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Kapitel 3 - Neue Freiheiten
Nach den neuen Richtlinien war es nun erlaubt, Drogenabhängigkeit zu thematisieren, sofern die Geschichte die Absicht verfolgte, die Nachteile des Drogenkonsums aufzuzeigen. Außerdem war nun eine eingeschränkte Wiedereinführung "richtiger" Horrorcomics möglich. Zu den bekannteren Werken, die dadurch ermöglicht wurden, zählen Swamp Thing von DC und Ghost Rider sowie Son of Satan von Marvel. Auch in den "normalen" Superheldentiteln wurde nun vermehrt auf Horrorelemente zurückgegriffen, was in den Geschichten für eine wohltuende Abwechslung von den immer gleichen, nach Rache dürstenden Superschurken sorgte.
Eine weitere wichtige Veränderung betraf die Darstellung von Einrichtungen und Personen des Staates. Dank eines neu hinzugekommenen Nachsatzes war es nun erlaubt, auch Ordnungshüter beim Begehen von Straftaten zu zeigen, sofern klargestellt wurde, daß es sich dabei um Ausnahmefälle handelte.

Doch auch wenn die Bestimmungen der CCA gelockert worden waren, hieß das noch lange nicht, daß sich nun wieder jeder an sie hielt. Eine heute nahezu legendäre Geschichte sollte bald für Aufsehen sorgen.
Alles nahm seinen Anfang, als DC Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre feststellen mußte, daß die Verkaufszahlen der Green Lantern-Serie rapide zurückgegangen waren. Julius Schwartz, der damalige Chefredakteur von DC, beauftragte einen bis dato nahezu unbekannten Autoren namens Dennis "Denny" O'Neil und den Zeichner Neal Adams damit, der Serie um DCs "Weltraumpolizisten" neues Leben einzuhauchen und auf diese Weise das Interesse der Leser erneut zu wecken. Da die Serie sowieso kurz vor der Einstellung stand, hatten O'Neil und Adams nahezu freie Hand.
Ihr erster Schritt bestand darin, Green Arrow in die Serie einzuführen. Zwar gab es die Figur schon seit den vierziger Jahren, und Arrow und Lantern waren auch beide Mitglieder der Justice League, doch bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich kein Autor großartige Mühe gegeben, ihm eine eigenständige Persönlichkeit zu verleihen. O'Neil und Adams änderten das kurzerhand, indem sie Oliver Queen in einen gesellschaftskritischen, antiautoritären Rebellen verwandelten, der das exakte Gegenteil des konservativen, angepaßten Hal Jordan darstellte.
Die Serie, die mit der Ausgabe 76 in "Green Lantern/Green Arrow" umbenannt wurde, beschäftigte sich im Handlungsbogen mit dem Titel "Hard-Travelling Heroes" mit den Problemen der amerikanischen Gesellschaft. Auf einer "Entdeckungsreise", die die beiden ungleichen Helden durchs ganze Land führte, machte Green Arrow seinen Heldenkollegen immer wieder auf soziale Mißstände aufmerksam, die dessen Glauben an bestehende Werte wieder und wieder ins Wanken bringen sollten.
Die Geschichten sorgten bald für Aufsehen. Selbst die New York Times widmete der neuen gesellschaftlichen Relevanz innerhalb der Comics einen Artikel. Erstmals begannen Helden, ihre eigenen Motive ernsthaft in Frage zu stellen und darüber nachzudenken, was Superkräfte gegen das Böse der Welt ausrichten konnten, während auf der anderen Seite die Comics endlich den Schritt heraus aus der "Kinderkram"-Ecke vollzogen. Die neuen "Gegner" hießen Bigotterie, Haß, Umweltzerstörung und Verzweiflung - Gegner, die man nicht einfach mit Pfeil und Bogen oder einem Kraftring besiegen konnte.
In den Heften 85 und 86 (1972) wurden die Vorzeichen umgekehrt. Diesmal war es Green Arrow selbst, der erkennen mußte, daß auch in seinem Umfeld nicht nur eitel Sonnenschein herrschte, als er erfuhr, daß sein Juniorpartner Speedy (Roy Harper), der sich von seinem Mentor im Stich gelassen gefühlt hatte, heroinabhängig geworden war. Diese Geschichte sorgte für Wirbel, da die arg konservativ eingestellte Prüfungskommission der CCA auch nach der Änderung ihrer Richtlinien nach wie vor große Bedenken hatte, eine Geschichte zuzulassen, die Drogenmißbrauch zum Thema hatte.
O'Neil und Adams jedoch interessierten sich nicht sonderlich für Bestimmungen, die noch immer den Geist der fünfziger Jahre spüren ließen und "erwachsene" Themen von vorneherein nahezu ausschlossen. In dem Wissen, daß die CCA die Abbildung einer Spritze auf dem Cover eines Green Lantern/Green Arrow-Heftes niemals zulassen würde, umging Adams das Problem kurzerhand, indem er ganz einfach zwei Spritzen zeichnete und auf Wunsch der CCA eine davon wieder entfernte. Mit ein paar geschickten Kunstgriffen gelang es O'Neil und Adams so, die Geschichte, so wie sie ihnen vorschwebte, quasi an den strengen Augen der CCA vorbeizuschmuggeln.
Doch trotz oder gerade wegen ihrer Bemühungen, ernstere Themen aufzugreifen, stießen die Geschichten aus dem "Hard-Travelling Heroes"-Zyklus trotz des durchweg positiven Echos von Seiten der Kritiker bei den Lesern nicht auf die gewünschte Resonanz. Die Fans waren nicht bereit, sich damit abzufinden, daß es Gegner gab, die "ihre" Helden nicht besiegen konnten. So kam es, daß nach nur 13 Ausgaben Green Arrow wieder aus dem Titel der Serie verschwand und sich fortan mit Zweitstories in anderen Serien zufriedengeben mußte.

