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Die Artillerie: Ein Porträt des Künstlerateliers
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benjaminGustav Klimt war ein Verfechter von ihr. Und auch Vincent van Gogh nutzte sie: Die Ateliergemeinschaft – den Zusammenschluss mit mehreren Künstlern unter einem Dach. In der deutschsprachigen Comicgemeinde steht vor allem Die Artillerie aus München für diese Form der Kooperation, und das seit 20 Jahren.
„Wenn man bei einer geschäftlichen oder kreativen Entscheidung unsicher ist, hilft es sehr, auf die professionelle Meinung der anderen zurückgreifen zu können. Manchmal arbeiten wir auch gemeinsam an Projekten. Das ist hauptsächlich dann möglich, wenn der persönliche Stil nicht ausschlaggebend ist, da das Artwork nicht in das Endprodukt einfließt, beispielsweis bei Storyboards und Concept Art für Games und Filme.“ So beschreibt Benjamin von Eckartsberg, Texter der Serien Die Chroniken der Unsterblichen (Egmont Comic Collection) und Gung Ho (Cross Cult), den positiven Einfluss, den die Gemeinschaft aus neun Künstlern auf das Werk und die Arbeit hat. Neben ihm gehören noch Uli Oesterle, Tobias Frank, Lukas Frese, Markus Friemann, Marc Herold, Alexander Lozano, Florian Mitgutsch und Peter Oedekoven zur Artillerie. Nicht alle sind im Comicmetier. Die Künstler der Artillerie sind auch in Storyboard, Cartoon und Illustration zu Hause.
Auf die Frage, was das verbindende Element der Mitglieder der Artillerie ist, antwortet Uli Oesterle, unter anderem Verfasser von Hector Umbra (Carlsen Verlag/Edition 52): „In unserer ´Kunst` sind wir meiner Meinung nach alle mehr oder weniger in der Popkultur beheimatet. Das liegt chronik_der_unsterblichenvermutlich daran, dass wir ein Haufen großer Kinder sind, die sich permanent über die aktuellen TV-Serien, Kinostarts oder Comics austauschen.“
Das Arbeitsklima scheint einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die Artillerie-Künstler zu sein. Marc Herold, ein Zeichner, der sich derzeit vor allem mit Einzelzeichnungen und Cartoons beispielsweise für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und andere verdingt, fasst es so zusammen: „Mein Kollege Peter Oedekoven brachte es vor Jahren einmal sehr schön auf den Punkt, als ich ihm wieder mal meine eigene Unzufriedenheit in Sachen Berufswahl hinleierte. Er meinte, mit dem Atelier habe man quasi einen unglaublichen Arbeitsplatz, zu dem man kommen könne, um primär zu zeichnen; überall liegen Comics, Snacks wie Milky Way und HARIBO Produkte in Hülle und Fülle rum, es wird viel rumgeblödelt, und man kann seine Arbeitszeit nach Gutdünken selber frei einteilen. “Mit neuen Alben macht derzeit vor allem Benjamin von Eckartsberg von sich reden. Gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas von Kummant hat er mit der düsteren Zukunftsvision Gung Ho eine der vielbeachtesten deutschen Comicneuerscheinungen der letzten Jahre vorgelegt.
Dabei scheinen sie allerdings den gleichen Weg zu gehen wie bereits 30 Jahre vor ihnen der Hamburger Matthias Schultheiss, denn das Team von Kummant / von Eckartsberg veröffentlicht seine Arbeit ebenfalls zunächst im Ausland. So erschien Gung Ho als erstes in der Éditions Paquet.
Die beiden kannten sich schon oberflächlich aus der Münchner Zeichnerszene. Bei einem Comicseminar in Erlangen haben sie sich angefreundet und von Eckartsberg holte von Kummant dann in die Artillerie. „Als Thomy vom Goetheinstitut den Auftrag bekam, den zweiten Teil der Goethe Biographie zu zeichnen, hat er mich des knappen Zeitplans von viereinhalb Monaten wegen gefragt, ob ich seine Tuschzeichnungen kolorieren könnte. Das war unsere erste Zusammenarbeit“, erinnert sich von Eckartsberg. Aus dieser Zusammenarbeit entstand dann die Die Chronik der Unsterblichen.

