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Kapitel 1 - Die Verführung der Unschuldigen
Amerika. Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wir befinden uns in den frühen fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Überall im ganzen Land erscheinen total coole und abgefahrene Comics. Alle lieben diese netten Bilderheftchten, die sich je nach Vorlieben mit Horror-, Science Fiction-, Kriminal- oder Liebesgeschichten beschäftigen. Nur ein böser, böser Mann haßt die Dinger wie die Pest und hat es sich zum Ziel gesetzt, die Comicindustrie zu vernichten.

Na ja, ganz so ist es dann doch nicht gewesen. Tatsache ist, daß den Comics seit dem Debüt Supermans im Jahr 1938 mehr und mehr Aufmerksamkeit zuteil wurde. Und das Echo in den Medien war nun mal nicht ausnahmslos positiv. Bereits in den frühen vierziger Jahren verurteilten Kritiker die "schlecht geschriebenen und gezeichneten" Werke als "alptraumhaften Schund", der die jungen Leser mit "Sex und Gewalt" überfluten und der Fähigkeit berauben sollte, sich mit "normalen" Geschichten zu beschäftigen.

Tales from the Crypt 40 Als Reaktion auf den Unmut in der Bevölkerung gründeten Comicverlage wie der damalige Marktführer DC 1941 ihre eigenen internen Ausschüsse, um der Bevölkerung zu zeigen, daß man durchaus bemüht war, den Standards der Unterhaltungsbranche zu entsprechen. Die Ausschüsse setzten sich aus Psychiatern, Mitarbeitern der Kinderfürsorge und ein paar bekannten, allgemein respektierten Bürgern zusammen. DC druckte die Namen der Mitglieder ihres Ausschusses im Innenteil jedes Heftes ab. Auf diese Weise wurde den Kritikern ein wenig der Wind aus den Segeln genommen, wenn auch nur für kurze Zeit.

Fünf Jahre später gründete Dr. Frederic Wertham, ein überaus konservativer Arzt und Psychiater, eine Klinik für unterprivelegierte Leute. Kurz nach der Eröffnung entwickelte er ein spezielles Interesse für die "Auswirkungen", die das Lesen von Comics auf Jugendliche hatte. 1948 sprach er sich in einem Interview, das vom Collier's Magazine unter dem Titel "Horror in the Nursery" veröffentlicht wurde, erstmals öffentlich gegen die Veröffentlichung von Comics aus. Dieses Interview markierte den Beginn seiner siebenjährigen Studie bezüglich der Auswirkungen von Comics auf Jugendliche.
In diesem Interview gab Wertham zu erkennen, daß in seinen Augen die Anzahl "guter" Comics nicht der Rede wert sei. Dagegen verdiene die große Anzahl jener Comics, die sich lediglich als "gut" ausgaben, eine nähere Betrachtung.

Ein paar Wochen später nahm Wertham in New York City an einem Symposium teil, das unter dem Motto "Psychopathologie der Comics" tagte. Die Reaktion auf Werthams Ansichten erfolgte postwendend. Nur einen Monat später erschien in der Aprilausgabe des Time Magazine die Story von Police Commissioner Harry S. Toy aus Detroit, der alle Comics, die in seiner Gegend erhältlich waren, auf ihre Inhalte hin überprüfte und so schließlich zu der Erkenntnis gelangte, diese seien "voll von kommunistischen Lehren, Sex und Rassendiskriminierung". Im Mai 1948 stellte er seine Ansichten in einem Artikel der Saturday Review of Literature erneut zur Schau.

Im Laufe der nächsten Jahre wurden von Verordnungen bis zur Zensur alle nur erdenklichen Versuche unternommen, um Comichändler und -herausgeber zu verteufeln und einzuschüchtern. Den traurigen Höhepunkt dieser Hexenjagd stellten öffentliche Comicverbrennungen dar, wie sie in einigen Gemeinden tatsächlich stattfanden. Am 20. Dezember 1948 veröffentlichte das Time Magazine Fotos aus Binghampton, New York, wo nach einer systematischen Beschlagnahmung von Comics selbige öffentlich verbrannt wurden.

Tales from the Crypt 32 Als Folge dieser Hetzjagden gründeten einige Comicverlage noch 1948 die Association of Comic Magazine Publishers. Die ACMP machte es sich zur Aufgabe, Richtlinien für die Veröffentlichung von Comics aufzustellen, in der Hoffnung, auf diese Weise die immer lauter werdenden Stimmen der Kritik zum Verstummen zu bringen. Die ACMP berief einen Ausschuß ein, der jedes Comic genehmigen mußte, bevor es veröffentlicht wurde. Da die großen Verlage wie DC und Dell jedoch ihre eigenen internen Ausschüsse hatten, weigerten sie sich, der ACMP beizutreten. Zudem kam es auch unter den Mitgliedern der ACMP bald zu Unstimmigkeiten bezüglich diverser Punkte der Richtlinien, was dazu führte, daß einige von ihnen die ACMP wieder verließen.

