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Comic-Besprechung - SZ Bibliothek Graphic Novels 8: Blei in den Knochen

Geschichten:

Autor: Jacques Tardi
Zeichner: Jacques Tardi



Story:

Privatdetektiv Nestor Burma trinkt gerne mal einen über den Durst. Dazu kommen wirre Träume von Knochenhaufen, die sich hinter dem Bartresen auftürmen und einem verrückten Clown, der ihn laut lachend abknallt. Kein Wunder, wenn da der Schädel brummt als ihn sein Kollege Covet anruft um ihm mitzuteilen, dass er gebraucht wird um einen "schmutzigen Mord" aufzuklären.

Wir befinden uns im vorwiegend nachtdunklen Paris des Jahres 1957 und Burma gehört zu den Detektiven, die ein privates Problem haben. Er fühlt sich verantwortlich für den Tod einer Frau, in die er verliebt war und kann seinen Kummer nur im "Sauvignon-Delirium" ertragen. Dennoch rafft er sich auf und übernimmt den Fall einer Kellnerin, die genau vor dem Lokal ermordet wurde, in dem Nestor tags zuvor gesoffen hatte. Leider kann sich unser verkaterter Held nicht mehr an Details erinnern, nur noch an einen als Clown verkleideten Rauchwarenverkäufer und zwei schräge Typen, von denen einer einen Pfeifenstopfer verwendet hatte. Die Leiche der Kellnerin, so erfahren Burma und Covet vom lokalen Inspektor Breaut, wurde auf dem angrenzenden Grundstück eines Heizölhändlers gefunden. Ein Fall, der zunächst nicht weiter außergewöhnlich erscheint - bis auf dem Pfeifenstopfer Nestor Burmas Fingerabdrücke gefunden werden und er somit selbst zu einem Hauptverdächtigen avanciert.

Mithilfe von Covet, der ihn deckt, forscht Burma nach, wer ihn da ans Messer liefern will und ist sich dabei selbst nicht so sicher, ob er unschuldig ist. Nachts im Heizöllager wird er Zeuge, wie die beiden schrägen Typen aus dem Lokal etwas in einem Öltank verstecken und dabei von Inspektor Breaut nicht nur ertappt, sondern auch kaltblütig abgeknallt werden. Als Burma ihn stellt, ereilt ihn beinahe dasselbe Schicksal, doch plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Zwei weitere sinistre Ganoven tauchen auf, erschießen den Inspektor, schlagen Burma nieder und wollen die Leichen auf einer Müllkippe entsorgen. Burma gelingt es in letzter Sekunde zu fliehen, doch er kommt vom Regen in die Traufe: "Die Narbe", eine Frau mit schrecklich entstelltem Gesicht, richtet ihre Pistole auf ihn. Sie entpuppt sich als Mitglied einer ganzen Bande, die während des Zweiten Weltkriegs, als die Nazis Frankreich okkupiert hatten, einen Racheakt durchführten, dabei aber von einem der Mitglieder betrogen wurden. Langsam lichten sich die Nebelschwaden und geben Burma den Blick frei auf ein Komplott, bei dem auch Inspektor Breaut und der Clown eine wichtige Rolle spielen...



Meinung:

Die Aufnahme von Jacques Tardi in die Graphic-Novels-Reihe der Süddeutschen Zeitung steht außer Frage, gilt der französische Altmeister doch mit Frühwerken wie Hier selbst (Ici Meme"; Text: Jean-Claude Forest) als einer der Begründer des anspruchsvollen, künstlerisch orientierten Comic-Romans. Das war 1978/79, als noch niemand etwas von dem Begriff "Graphic Novel" gehört hatte. Ob das 1989 erstmals erschienene Blei in den Knochenjedoch zu den besten Werken Tardis gezählt werden kann, darüber lässt sich streiten. Die Figur Nestor Burma, kreiert vom Pariser Krimi-Schriftsteller Léo Malet, ist jedenfalls eng verbunden mit dem Werk Tardis. Vier Romane Malets hat Tardi bereits grafisch umgesetzt und um seine ganz eigene, visuelle Dimension erweitert. Blei in den Knochen basiert im Gegensatz zu den anderen Nestor-Burma-Abenteuer nicht auf einer direkten Romanvorlage, sondern ist der "Welt von Léo Malet nachempfunden".

Betrachtet man allein die Geschichte, so ist das Resultat gegenüber den umfangreicheren Romanadaptionen etwas dürftig ausgefallen. Insbesondere das überstürzt zusammengeschusterte Ende und die nicht besonders originelle Erklärung, wie Nestor Burmas Fingerabdrücke auf das Haupbeweismittel gekommen sind, wird eingefleischte Krimiliebhaber nicht sonderlich vom Hocker reißen. Freunde von Malets Romanen werden vielleicht mehr Freude an den klassischen Tardi-Adaptionen wie Die Brücke im Nebel (1981) oder 120, Rue de la Gare (1986) haben. Was den Comic aber dennoch zu einem Genuss macht, sind die einzigartigen Zeichnungen Tardis. Sie entführen den Leser in ein Paris der 1950er Jahre, das bevölkert ist von eigenwilligen, leicht verschrobenen Figuren und das eine Stimmung vermittelt, wie wir man sie aus französischen Film-Noir-Klassikern wie Rififi von Jules Dassin kennt.

