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Editorial von Georg F. W. Tempel
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georg_tempelLiebe Leser,
können Comics zur Last werden? Kann es möglich sein, dass die Neunte Kunst, die Belletristik mit gezeichneten Bildern, die primär zur Unterhaltung dient, zu düsteren Gedanken führen und in manchen Fällen möglicherweise sogar Beziehungen belasten kann?

Fragen Sie einmal einen Sammler, der seit Jahren, ja, womöglich sogar seit Jahrzehnten seinem Hobby frönt – aber erwähnen Sie das Wort Statik nicht, darüber machen sich die wenigsten Gedanken.
Irgendwann wird sich jedem dieser Jäger nach Komplettsammlungen, limitierten Ausgaben, Erstauflagen, seltenen alten Exemplaren oder Fehldrucken die Frage stellen, wohin mit den Tonnen von Papier, wohin mit den Tausenden von Heften, Alben und Büchern?
Was könnte man mit dem Platz anstellen, den die Leidenschaft nach bunt bedruckten Seiten einnimmt? Ganz zu schweigen von den Unsummen an D-Mark und Euro, die in den sortierten Inhalten der Plastikhüllen schlummern. Und wenn diese Sammler und Jäger irgendwann einmal in die Jahre kommen, dräut die bange Angst, was die Nachfahren mit den subjektiven Kleinoden wohl anfangen mögen. Im Idealfall sind sie vom Virus des Sammelns infiziert und setzen das Erbe würdig fort. Im schlimmsten Fall landet der Plunder im Altpapier und wird in verarbeiteter Form neuen Zwecken zugeführt.
Eine Zwischenstufe wäre der Verkauf ans Antiquariat, damit Genossen im Geiste die wertvolle Ansammlung von Preziosen ausweiden können, sich die Filetstücke heraussuchen, um dem eigenen Laster auf einem höheren Level eine neue Bedeutung zu geben.

Leider ist es noch nicht möglich, die endgültige Verschmelzung von Sammler und Sammlung vorzunehmen und Asche mit Asche zu vereinen. Zum einen sind mir keine Urnen in geeigneter Größe bekannt und zum anderen gibt es wohl eine Art Reinheitsgebot, was die Asche Verstorbener betrifft. So bleibt dem Sammelsüchtigen das größte Glücksgefühl, der Höhepunkt seines Lebens als Comicfan (noch) versagt.

Sie fragen sich, warum ich mir die Gedanken mache? Weil ich mich nach über 30 Jahren des intensiven Comicsammelns dazu entschlossen habe, mich von scheinbar unendlichen Regalmetern bedruckten Offset- und matt gestrichenem Papiers zu trennen. Adieu Carlsen, Ehapa, Splitter (alt), Koralle, Bastei und wie die mir lieben Freunde der Vergangenheit alle heißen mögen. (In all den Jahren habe ich etwas den Überblick verloren, wer alles unter meinem Dach wohnte.) Sogar meiner ersten Liebe, dem Pollischansky Verlag, mit der - nach einer Comic-geprägten Kindheit - zu Studienzeiten die alte Leidenschaft neu entflammte, werde ich den Laufpass geben. Man soll aufhören (mit dem Sammeln), wenn’s am Schönsten ist.

Ich lese immer noch gerne Comics, aber ich muss sie mir nicht mehr ins Regal stellen. Vielleicht gibt es in dieser Welt (der Comics) ja Leidensgenossen, die ein ähnliches Schicksal erleiden, und wir gründen eine Selbsthilfegruppe, um dem Phantomschmerz verlorener Comics vorzubeugen.

In diesem Sinne
Georg F.W. Tempel
(Chefredaktion)
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Special vom: 23.04.2015
Autor dieses Specials: Georg F. W. Tempel
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Uderzo vor Asterix
Interview mit Albert Monteys
Das Allerletzte
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