Ein paar Leute gingen ihrer Einstellung gegen Comics sogar noch weiter. 1949 schrieb Gershon Legman ein Buch namens "Love and Death", in dem er behauptete, daß Comics Jugendliche wie Tiere konditionieren würden, indem sie ihren Willen brachen. Er behauptete auch, daß Comics den Jugendlichen ihren Bezug zum realen Leben nehmen und sie mit gewalttätigen Bildern füttern würden.
Im selben Jahr schrieb Dr. Lawrence Averill in einem Artikel für die New York Times: "Horrorcomics gehen davon aus, daß ihre Leser kleine Monster sind mit dem Verstand eines Kindes, dem Sextrieb eines Lüstlings und dem geistigen Feingefühl eines Gorillas."

Ebenfalls im Jahr 1949 setzte die kanadische Regierung ein Gesetz durch, mit dessen Hilfe sie die "Crime Comics" (jegliche Comics, die auf die eine oder andere Weise von Verbrechen handelten, also auch Superheldencomics) kontrollieren wollte. Unter anderem beinhaltet das Gesetz die folgenden Passagen:

SCHÄDIGUNG DER MORAL...
163. (1) Jeder begeht einen Verstoß gegen die Moral, der...
(b) Ein "Crime Comic" herstellt, druckt, veröffentlicht, in Umlauf bringt, verkauft oder zwecks Veröffentlichung oder Verbreitung in seinem Besitz hat.
(7) In diesem Zusammenhang bezieht sich der Begriff "Crime Comic" auf ein Magazin, eine Zeitschrift oder ein Heft, das ausschließlich und wesentlich Themen in Bildern behandelt, die
(a) das Verüben von Verbrechen, real oder fiktiv oder
(b) Ereignisse in Verbindung mit dem Verüben von Verbrechen, real oder fiktiv, egal, ob diese Ereignisse vor oder nach dem Verüben des Verbrechens stattfinden
schildern.

1950 begann das Cincinatti Parents Committee, nahezu alle Comics nach ihren eigenen Richtlinien bezüglich Zeichnungen, Schreibstil, Druck und zu beanstandendem Inhalt zu bewerten. Ihre Bewertungen wurden jährlich im Parents Magazine veröffentlicht.

1950 mischte sich auch endlich die US-Bundesregierung in die Debatte ein. Ein Spezialkommittee des US-Senats führte eine Untersuchung bezüglich des organisierten Verbrechens durch. Ein Teil dieser Untersuchung beschäftigte sich mit den "Auswirkungen" der "Crime Comics". Ein Richter, der dem Kommittee angehörte, führte mehrere Fälle an, in denen Jugendliche Verbrechen nach demselben Muster verübt hatten, wie es in einem Comic geschildert wurde. Innerhalb kürzester Zeit wurde es zur Standardausrede jugendlicher Straftäter, Comics für ihre Verbrechen verantwortlich zu machen. Die Täter konnten sich des Mitgefühls ihres Umfeldes sicher sein, da es ja die Comics waren, die sie "es hatten tun lassen".

Seduction of the Innocent Doch obwohl eine große Anzahl an Leuten in den Medien den Comics gegenüber bereits kritisch eingestellt war, war es wiederum Dr. Frederic Wertham, der das Faß endgültig zum Überlaufen bringen sollte. Im April 1954, nach Beendigung seiner siebenjährigen Studie, veröffentlichte er seine Ergebnisse in einem Buch, das den griffigen Titel "Seduction of the Innocent" ("Die Verführung der Unschuldigen") trug. Die dem Buch zugrundeliegende Annahme war so simpel wie absurd: Wertham hatte festgestellt, daß jugendliche Straftäter gerne Comics lesen. Daraus zog er den Umkehrschluß, daß das Lesen von Comics Jugendliche dazu verleitete, Verbrechen zu begehen.
In vierzehn Kapiteln analysierte Wertham die Texte, Zeichnungen und Werbeanzeigen der Comics sowie die sogenannten "erzieherischen Botschaften", die die Comics beinhalteten. Seine Erkenntnis aus diesen Studien war, daß Comics einer der wichtigsten Gründe für die steigende Jugendkriminalität waren. Tatsache war, daß ein Großteil der Jugendlichen zu jener Zeit gerne Comics las, und somit selbstverständlich auch ein Großteil der jugendlichen Straftäter. Wertham jedoch machte aus dieser Begleiterscheinung eine direkte Ursache.