Doch der Stein war ins Rollen geraten. Comicautoren und -leser erkannten das Potential, das in diesen Geschichten lag, und so begannen bald auch die Helden anderer Serien, sich für ihre Umwelt zu interessieren. Soziales Interesse war auf einmal "in", und zahlreiche Autoren und Zeichner nahmen die Herausforderung an, an die neuen Maßstäben, die die "Hard-Travelling Heroes" gesetzt hatten, anzuknüpfen.

Das nächste große Ereignis erfolgte 1973. In The Amazing Spider-Man #121 tötete der Green Goblin, der Erzfeind des Titelhelden, dessen Freundin Gwen Stacy. Das stellte ein absolutes Novum dar, und das gleich aus mehreren Gründen. Zum einen war es bislang so gewesen, daß Kriminelle zwar immer wieder versuchten, ihre verbrecherischen Pläne in die Tat umzusetzen, doch am Ende gelang es dem Helden jedesmal, sie zu besiegen und die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Diesmal jedoch kam Spider-Man zu spät und zahlte einen furchtbaren Preis. Zum anderen war es bislang völlig undenkbar, daß tatsächlich eine wiederkehrende, dem Leser durch und durch sympathische Nebenfigur ums Leben kam. Daher markiert dieses Heft nicht umsonst in den Augen vieler Leute das Ende des "Silver Age".

