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Mit den Abrafaxen in die Lutherzeit
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Geschichte(n) schreiben
Mit den Abrafaxen in die Lutherzeit

Interview mit Jens U. Schubert von Robert Löffler


juschubertJens U. Schubert (* 1963) ist der Autor der Abrafaxe-Comics im MOSAIK. Damit ist er einer der ganz wenigen, der in Deutschland sein Geld als Comicautor verdient, ohne selbst zu zeichnen.
Zum Start der neuen Serie, die im MOSAIK 483 beginnt (erhältlich ab 24. Februar 2016), unterhielten wir uns zu seinem Werdegang und zu seiner Arbeitsweise beim Schreiben einer MOSAIK-Serie.

Hallo Jens, erzähl uns doch erstmal, wie Du zum MOSAIK gekommen bist.
Ende 1986 war ich 23 Jahre alt und hatte nach dem Studium keine Ahnung, was aus mir werden sollte. Genau genommen weiß ich das immer noch nicht, aber damals hatte ich das große Glück, als Praktikant in der Redaktion des MOSAIK unterzukommen. Ich durfte beim legendären MOSAIK Schreibtisch an Schreibtisch mit Halbgöttern wie Lona Rietschel oder Horst Boche zeichnen. Das war eigentlich kaum zu glauben. Zu dieser Zeit stießen mit Michael Schröter, Jörg Reuter und später auch Andreas Pasda noch mehr junge Leute zur Truppe, die von den zeitgenössischen Comics geprägt waren und auch der alten Dame MOSAIK frischen Wind unter die Röcke pusten wollten. Just in dieser Zeit warf der Untergang der DDR dann alles, was wir kannten, durcheinander. Zu den gewaltigen Paradigmenwechseln jener Zeit gehörte auch die Tatsache, dass mit Lothar Dräger der große alte Kämpe des Bildergeschichtenerzählens von Bord ging. Als der Stuhl frei wurde, war ich einfach so nah dran, dass ich als Erster drauf saß. Jedenfalls fast, mein leider viel zu früh gestorbener Kollege Walter Hackel hatte damals die andere Hälfte des Autorenthrones besetzt. Anfangs haben wir die Abrafaxegeschichten gemeinsam geschrieben; später kümmerte sich Walter um den redaktionellen Teil und ich mich um die Abrafaxe. Das klingt alles nach sehr viel glücklichem Zufall. Da ich aber inzwischen zweieinhalb Jahrzehnte dabei bin, ist es wahrscheinlich Schicksal.

Du schreibst also seit 25 Jahren Monat für Monat eine neue Comicgeschichte. Gehen Dir da nicht langsam die Ideen aus?mosaik_483
Es soll ja Leute geben, die genau das behaupten. Aber ganz ehrlich?
Nein, die Ideen gehen schon deshalb nicht aus, weil die Abrafaxe ständig Zeiten und Schauplätze wechseln, und dabei treffen sie auf immer neue politische, soziale oder kulturelle Situationen. Unsere Geschichten entstehen ja in dem Spannungsfeld aus der Erforschung des historischen Umfeldes und dem Agieren unserer zeitgenössischen Helden (und das sind die Abrafaxe zweifellos) in diesem Kontext. Da die äußeren Umstände stets andere sind, entstehen auch immer wieder neue Ideen, wie diese Umstände in Bildgeschichten umgesetzt werden können.

Kommen wir zu der aktuellen Geschichte, deren erstes Heft jetzt gerade erscheint. Erzähl doch mal. Was wird den Leser in den nächsten Heften erwarten?
Die aktuelle Serie führt die Abrafaxe in die Zeit der Reformation. Klingt langweilig? Vielleicht. Ist es aber überhaupt nicht! Abgesehen davon, dass Ereignisse aus dieser Zeit bis in unsere Gegenwart wirken – ich lasse nur mal eben die Bedeutung von Luthers Bibelübersetzung für die Entwicklung der deutschen Hochsprache anklingen –, abgesehen vom Dröhnen der Geschichte also, gibt es viele kleine Dinge aus dem Alltagsleben zu erzählen, die manches Mal sehr vertraut klingen, ein anderes Mal aber auch unglaublich fremd und bizarr.

Du hast die Abrafaxe schon zu Kaiser Barbarossa, zu Königin Nofretete und mit Francis Drake auf Weltreise geschickt. In Deinen Geschichten ging es um Inka-Kristallschädel, den Stein der Weisen, den Heiligen Gral, aber auch um die Entstehung der Wissenschaft mit Gottfried Wilhelm Leibniz und Isaac Newton. Nach welchen Gesichtspunkten wählst Du das Thema einer Serie aus?
Das Thema einer Serie wähle ich ja nicht alleine aus. Ich habe natürlich ein Vorschlagsrecht, das immer wieder auch zu den Geschichten führte, die dann im Heft erzählt wurden. Aber wenn es gute Ideen gibt, lasse ich mich bei der Reiseplanung der Abrafaxe auch gern beraten. Als uns der Herausgeber Klaus D. Schleiter nach einer großen Australienreise vorschlug, die Abrafaxe eben dorthin zu schicken, war ich äußerst skeptisch. Australien war in meinem Kopf buchstäblich Terra Incognita. Aber als ich mich näher mit dem Thema beschäftigte (mit der Intention, die Unerzählbarkeit Australiens zu beweisen), wurde ich schnell eines Besseren belehrt, und die ursprünglich auf ein Jahr angelegte Serie dauerte dann am Ende sogar zwei.
Aber es ist schon so, dass ich nur Geschichten erzählen kann, wenn mich der Kosmos, in dem sie spielen, interessiert. Doch weil ich mich für so gut wie alles interessiere, sind den Abrafaxen auch keine Grenzen gesetzt.