Tatsächlich gaben sich die Comics nicht einmal damit zufrieden, Jugendliche zu Verbrechen zu verleiten. Statt dessen gaben sie sich auch noch die größte Mühe, ihren ahnungslosen Opfern ein völlig falsches Gefühl für die Gesetze der Physik zu vermitteln, da sie behaupteten, daß Superman fliegen könne. Zudem versuchten die Comics, ihren Lesern homosexuelles Gedankengut nahezubringen, da Robins Beine unbekleidet waren und er ganz offensichtlich einzig und allein auf Batman fixiert war. Und als wäre das alles noch nicht genug, versuchte Wonder Woman auch noch, jungen Mädchen "falsche Ansichten" bezüglich der gesellschaftlichen Rolle der Frau nahezubringen.
Entgegen der Meinung zahlreicher "Experten" und Bürgerrechtler beharrte Wertham darauf, daß nahezu jedes Panel eines Comics versteckte sexuelle Symbole enthielt, die Kinder und Jugendliche in Kriminelle, Perverse und Sadisten verwandeln sollten, indem sie gewalttätige Verbrechen verherrlichten, körperliche Liebe mit Mißbrauch verbanden, Analphabetismus förderten und zur Nachahmung anregten. Eine Reihe von Strafanzeigen untermauerte seine Behauptung, daß die Jugendkriminalität auf dem Vormarsch sei, und laut Wertham standen diese tatsächlichen Verbrechen - bis hin zum Mord - in direktem Zusammenhang mit Comics.
In seinem Buch fehlte es nicht an Beispielen für seine aberwitzigen Behauptungen: Enorm vergrößerte Nahaufnahmen von Hemdfalten, die mit viel Phantasie an weibliche Geschlechtsorgane erinnerten; ein Bleistift, der wie ein eregierter Penis aussah; ein Schatten, der - auf den Kopf gestellt und unter der Lupe betrachtet - Ähnlichkeit mit einem korpulierendes Päärchen hatte. Wertham führte auch Statistiken auf bezüglich der Veröffentlichung, Geldmittel und des Einflusses der Comics. Ein letztes Kapitel widmete sich dem Fernsehen. Bezugnehmend auf die Bürgerinitiativen und gesetzlichen Auflagen, die sich in anderen Ländern gegen amerikanische Comics richteten, verlangte er umgehende Maßnahmen, bevor eine weitere Generation Jugendlicher "verdorben" werden würde.


Tales from the Crypt 41 Zu jener Zeit waren eine Menge Horrorcomics auf dem Markt, die tatsächlich zahlreiche blutige Szenen enthielten. Doch Wertham wäre nie bereit gewesen, zuzugeben, daß diese Comics nicht von Kindern, sondern zu einem Großteil von Erwachsenen gelesen wurden. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs waren Comics unter den amerikanischen Soldaten weit verbreitet, teilweise, um die Moral der Truppe zu stärken, teilweise, um sich einfach ein wenig vom Alltag des Krieges abzulenken. Nach ihrer Rückkehr aus dem Krieg blieben viele den Comics treu, und diese Leserschaft war es auch, für die die Horrorcomics in erster Linie geschrieben wurden. Selbst als Jahrzehnte später die Serie "Tales from the Crypt" ("Geschichten aus der Gruft") fürs Fernsehen recycelt wurde, war es in erster Linie ein erwachsenes Publikum, auf das die Ausstrahlung zu später Stunde abzielte.

Die Comicindustrie und andere, die nicht glaubten, daß Comics durch und durch böse waren, setzten sich zur Wehr. Einige griffen Werthams Studie an und machten darauf aufmerksam, daß er sich nur auf jugendliche Straftäter konzentriert hatte, ohne sie mit anderen Jugendlichen zu vergleichen. Wertham entgegnete, daß diejenigen, die nicht straffällig wurden, möglicherweise sogar noch schlimmer dran seien.
Die Comicverlage reagierten, indem sie dafür sorgten, daß "Seduction of the Innocent" nicht in die engere Auswahl des "Book of the Month Club"aufgenommen wurde. Als nächstes wurde die Bibliographie, in der nachzulesen war, welche Comicverlage für die blutigen Bilder verantwortlich waren, die in dem Buch abgedruckt wurden, nachträglich entfernt. Es ist nicht genau bekannt, wie es dazu kam, doch es wird heute gemeinhin angenommen, daß die Comicverlage Druck auf Rinehart & Co., den Verlag, bei dem "Seduction of the Innocent" erschienen war, ausgeübt hatten, um die Bibliographie zu entfernen.

