichnungen sind wie eh und je bei Crumb plastisch und kraftvoll. Allein schon durch die Bilder legt Crumb gewisse inhaltliche Schwerpunkte. So wird hier etwa sehr deutlich, dass die Helden Nomaden waren und das erste Buch Mose als eines der Grundthemen die Schaffung von Ordnung innehat. Nicht nur die Schöpfung an sich ist eine Bewältigung des Chaos, sondern auch die Klanbildung, die zwangsläufig zu Stämmen, zu Städten, zu Völkern führt. Alles schafft Ordnung und Struktur. Dazu trägt wesentlich die Herausbildung der Religion an sich bei. Denn eine Religion ist auch ein übergreifendes Regelwerk, welches nicht nur ein Identitätspotential schafft und damit Zusammengehörigkeit, sondern auch ein moralischer Kompass, der das Miteinander regelt. Also auch wieder ein Ordnungsaspekt. Joseph als derjenige, der Ägyptens gesamtes Volk unter die Herrschaft Pharaos zwingt, ist da nur das I-Tüpfelchen bzw. diejenige Figur, an der das am allerdeutlichsten wird. Wie  Herrschaftsstrukturen entstehen, ist somit einer der spannendsten Aspekte des ersten Bibelteils. Das Gott allerdings bildlich dargestellt wird, dürfte bei manchen Gruppierungen, welche das Bilderverbot als Dogma ansehen, anecken, spiegelt aber auch das kindliche Verständnis von Gott wider, wenn er als großer, strenger Mann mit langem Bart und langem Haar dargestellt wird.


Der Gott des Alten Testaments ist kein Gütiger und Milder wie im Neuen Testament. Hier kann man das anschaulich sehen mit der Sintflut und mit Sodom und Gomorra. Das führt inhaltlich zu manchen Widersprüchen, aber auch gerne ignorierte Aspekte wie Inzest macht Crumb zum Thema. Aber nicht durch eine thematische Gewichtung, sondern allein durch die wortgetreue Adaption, welche eben auch unangenehme Aspekte nicht verschweigt. Hier wird eben nichts hinzugefügt und nichts weg gelassen. Das macht die Adaption zu einem wichtigen Band, der die Bibel teilweise wieder neu in das Bewußtsein führen könnte.



Fazit:
Die wortgetreue, ungekürzte, ungewichtete und unkommentierte Adaption des ersten Buches der Bibel ist eine Überraschung. Nicht nur ist das aufgrund der etwas antiquierten Sprache manchmal anstrengend zu lesen, sondern auch eine Dramaturgie im heutigen Sinne kommt erst spät vor. Aber gerade durch die Bebilderung werden neue Aspekte deutlich und alles bekommt eine plastische Frische. Auch gerne verschwiegene und ignorierte Aspekte kommen hier vor.

Robert Crumbs Genesis - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Robert Crumbs Genesis

Autor der Besprechung:
Jons Marek Schiemann

Verlag:
Süddeutsche Zeitung GmbH

Preis:
€ 19,90

ISBN 10:
3864970059

ISBN 13:
9783864970030

224 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • plastisch, kraftvolle Zeichnungen
  • nichts wird verschwiegen
  • neue Frische für ein vermeintlich bekanntes Buch
  • Nachwort
Negativ aufgefallen
  • keine Klärung alter Begriffe
  • keine neuen Erkenntnisse eingearbeitet
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
Bewertung:
1
(1 Stimme)
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Rezension vom: 16.04.2012
Kategorie: SZ Bibliothek Graphic Novels
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