Beim Entwickeln so einer umfangreichen Comicgeschichte wie im MOSAIK gibt es doch sicher einen großen Vorlauf. Wann hattest Du die erste Idee dazu und wann stand fest, dass es die Abrafaxe in die Zeit von Luthers Reformation verschlagen würde?
Obwohl die Produktionsabläufe des MOSAIK ja durchaus vorhersehbar sind und sich scheinbar ständig wiederholen, ist das Ganze doch immer noch ein kreativer Prozess mit allem, was daran hängt.
Manchmal geht es schnell von der Hand, und dann gibt es Momente, wo wir auf das weiße Blatt starren und das Blatt starrt einfach zurück.
Entsprechend groß oder klein ist auch der Vorlauf für eine neue Serie. Eine erste Idee, die Abrafaxe Luther bei seinen epochalen Taten unter die Arme greifen zu lassen, entstand vor knapp zwei Jahren.
Nach dem großen Erfolg des Abrafaxe-Sonderbandes zur Geschichte des Völkerschlachtdenkmals wollten wir etwas Ähnliches mit Luther versuchen. Dabei ging es auf keinen Fall darum, das anstehende Lutherjahr auch aus einer kommerziellen Perspektive zu betrachten … äh. Doch. Das auch. Wir sind ja ein kleiner Verlag, und wenn es sich anbietet, den Wind gesellschaftlicher Bewegungen auf unsere Segel zu lenken, dann denken wir schon darüber nach. Aber was daraus entsteht, entspricht ja trotzdem unserem Wertekanon. Wir versuchen auch bei solchen Projekten, einen besonderen Blickwinkel auf die Geschichte zu finden. Sonst würde es für uns nicht funktionieren. Aber langer Rede kurzer Sinn – aus dem angedachten Sonderband wurde am Ende die aktuelle Serie.
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Was hat Dich gerade an dieser Zeit gereizt?
Zum einen ist Luther in seiner ganzen Ambivalenz eine großartige Figur. Auch wenn er nicht im Zentrum unserer Geschichte steht, kommt man an ihm in Wittenberg einfach nicht vorbei. Die Handlung in die Reformationszeit zu legen, gab mir die Möglichkeit, legitimiert Zeit in die Beschäftigung mit diesem liebenswerten Unsympathen zu stecken.
Die Jahrzehnte zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts ähneln unserer Epoche in so vielen Aspekten – die Medienrevolution, die plötzliche Erweiterung des Weltkreises über das Fassbare hinaus, der Beginn weit in die Zukunft reichender gesellschaftlicher Veränderungen – all das macht uns diese Zeit vertraut; auf der anderen Seite durchdringt das Mittelalter noch jeden Bereich des Alltags. Friedrich der Weise (der damalige sächsische Kurfürst, Anm. d. Red.) ist ein großer Förderer des Humanismus, veranstaltet aber auf der anderen Seite pompöse Ritterturniere. Er schützt den Reformator Luther und hilft ihm dadurch bei der Entwicklung eines neuen theologischen Weltbildes und besitzt gleichzeitig eine gewaltige Reliquiensammlung, die ihm rund zwei Millionen Jahre Fegefeuer ersparen sollte.
Diese Widersprüche sind schon spannend. Abgesehen davon frage ich mich wirklich, was genau der alte Friedrich in seiner Freizeit gemacht hat, das ihn fürchten ließ, zwei Millionen Jahre in der Vorhölle verbringen zu müssen.

Haha, tja, man weiß es nicht. Geheiratet hat er nie … Wenn das Thema für die nächste Serie im MOSAIK feststeht, wie gehst Du bei der Recherche weiter vor?
Es funktioniert immer über die Charaktere. Ich versuche herauszufinden, welche historischen Figuren die von den Abrafaxen besuchte Gesellschaft am meisten prägen oder zumindest am besten widerspiegeln. Wenn ich die gefunden habe, ist das Feld abgesteckt. Dann muss ich so viel, wie möglich, über diese Figuren erfahren. Aus möglichst verschiedenen Quellen. Denn, wie das so ist: Wenn etwas aufgeschrieben wird, dann ist das aus einem bestimmten Zweck geschehen. Und wenn man diesen Zweck kennt, dann erzählt das auch etwas über die beschriebene Figur. So formt sich langsam eine Bild.
Am Ende entstehen natürlich auch eine Reihe fiktiver Charaktere, die das narrative Gerüst tragen müssen. Es hat sich für uns gezeigt, dass sich historische Persönlichkeiten eher selten als Hauptfiguren für unsere Art von Abenteuern eignen, weil sie ein zu enges Korsett an überlieferten Fakten tragen müssen.
Wir erzählen das historische Geschehen ja nicht einfach nach, sondern übersetzen es in ein Modell, das zwar mehr oder weniger genau, aber vor allem eine Arena für hoffentlich spannende und lustige Bildgeschichten sein muss.

Weiter geht es in ZACK # 201 …
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Special vom: 19.02.2016
Autor dieses Specials: Robert Löffler
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F.W. Tempel
Zwischen Zeitreisen und Ökothriller: Bob Morane
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