Da
entschließt sich ein tadelloser deutscher Comicverlag, ein Juwel der
Comicgeschichte des 19. Jahrhunderts in einer großformatigen Prachtausgabe
wiederaufzulegen. „Was für ein Fest!“, denkt man sich und legt die viel zu
kleine, alte, zerlesene Insel-Ausgabe der Werke des Genfer Karikaturisten
vorsorglich auf Seite, um Platz zu schaffen für ein – ganz sicher wird es das
sein! - editorisches Glanzstück des 21. Comic-Jahrhunderts.
Und dann
das! Welche Enttäuschung, welch tiefe Enttäuschung!
Am äußeren
Eindruck des Bandes liegt es nicht, denn der ist bestens und muss jeden
bibliophilen Comicleser in Verzückung geraten lassen: Ein massives, sorgfältig
gebundenes Buch im Querformat mit Leinenbesatz, schwerem, wunderbar duftendem
Papier und vorzüglicher Druckqualität – was kann das Herz mehr begehren?
Alles läuft
prima, bis man zu lesen anfängt; bis man sich anschickt, diese wunderbar
skurrilen, von einer tiefsinnigen Heiterkeit durchzogenen Bildergeschichten und
Comicmarotten in all ihrer neuen Frische zu genießen. Denn: Was auch immer den
avant-Verlag – oder den Herausgeber Simon Schwartz - dazu bewogen hat, die
deutschen Übersetzungen der französischen Textkästen in Töpffers Panels, durch
Spiegelstriche verbunden, an den unteren Seitenrand zu drucken, es kann nicht
die Liebe zu den Leserinnen und Lesern gewesen sein. Unaufhörlich muss man
dadurch beim Lesen weite Sprünge machen, muss im Grunde genommen die Geschichte
immer wieder verlassen, um ihr folgen zu können. Das mag in einer
wissenschaftlichen Edition, der es nicht vorrangig um den Lesegenuss (und
Lesefluss) geht, sondern um dokumentarische Treue, noch hingehen. Aber die Töpffer-Ausgabe
des avant-Verlags ist nun einmal keine wissenschaftliche Edition, sondern sie
soll eine Leseausgabe sein, die das Werk des Genfer Karikaturisten wieder ins
Bewusstsein einer breiteren (und um das französische Original herzlich unbekümmerten)
Leserschaft rückt. So aber hat man sich selbst ein Bein gestellt. Bei aller
liebenswürdigen Akribie, die diese Ausgabe im Detail erkennen lässt, ist das
doch eine unverzeihliche Fehlentscheidung gewesen. Schade, dass es sich jetzt
nicht mehr rückgängig machen lässt.
Und sonst?
Das Vorwort des Comicautors Simon Schwartz, der auch die Auswahl der
Bildergeschichten besorgt hat, ist sachlich hervorragend, gut geschrieben und
außerdem von einer unverhohlenen Leidenschaft für Töpffers Arbeiten geprägt. So
muss es sein. Diese Arbeiten selbst – der Band bietet die drei
Bildergeschichten „Les Amours de Monsieur Vieux Bois“, „Monsieur Pencil“ und „Histoire
de Monsieur Cryptogame“ – sind mit ihren überzeichneten Figuren, ihrem
lakonischen Witz und ihrer überdrehten Situationskomik für jeden humoristisch
veranlagten Comicleser ein Genuss, besonders die letzte, ein Höhepunkt des komischen
Comics bis heute. Dass Töpffers Geschichten ihre rund 200 Jahre auf dem Buckel
haben, merkt man gelegentlich, aber im Ganzen erstaunlich selten. Das ist eben
die große Kunst des Kritzelgenies Töpffer gewesen: Er war kein Tageshumorist, keiner,
der aufs schnelle Lachen aus war, das ebenso schnell wieder verklungen ist, sondern
ein Menschenkenner der ganz besonderen Art. Und deswegen können wir in seinen
Geschichtenkaleidoskopen über das, was den Menschen an Dummheit möglich ist, auch
noch unsere eigene Dummheit erkennen und herzlich über sie lachen – der erste
Schritt zur Besserung, wie man so sagt.
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