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Comic-Besprechung - Gemma Bovery
Geschichten:Autor /Zeichner: Posy Simmonds
Story:
Gemma Bovery ist tot und mehrere Menschen trauern und erinnern sich an die Geschehnisse, die zu ihrem Tod führten. Gemma kam mit ihrem Mann Charlie aus London nach Frankreich, um dort ein neues Leben zu beginnen. Und alles sah zu Anfang auch gut und vielversprechend aus, bis Gemma sich auf eine Affäre einlässt, die unvorhersehbare Konsequenzen haben wird.

Posy Simmonds legt mit "Gemma Bovery" eine wirklich erstklassige Adaption des Klassikers "Madame Bovary" von Gustave Flaubert vor. Wenn man den Titel sieht, ist man erst versucht eine platte Modernisierung zu vermuten. Der Name der Heldin "Gemma Bovery" ist viel zu ähnlich mit "Emma Bovary", um eine wahre Modernisierung zu liefern. Man ist versucht zu unterstellen, dass "Madame Bovary" einfach nur in die Neuzeit versetzt und mit moderneren Namen versehen wurde und ansonsten der Stoff gleichgeblieben ist. Das ist alles richtig, aber dennoch falsch. Denn Posy Simmonds gelingt es, den Stoff der Vorlage gleich mehrfach
zu nutzen. Die Versetzung des Inhalts in die Jetztzeit soll nicht nur dem Leser eine Identifikationsmöglichkeit geben, die eventuell anhand der Kostüme des Originals verdeckt worden wäre, sondern zeigt auch die immer währende Aktualität von Ehebruch, Ehefrust, Affären, Lust, Liebe, Treue und Eifersucht. Diese Themen sind immer von Belang und es haben sich seit der Steinzeit nur die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geändert. Aber Simmonds begnügt sich nicht mit einer modernen Adaption, sondern geht einen Schritt zurück und betrachtet und thematisiert das Buch an sich. Joubert, der Bäcker im Dorf, ist so fasziniert von der Namensähnlichkeit Bovery und Bovary, dass er das Schicksal von Flauberts tragischer Heldin auf die junge Engländerin projiziert. Immer wenn er Gemma sieht, muss er an die literarische Gestalt denken und verliebt sich weniger in die reale Frau, sondern in die Mischung aus Fiktion und Realität. Tragischerweise kennt er ja den Ausgang des Romans und will diesen in der Realität verhindern. Da aber beide Ebenen getrennt voneinander sind, führt das zu negativen Entwicklungen. Es ist sehr geschickt, wie Simmonds den Inhalt der Vorlage übernimmt und modernisiert, aber auch die Vorlage selber thematisiert. Indem diese beiden verknüpft werden, ermöglicht es sich die Zeichnerin und Autorin auch einen Blick auf die Familien in ihrer Erzählung zu werfen. So gibt es nicht nur eine Analyse einer dörflichen Gemeinschaft, sondern auch eine Gegenüberstellung vom englischen Stadt- versus französischem Landleben, welches auch die Analyse derEinstellungen der beiden unterschiedlichen Nationalitäten ermöglicht. Gerade auch in diesem Konflikt kommen satirische Blicke auf Familienentwürfe und gesamtgesellschaftliche Analysen zustande. Das Buch ist also inhalts- und bedeutungsschwer, aber zu keinem Zeitpunkt abgehoben oder überladen. Alle Schichten ergänzen sich hervorragend und der Band liest sich flüssig und ist so liebevoll und detailliert gestaltet, dass der Leser sich in das Geschehen und in das Setting hineinversetzt sieht.
Dabei ist der Band auf den ersten Blick eher, naja, abschreckend. Ein Comic im streng definitorischen Sinne ist er nämlich eigentlich nicht. Die Handlung wird nicht durch sequentielle Bilder im Textverbund vorangetrieben, denn der Textanteil überwiegt deutlich. So ist der Band eher ein illustrierter Roman, in dem phasenweise die Bilder überhand nehmen. Das mag Comicpuristen etwas befremden, ist aber für diesen Stoff die ideale Erzählweise. Simmonds braucht den vielen Text, um Lebensentwürfe und auch gegenseitige Meinungen aufeinander prallen zu lassen, was einem Comic nicht möglich sein kann, sondern eher einem Roman gelingt. Mit dem Wechsel der Erzählperspektiven, die vorrangige ist die von dem Bäcker Joubert, aber auch Tagebucheinträge der Heldin und wörtliche Reden und Briefe etc. werden mannigfache Perspektiven ermöglicht. Zudem ist diese Erzählweise auch eine kleine Hommage an den klassischen (vor allem französischen)
Briefroman und dementsprechend auch eine kleine zusätzliche Verbeugung vor den literarischen Vorläufern. Die Zeichnungen sind detailliert in den Hintergründen, während die Figuren eher reduziert sind, was ein großes Mienenspiel ermöglicht und den Leser zu Deutungen einlädt.
In allen Einzelheiten und Elementen zeigt Simmonds wie aktuell Flauberts Thema noch ist, aber auch wie stark Literatur die Menschen beeinflusst. Literatur greift nicht nur das Leben auf, sondern beeinflusst es wieder. Joubert nimmt die Literatur als Handlungsanweisung mit fatalen Konsequenzen. Alle Ereignisse sieht er nur noch
metaphorisch durch die Brille von Flaubert und zieht falsche Schlussfolgerungen und Konsequenzen. Kunst, Kultur und insbesondere Literatur prägt zu einem wesentlichen Teil unsere Vorstellung mit. Gerade zeitliche Epochen, Länder oder ferne Geschehnisse, kennt man heutzutage nur noch aus den Medien. Und so geschickt und unterhaltsam wie hier ist es selten thematisiert worden, dass es nicht der Realität entsprechen muss. Die
psychologische Dichte der Figuren wird dabei nie vergessen. Und die letzten zwei Wörter in diesem furiosen Band sind ein wahrer Clou.
Fazit:
So müssen Adaptionen sein. Nicht nur wurde der klassische Stoff modernisiert und mit einer gesamtgesellschaftlichen Analyse der Moderne verbunden, sondern auch das Buch an sich wird thematisiert. Damit wird die Adaption auch zu einer respektvollen Hommage an das Buch insbesondere und an die Macht der Literatur allgemein. Vielleicht eine der besten Literaturadaptionen im Comic überhaupt.

Gemma Bovery
Autor der Besprechung:
Jons Marek Schiemann
Verlag:
Reprodukt
Preis:
€ 20,00
ISBN 10:
3941099728
ISBN 13:
978-3-941099-72-2
112 Seiten
Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

- mehrere Bedeutungsebenen
- keine reine Modernisierung
- psychologische Dichte
- unterhaltsam und philosophisch


Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic | ||
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Rezension vom: | 01.07.2011 | ||||||
Kategorie: | One Shots | ||||||
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