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Comic-Besprechung - Kafka für Afrikaner
Geschichten:Kafka für Afrikaner: Sofie und der schwarze Mann
Autor / Zeichner: Judith Vanistendael
Story:
Der belgische Journalist Bolle ist etwas indigniert: nicht nur hat seine 19-jährige Tochter Sofie einen Freund, was eh schon bei ihm Verlustängste auslöst, sondern der junge Mann ist zudem Asylbewerber. Abou stammt nämlich aus Togo und bemüht sich um sein Aufenthaltsrecht in Belgien. Sophies Familie muss nicht nur mit einem neuen Familienmitglied aus einem anderen Kulturkreis zurechtkommen, sondern Sofie und ihre Eltern sehen sich auch im Chaos der Behörden verstrickt. Doch Abou ist nicht nur ein freundlicher junger Mann, sondern leidet auch unter seinen Dämonen der Vergangenheit.
Meinung:
Kafka für Afrikaner ist das Debüt von Judith Vanistendael und dafür schon mehr als beachtlich. Vanistendael hatte zwar schon Kinderbücher und einige kurze Comics illustriert, aber der vorliegende Band ist das erste längere Werk von ihr.
Dabei ist der Titel leicht irreführend. Kafka für Afrikaner impliziert eine Satire, oder ein Drama mit humoristischen Untertönen, wie sich ein Asylbewerber im Dschungel der Bürokratie verirrt, was nicht nur Mitleid erregen würde, sondern auch den Amtswahn in bester Manier eines Franz Kafka auf das Korn nehmen würde. Diese Aspekte kommen aber kaum vor. Sicher bleibt es anhand des Inhalts nicht aus, dass solche Aspekte zur Sprache kommen. Aber lange nicht so viel wie gedacht. Viel mehr geht es um das Verhältnis der Personen untereinander. Die belgische Familie und der Freund der Tochter, dessen Freunde und Vergangenheit ihn schließlich auch beeinflussen, müssen sich eben miteinander arrangieren. So ist der Originaltitel, im deutschen der Untertitel, Sofie und der schwarze Mann sehr viel treffender. Vor allem da er die Ängste der Eltern thematisiert, für die Abou nicht nur von der Hautfarbe her ein schwarzer Mann ist, sondern ihnen auch die Tochter in einen anderen Kulturkreis zu entführen droht. Durch die Kombination mit dem Namen Sofie verliert die Bezeichnung
"Schwarzer Mann" aber seine Bedrohung, da grammatikalisch "Sofie" den Vorrang erhält.
Der Verzicht auf den behördlichen Wahn hat aber auch sein Gutes, da so der Fokus auf die familiären Aspekte den Leser viel mehr emotional beteiligt. Nicht viele haben mit dem Asylverfahren zu tun, aber die Möglichkeit, dass sich die Kinder in eine/n Asylbewerber/in verlieben, ist sehr viel höher. Somit handelt der Band nicht nur von elterlichen Verlustängsten, sondern auch von latentem Rassismus. Aber alles ist sehr mitfühlend und humorvoll geschildert. Niemals kommt ein pädagogischer Zeigefinger vor, sondern die psychischen Bedingungen und wie sich die einzelnen Personen aufeinander einlassen.
Sehr geschickt wechselt Vanistendael die Perspektive. Die erste Hälfte der Graphic Novel ist aus der Sicht der Eltern geschildert. Vorurteile und Vorbehalte gerade des Vaters bestimmen die Geschehnisse. Vor allem wie sich alle langsam aneinander gewöhnen und sich gar anfreunden und unterstützen. Durch die Begegnung und den wachsenden individuellen Respekt lösen sich alle Vorurteile und der latente Rassismus auf. Man arrangiert sich und alles wird scheinbar gut.
Die zweite Hälfte schildert die Sichtweise von Sofie. Hier kommen die Aspekte zur Sprache, welche die Eltern nicht wissen konnten. Etwa wie sich die beiden überhaupt kennen lernten und wie sie ihr Zusammenleben führten. Allerdings ist gerade dieser Teil nicht romantisch, wie man es etwa erwartet hätte, sondern sehr viel düsterer als die erste Hälfte. Denn als Partnerin von Abou lernt Sofie seine Dämonen und schreckliche Vergangenheit kennen, was langsam auf sie abfärbt. Somit gehört es zu den Stärken des Bandes, dass er zwar den Rassismus und das Asylverfahren kritisiert (welches übrigens im Nachwort etwas erläutert wird), aber keine rosarote Brille aufsetzt. Die Schwierigkeiten des Miteinanders werden durchaus thematisiert. Dabei ist immer ein großer Respekt vor dem einzelnen Menschen spürbar. Und darauf kommt es an.
Zeichnerisch ist der Stil eine Mischung aus Naivität und expressionistischen Einschüben, was in dieser Kombination aber einen großen Reiz entwickelt. Wirken die Figuren, besonders der Vater, manchmal wie aus einem Funny-Band entsprungen, so entfalten die Traumsequenzen, Visionen, Liebesszenen und Erinnerungen, welche eher expressionistisch gestaltet sind, eine besondere Qualität und stechen hervor. Ein kleines Tardizitat kommt übrigens auch vor, wenn Bolle einmal von der Leiter fällt. Einige Szenen sind sehr nachhaltig gestaltet und graphisch extrem beeindruckend. So ist eine der stärksten Szenen der Grenzübergang bei einem Ausflug von Sofie und Abou. Aber auch die Alpträume sind eindrucksvoll gestaltet. Auch wenn man sich manche Szenen und deren graphische Gestaltung etwas detaillierter gewünscht hätte, so ist Vanistendael ein differenzierter, emotionaler und humorvoller Band geglückt. Man kann auf die nächsten Bände der Zeichnerin gespannt sein.
Fazit:
Der Titel ist etwas irreführend, da es nur am Rande um die Fallstricke des Asylverfahrens geht, sondern viel mehr um die einzelnen Personen und wie sie sich miteinander arrangieren. Zu keiner Zeit wird ein pädagogischer Zeigefinger erhoben und eine glückliche Welt geschildert, sondern wie sich Individuen aus verschiedenen Kulturkreisen annähern und gegenseitigen Respekt entwickeln. Unterstützt von einigen hervorragend gestalteten Szenen gelingt Vanistendael ein differenzierter, emotionaler und humorvoller Band.

Kafka für Afrikaner
Autor der Besprechung:
Jons Marek Schiemann
Verlag:
raptor publishing GmbH
Preis:
€ 20,00
ISBN 10:
978-3-941099-42-5
ISBN 13:
978-3-941099-42-5
152 Seiten
Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

- kein pädagogischer Zeigefinger
- differenziert gestaltete Charaktere
- Respekt und Annäherung der Kulturkreise
- einige hervorragend gestaltete Szenen

- manchmal etwas unsicherer Strich
- Amtswahn hätte durchaus mehr vorkommen können

Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic | ||
Bewertung: | ||
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Rezension vom: | 24.12.2011 | ||||||
Kategorie: | One Shot | ||||||
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