In den folgenden Jahren begann eine neue Art von "Held", die Comics zu bevölkern. In The Amazing Spider-Man #129 (1974) hatte eine für damalige Verhältnisse geradzu unmögliche Figur ihren ersten Auftritt: Der "Punisher", dessen Ziel es nicht ist, Verbrecher vor Gericht zu bringen, sondern sie ein für allemal unschädlich zu machen. Noch im selben Jahr trat in den Heften 180 und 181 der Serie The Incredible Hulk eine kleine, häßlich, wilde Gestalt namens Wolverine auf, die ebenfalls keine großen Skrupel zeigte, Gewalt einzusetzen. Damit folgten die beiden der bereits 1970 von Conan begründeten Tradition der "Antihelden", für die der Einsatz körperlicher, teilweise sogar tödlicher Gewalt selbstverständlich war.
Der Punisher kehrte noch im selben Jahr in The Amazing Spider-Man #134 und #135 zurück und verbündete sich dieses Mal sogar mit dem Titelhelden, während Wolverine nur zwei Jahre später, in Giant-Size X-Men #1, als Gründungsmitglied eines neuen X-Men-Teams erneut in Erscheinung trat. Indem man diese "Antihelden" mit anderen, eher traditionellen Helden zusammenarbeiten ließ, zeigte man, daß diese durchaus auch als Sympathieträger angesehen werden durften - eine Tatsache, die noch wenige Jahre zuvor völlig undenkbar gewesen wäre.

Dieser Trend setzte sich in den achtziger Jahren fort und legte schließlich den Grundstein für eine Ära, die im Nachhinein nur als "Dark Age" bekannt ist. Diese Entwicklung spiegelte nicht zuletzt auch einen zunehmend entspannteren Umgang der Comicverlage mit den Richtlinien der CCA wider. Zeichner Stephen Bissette erinnert sich an einen Fall, als er mit Autor Alan Moore und Inker John Totleben Auseinandersetzungen bezüglich der CCA-Richtlinien im Zusammenhang mit den geplanten Ausgaben Saga of the Swamp Thing #29 und Annual #2 (1984/85) hatte und der zuständige Herausgeber kein sonderliches Interesse zeigte, ihnen die aktuelle Version der Richtlinien zukommen zu lasssen, obwohl Bissette wiederholt danach verlangte.
Selbst als ihre kreative Auseinandersetzung darin resultierte, daß DC fortan schlichtweg darauf verzichtete, Swamp Thing der CCA-Prüfungskommission vorzulegen, schien die CCA niemanden sonderlich zu interessieren, ein Zeichen dafür, daß sie zunehmend an Bedeutung verlor. Als Folge dieser Ereignisse entstand ein eigenes DC-Sublabel namens "Vertigo", das ausschließlich auf ein "reiferes" Publikum zugeschnittene Comics ohne das CCA-Siegel veröffentlichte.

Zur selben Zeit begannen kleinere Verlage zunehmend ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, indem sie sich vermehrt mit Themen beschäftigten, die hauptsächlich Erwachsene ansprachen. Diese Verlage waren von Comicfans gegründet worden, die erkannt hatten, daß die einzige Möglichkeit, Comics ohne die Einmischung des Comics Code und der Großverlage herauszubringen, darin bestand, diese in Eigenregie zu veröffentlichen. Kleinverlage wie Kitchen Sink Publishing und Dark Horse Comics brachten hauptsächlich Geschichten heraus, die weniger darauf ausgelegt waren, den durchschnittlichen Comicleser anzuziehen als vielmehr ein völlig neues Publikum, ganz ähnlich, wie es auch Independent-Filme tun.
Comics wie RAW, Love & Rockets und American Splendor brachten Leute zu den Comics, die sich bislang nicht sonderlich für das Medium interessiert hatten, und Künstler wie Art Spiegelman, Dave Sim und Will Eisner erhielten große Anerkennung für ihre ehrgeizige Arbeit.

