Einem Mann, der sein Gedächtnis verloren hat, kann man
vieles erzählen. Unter anderem auch, dass er den amerikanischen Präsidenten
erschossen hat.
Auf diesem Grundeinfall beruht Jean van Hammes als Klassiker
gehandelte Comic-Serie „XIII“, die 1984 mit dem Band „Der Tag der schwarzen
Sonne“ begonnen wurde, in einer Zeit also, wo Intrigen und Verwirrspiele auf
internationaler politischer Bühne nicht weniger virtuos gehandhabt wurden als
in den Spionagethrillern der Unterhaltungsindustrie. 1980 hatte der
amerikanische Thriller-Autor Robert Ludlum unter dem Titel „The Bourne
Identity“ einen Roman vorgelegt, der im Hinblick auf seinen Grundeinfall van
Hammes „XII“ zum Verwechseln ähnlich sieht: Zwei Männer, die ihr Gedächtnis
verloren haben und dadurch zwischen die politischen und militärischen Fronten
geraten, wobei jede Aufklärung über ihre tatsächliche Identität nur das
Vorspiel weiterer Irrungen und Wirrungen ist. Bei van Hamme heißt der
gedächtnislose Held freilich nicht Bourne, sondern, nach einer Tätowierung über
seinem linken Schlüsselbein, schlicht XIII – ein abstrakter Indikator, der
einen ebenso abstrakten Helden kennzeichnet.
Der erste Band der bei Carlsen verlegten Gesamtausgabe, die
jeweils mit einem Vorwort ediert wird, vereint die ersten vier Bände der Serie,
worin die Identitätskonfusion des namenlosen Helden auf wenigen Seiten
eingeführt und sogleich in jegliche denkbare Richtung narrativ ausgewalzt wird.
Wo es keine Gewissheit gibt, fungiert die beständige Ungewissheit von XIII über
seine Vergangenheit und Identität als entscheidende (und übrigens einzige)
Spannungsmotivierung. Dabei erzählt van Hamme zwar durchaus unterhaltsam, aber
ohne jegliches psychologisches Interesse an seinem Helden oder den zahlreichen
Nebenfiguren, unter denen die reizvollste noch die (selbstverständlich)
undurchschaubare Leutnant Jones ist. Die übrigen Figuren – allen voran der
Hauptdarsteller – werden durch die Handlung gejagt (auch ein paar Seiten
Vietnamkrieg sind dabei) und haben kaum einmal die Möglichkeit, etwas zu sagen
oder zu tun, was irgendeine tiefergehende Bedeutung hätte. Damals, in den 80er
Jahren, war diese vom Fernsehen abgeschaute Oberflächenspannung sicherlich
Mainstream, und van Hamme hat sich hier vorzüglich angepasst; aber heute ist
man, was gute Geschichten angeht, zu verwöhnt, um durch eine Serie, die im
Grunde genommen immer nach dem gleichen Muster gestrickt ist und mit dessen
Verstricken und Entstricken beschäftigt ist, wirklich gefesselt oder
unterhalten zu werden.
Auch Vances Zeichnungen haben mit den Jahren etwas Staub
angesetzt. Natürlich war er ein Meister des Tuschens, und seine Pinselführung
beeindruckt gerade in „XIII“ durch ihre reduktive Eleganz und Dynamik. Aber gerade
die markige Kantigkeit seiner Männerfiguren mit ihren Baumstammhälsen und
Quadratkiefern, die ganz und gar in den 70er und 80er Jahren verwurzelt ist,
hat heute bloß noch nostalgischen Wert. Davon abgesehen, transportieren seine
Figuren nicht mehr als zwei bis drei Emotionen. Mehr verlangt ihnen die Story
auch nicht ab.
Insgesamt ist die Gesamtausgabe von „XIII“ wohl eher eine
Art Sammlerobjekt für Comicleser, die ein Faible für Comics haben, mit denen
sie aufgewachsen sind, und die um solcher nostalgischen Beweggründe willen auch
zur allergrößten Nachsicht im Bereich der Qualität bereit sind. Neue, gar junge
Leser werden sich für „XIII“ wohl aber kaum noch erwärmen können.
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