Tardi erweitert in diesem Abenteuer sein künstlerisches Spektrum um das Element "Farbe" - eine Entscheidung, die in Anbetracht der Schwarz-Weiß-Atmosphäre des Film Noir zunächst kontraproduktiv erscheint. Dem Künstler gelingt es jedoch souverän, die Möglichkeiten der Farbe zu nutzen um die melancholische, triste, und bisweilen morbide Welt des Nestor Burma greifbar zu machen. Die Lichter der nächtlichen Stadt spiegeln sich auf dem regennassen Asphalt, brauner Rost frisst sich durch alte Eingangstore, die in dunkelgraue Hinterhöfe führen und schweres Blut sammelt sich bedrohlich in leuchtend-roten Pfützen.

Die Gesichter der Figuren sind in elegantem, fast skizzenhaften Schwung gestaltet, geraten ab und an fast zu Karikaturen, doch gerade in der Reduktion auf das Wesentliche definiert Tardi die Charaktere sehr genau. Ein gegen den Mund gepresster Daumennagel und die zwischen den Fingern steckende Zigarette geben Nestors Assistentin Hélène eine zutiefst menschliche Dimension, genauso wie die stets missmutig hervorgeschobene Unterlippe des Protagonisten oder die bebrillten Maulwurfsaugen von Covet.

Makabere Traumversionen, wie der Tanz der ermordeten Kellnerin mit einem Knochengerüst, lässt Tardi wie selbstverständlich in die Handlung einfließen, zeigen die Ängste der Hauptfigur auf eindrückliche Weise. Kleine, schräge Einfälle charakterisieren einerseits den Helden Nestor Burma und sorgen andereseits dafür, dass sich die ganze Geschichte nicht allzu ernst nimmt. Bei seinen Nachforschungen auf dem Gelände des Heizölhändlers findet Burma zum Beispiel die knallrote Nase des Clowns aus der Bar und setzt sie sich diebisch grinsend auf. Fast zehn Seiten bleibt sie da auch, selbst bei der Rauferei mit dem ertappten Inspektor Breaut. Er zieht sie erst aus als der Bulle lakonisch meint: "Zum Lachen sind sie, Burma, mit diesem komischen Ding auf der Nase. Noch besser wär's, wenn darauf "Privatdetektiv" aufleuchten würde."

Der Humor zieht sich auch durch die trockenen Off-Kommentare der Hauptfigur, einem klassischen Stilmittel amerikanischer Kriminalromane, wie etwa denen von Dashiell Hammett oder Raymond Chandler, wird aber bei Tardi akzentuiert durch eine etwas "schmutzigere" Note. Er lässst Burma Sätze sagen wie: "Diese suburbane Gegend war echt zum Kotzen. Zum Därmeauskotzen." Inspektor Breaut wiederum konfrontiert den ihn duzenden Burma mit grimmiger Bullenschnauze: "Darf ich bemerken, dass ich Sie nicht duze, Sie dreckiges kleines Arschloch!"

Darüberhinaus findet man eine Menge liebevoller Details wie z.B. das Filmplakat von La Femme que j'ai assassineé, einem thematisch verwandtem französischen Krimi aus dem Jahr 1948 an der Wand hinter Burma, ein hingeschmierter Wandspruch an der Mauer, der "Frieden in Algerien" fordert und auf den 1957 noch andauernden Unabhängigkeitskrieg in Nordafrika anspielt oder zwei Ganoven, die beim Entsorgen der Leichen ironischerweise den französischen Chanson "Le Gorille" von Georges Brassens trällern, ein skurriles Lied über einen brünftigen Affen und gleichzeitig ein Plädoyer gegen die Todesstrafe. All diese Einzelheiten weben ein stimmiges Bild der späten fünfziger Jahre und integrieren sie gekonnt in die düstere Ästhetik des Film Noir, zeigen, dass die Werke Tardis mehr sind als nur spannende Krimigeschichten. Ohne direkte Einwirkung von Léo Malet entstanden ist Blei in den Knochen natürlich auch eine Verbeugung vor dem 1996 verstorbenen französischen Schriftsteller und geistigem Vater von Nestor Burma.



Fazit:

Wenn auch nicht eines von Tardis großen Meisterwerken, so ist Blei in den Knochen doch ein atmosphärisches Kleinod, das vor allem durch seine grafischen Qualitäten und seine knochentrockene Hauptfigur Nestor Burma besticht.



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SZ Bibliothek Graphic Novels 8: Blei in den Knochen

Autor der Besprechung:
Armin Hofmann

Verlag:
Süddeutsche Zeitung GmbH

Preis:
€ 14,90

ISBN 10:
978-3-86615-874-0

96 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • ansprechende Aufmachung trotz Einheitslook der SZ-Reihe
  • schönes Sammelobjekt
  • herrlich eigenwillig
Negativ aufgefallen
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
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Rezension vom: 08.04.2011
Kategorie: SZ Bibliothek Graphic Novels
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