Tales from the Crypt 43 Doch so lächerlich Werthams Vorwürfe nach heutigen Erkenntnissen auch gewesen sein mögen, schlugen sie zu ihrer Zeit ein wie eine Bombe. Prominente Psychologen berichteten in öffentlichen Anhörungen von Fällen, in denen kriminelle bzw. geistesgestörte Jugendliche von Zeit zu Zeit Comics lasen. Daraus folgerten die Gelehrten gemäß Wertham, daß das Lesen von Comics ihre Taten nicht unwesentlich beeinflußt habe.
Unzählige Zeitungen und Magazine zitierten wieder und wieder aus "Seduction of the Innocent", und innerhalb kürzester Zeit wurde das Buch gar zur Pflichtlektüre im amerikanischen Senat. Ganz im Sinne des während der McCarthy-Ära wehenden Zeitgeistes waren die Vorwürfe, Comics verherrlichten Jugendkriminalität, sexuelle Perversion, Verschwörung und sogar Kommunismus, zu schwerwiegend, um ignoriert zu werden.

So kam es dazu, daß sich das "US Senate Subcommittee Investigation of Juvenile Delinquency in the United States" ("Subkommittee des amerikanischen Senats zur Untersuchung von Jugendkriminalität in den USA") unter der Leitung von Senator Estes Kefauver ganz offiziell der Sache annahm und Anhörungen einberief, um Werthams Anschuldigungen nachzugehen. Diese Anhörungen entwickelten sich bald zu regelrechten Hexenjagden à la McCarthy, und Wertham, der bereits eine Menge Erfahrung hatte, was Anhörungen vor Regierungskommittees anging, brachte seine Verachtung gegenüber der Comicindustrie schließlich auf den Punkt: "Hitler war ein Anfänger verglichen mit dem Bösen, das von der Comicindustrie ausgeht."
Neben den Experten für Jugendkriminalität durften auch Vertreter der Comicverlage zu Wort kommen, doch die meisten von ihnen waren lediglich Geschäftsleute, die aufgrund ihrer Kenntnisse, was die komplexen Abläufe innerhalb eines Comicverlages angeht, als Repräsentanten ihrer jeweiligen Verlage auftraten, von den Inhalten der Comics jedoch recht wenig Ahnung hatten, und so waren ihre Antworten auf Fragen bezüglich der Inhalte verständlicherweise recht vage und scheinbar ausweichend.
Die einzige Ausnahme stellte William M. Gaines dar, der Herausgeber der E.C.-Comics, bei denen auch obengenannte "Tales from the Crypt" erschienen. Gaines war ein gelernter Pädagoge und in der Lage, sämtliche Fragen ausführlich zu beantworten und seine Seite angemessen zu vertreten. Dafür mußte er sich Fragen gefallen lassen, wie die Rechtfertigung für einen bluttriefenden, abgetrennten Kopf in einer Geschichte, die für Jugendliche gedacht sei, aussehe.
Leider schoß Gaines bei seiner Verteidigung weit über das Ziel hinaus, und seine Ausführungen, Wertham das "harmlose Vergnügen an einer Horror-Story" begreiflich zu machen, sei "ebenso schwierig, wie einer frigiden alten Jungfrau die Freuden der Liebe zu erklären", und seine Erklärungen, die Cover der E.C.-Comics hätten durchaus noch schrecklicher und blutiger ausfallen können, schadeten seiner Seite eher, als daß sie ihr nutzten.

So kam es dann auch, daß sich die Vertreter der National Cartoonist Society - Walt Kelly, Milton Caniff und Joe Musial - offiziell von den Comics distanzierten und sie kollektiv verurteilten. Das Ergebnis dieser Anhörungen war, daß das Subcommittee den Comicverlagen den ernstgemeinten Ratschlag gab, "eine verantwortungsvolle Selbstkontrolle innerhalb der Comicindustrie würde viel bewirken".

Daraufhin schlossen sich die Comicverlage im September 1954 zur Comic Magazine Association of America (CMAA) zusammen, der sich alle Verlage mit Ausnahme von Dell und Classics Illustrated anschlossen. Am 26. Oktober 1954 riefen sie schließlich die Comics Code Authority ins Leben, deren ursprüngliche Bestimmungen im nächsten Abschnitt nachzulesen sind.


Special vom: 06.05.2001
Autor dieses Specials: Torsten B Abel
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Die Richtlinien zu Kapitel 1
Kapitel 2 - Die gestelzten Jahre
Die Richtlinien zu Kapitel 2
Kapitel 3 - Neue Freiheiten
Die Richtlinien zu Kapitel 3
Kapitel 4 - Die letzten Züge des Comics Code
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