Nach dem zweiten Band der Chronik wollten die beiden dann allerdings etwas Eigenes zusammen schaffen und nicht auf eine bereits vorliegende Geschichte zurückgreifen. Die Chronik der Unsterblichen ersann der Schriftsteller Wolfgang Hohlbein, und von der Saga liegen mittlerweile 15 Bände als Romane vor. Hierbei handelte es sich also um eine Adaption in das Medium Comic.

Aus dem Wunsch heraus, etwas Eigenes zu schaffen, entstand Gung Ho. „Das ist jetzt unser Baby“, verkündet von Eckartsberg stolz.
Von Kummant hat Anfang 2014 die Artillerie wieder verlassen, um von zu Hause aus arbeiten und wieder mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu können. Die Zusammenarbeit blieb jedoch. Zumindest was Gung Ho betrifft. Bei Die Chronik der Unsterblichen arbeitet von Eckartsberg seit dem dritten Band mit Chaiko (richtiger Name Cai Feng) zusammen. Der Karikaturist und Animationskünstler lebt in Shanghai.
gung_hoEr hat bereits als Kind angefangen zu zeichnen und studierte an der dortigen Kunsthochschule. Danach arbeitete er als Konzept-Designer für Games-Hersteller. Seit 2005 auch als Animationskünstler und Regisseur für zahlreiche Anime Filme. Chaikos erstes eigenes Comic Album wurde 2008 veröffentlicht.

Im Juni 2015 soll der vierte und im November 2015 der fünfte Band der spannenden Fantasy-Saga Die Chronik der Unsterblichen, die im 15. Jahrhundert in Osteuropa spielt, erscheinen. Die Serie lebt vom überaus dichten Szenario und den genialen Zeichnungen. Vor allem in den Licht-Schatten-Effekten lieferte von Kummant unverwechselbare Arbeit ab, die auch in Gung Ho zu bewundern ist. Über die genaue Entstehung der Chronik gibt ebenso witzig wie interessant der Making of-Band zur Serie Auskunft. Hier ist besonders hervorzuheben, dass nicht nur – wie sonst üblich – Einblicke in die Zeichnerwerkstatt gewährt werden, der Leser erhält auch detaillierte Informationen uli_Oesterlezur Entstehung des Skripts.

Aber zurück zur Artillerie.
Ein weiteres wichtiges Aushängeschild der Künstlergemeinschaft ist Uli Oesterle. Der 1966 in Karlsruhe geborene Künstler veröffentlichte 1999 mit Schläfenlappenphantasien im Zwerchfell-Verlag seinen ersten Comic. Hierbei handelt es sich um ein Album, das fünf teilweise recht skurrile Kurzgeschichten vereint. Der Band legt nicht nur vom bemerkenswerten Zeichenstil und der Tiefe seiner Geschichten Zeugnis ab, sondern Oesterle gewann mit ihm beim „Comic des Jahres 1999“ der Zeitschrift Rraah auch den dritten Platz. Ein Jahr später meldete er sich mit seinem zweiten Werk zurück: Frass, die Geschichte des Feinschmeckers Serafin Brute II. Das nicht minder skurrile Werk erschien in der Edition 52, die sich zu Beginn des neuen Jahrtausends vor allem auf die Förderung neuer deutscher Talente konzentrierte.
Drei Jahre später erschien ebenfalls in dem kleinen Wuppertaler Verlag der erste Band seines Hector Umbra. „Zwischen Schickeria und Wachtturm-Verkäufern, Vinylfreaks und Fernsehtussis schlägt sich Umbra als fast gescheiterter Detektiv der Popkultur Münchens mit toten Freunden und DJ-Kidnappern herum“, beschrieb Der Spiegel den Inhalt. Dies allerding erst, als das Werk komplett und in einem neuen Verlag, bei Carlsen, vorlag. In sieben Sprachen ist die Geschichte mittlerweile veröffentlicht worden.

Weiter geht es in ZACK # 192 ...
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Special vom: 28.05.2015
Autor dieses Specials: Bernd Hinrichs
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F. W. Tempel
Grandville: Zwischen James Bond und Sherlock Holmes
Das Allerletzte
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