Auch die großen Verlage sprangen auf den Zug auf und begannen verstärkt, auch Geschichten für eine ältere Leserschaft auf den Markt zu bringen. Die "realistischen" Superheldengeschichten waren geboren.
Autor Frank Miller, der bereits durch seine Arbeit an Marvels Daredevil (bei der er auch den Punisher zurückkehren ließ, diesmal allerdings als Kriminellen) einem größeren Publikum bekannt geworden war, brachte zusammen mit Zeichner Klaus Janson bei DC das vierteilige Epos Batman: The Dark Knight Returns heraus, das davon berichtete, wie Bruce Wayne in einer nicht näher datierten Zukunft ein letztes Mal das Kostüm des Batman anlegt, um gegen das Verbrechen in Gotham City anzutreten.
The Dark Knight Returns zeichnet sich durch einen düsteren, kompromißlosen Stil aus, der von Anfang an deutlich machte, daß es sich um alles andere als eine "Kindergeschichte" handelte.
Fast zur selben Zeit erschien, ebenfalls bei DC, die zwölfteilige Miniserie The Watchmen. Alan Moore und Dave Gibbons verdeutlichten in der episch angelegten Geschichte, die heute schon als Klassiker gilt, die Bedeutungslosigkeit kostümierter Vigilanten.
Eine der Besonderheiten von Watchmen war das Fehlen nahezu aller Merkmale eines kommerziellen Comics. Neben diversen inhaltlichen Besonderheiten wie dem Fehlen jeglicher Lautmalereien verzichteten die zwölf Hefte auch vollständig auf das CCA-Siegel. Gibbons und Moore waren nicht bereit, sich den in ihren Augen völlig überflüssigen und veralteten Richtlinien der CCA zu unterwerfen, nur damit ihr Werk jedem frei zugänglich war.
Der Erfolg gab ihnen recht. Die Kritiker feierten das Werk als Abgesang auf den kommerziellen Superheldencomic. Diverse religiöse und konservative Institutionen beklagten derweil die Entwicklung und beteuerten immer wieder, Comics seien etwas "für Kinder".

Ebenfalls 1986 wurde in "Friendly Frank's", einem Comicladen in Lansing, Illinois, eine Razzia durchgeführt, unter dem Vorwurf, "obszöne" Comics zu verkaufen. Die betreffenden Titel lauteten Omaha the Cat Dancer, The Bodyssey, Weirdo und Bizarre Sex. Als Reaktion darauf wurde der "Comic Book Legal Defense Fund" gegründet, um die Betreiber des Ladens und andere, die sich in ähnlichen Situationen befanden, vor Gericht zu unterstützen. Der Fall kam vors Berufungsgericht, das den Betreiber des Ladens von allen Vorwürfen freisprach.

1988 brachte DC ein weiteres Werk aus der Feder von Alan Moore heraus, den One-Shot Batman: The Killing Joke, der davon handelte, wie der Joker nach einer erneuten Flucht aus Arkham ins Haus von Commissioner Gordon eindringt, dessen Tochter Barbara (das frühere Batgirl) niederschießt und den Commissioner gefangennimmt, um ihn mit Fotos seiner entkleideten, schwerverwundeten Tochter in den Wahnsinn zu treiben.
Auch diese Geschichte war in erster Linie für ein erwachsenes Publikum gedacht und verzichtete dementsprechend auf das CCA-Siegel. Diese Entwicklung, der immer mehr Verlage folgten, war nicht zuletzt durch ein neuartiges Beriebssystem möglich geworden, den sogenannten "Direct Market".
Comics wurden seit Mitte der achtziger Jahre nicht mehr hauptsächlich über Zeitungskioske vertrieben, sondern über einen eigenen Fachhandel, spezielle Comic-Shops also. Mittlerweile werden achtzig Prozent aller Comics in den USA über den "Direct Market" vertrieben.

Die CCA zollte dieser Entwicklung schließlich Tribut, indem sie ihre Richtlinien komplett überarbeitete und an die veränderte gesellschaftliche Situation anpaßte. Die neuen Richtlinien, die 1989 in Kraft traten und bis heute gültig sind, sind im nächsten Abschnitt nachzulesen.


Special vom: 06.05.2001
Autor dieses Specials: Torsten B Abel
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Kapitel 1 - Die Verführung der Unschuldigen
Die Richtlinien zu Kapitel 1
Kapitel 2 - Die gestelzten Jahre
Die Richtlinien zu Kapitel 2
Die Richtlinien zu Kapitel 3
Kapitel 4 - Die letzten Züge des Comics Code
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