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Garen Ewing und das Geheimnis der Regenbogenorchidee
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Garen_EwingDie im Stil der Ligne claire gehaltene Serie Die Abenteuer von Julius Chanceraus der Feder des Engländers Garen Ewing steht erzählerisch ganz in der Tradition spannungsgeladener Romane angelsächsischer Provenienz, in denen „verlorene“ Zivilisationen entworfen werden.
Auf verschlungenen Pfaden hat der preisgekrönte erste Zyklus Die Regenbogenorchidee nun den Weg nach Deutschland gefunden.
In diesem Monat geht die vom Cartoonmuseum Basel veranstaltete Ausstellung über „Die Abenteuer der Ligne claire. Der Fall Herr G. & Co.“ zu Ende. Das vom Schweizer Künstler Exem für diese sehenswerte Präsentation gestaltete Plakat versammelt in Anlehnung an ein Panel aus Le Lotus bleu (dt. Der Blaue Lotos) die Helden der Ligne claire bei einer von Hergé und Edgar P. Jacobs angeführten Prozession vorbei am chinesisch anmutenden Cartoonmuseum. Aus den beiden Fenstern im ersten Stock wird der Umzug aufmerksam von zwei hoffnungsvollen Nachwuchshelden beobachtet, bei denen es sich um Namensvettern handelt. Aus dem linken Fenster blickt Jules von Émile Bravo und aus dem rechten Julius Chancer von Garen Ewing. Während Bravos Jules nun unter dem Namen Paul im Rahmen der Serie Pauls fantastische Abenteuer das deutsche Publikum erfreuen wird, ist der erste Teil der Abenteuer von Julius Chancer hierzulande schon seit November 2013 erhältlich. Beiden Serien ist gemein, dass sie kindgerechte Unterhaltung bieten, aber auch ein erwachsenes Publikum mit bestem Lesestoff versorgen. Ähnlich wie bei den Abenteuern von Tim und Struppi lässt sich im Fall von Julius Chancer die anvisierte Zielgruppe leicht als „junge Leser von acht bis achtzig“ ausmachen.
Als Assistent des Wissenschaftlers Sir Alfred Catesby-Grey widmet sich der unternehmungslustige Julius im Auftrag potenter Geldgeber der regenbogenorchideeBeschaffung seltener Objekte. Schon zu Beginn der im Jahr 1928 spielenden Handlung ist es ihm gelungen, nach intensiver Recherchearbeit unter Gefahren das Manuskript einer vermeintlich verschollenen Oper des englischen Komponisten Henry Purcell zu beschaffen.
Der nächste Auftrag soll eine noch größere Herausforderung darstellen. Hilfesuchend wendet sich der betuchte Lord Reginald Lawrence an Sir Alfred und Julius, da er leichtsinnigerweise bei einer Wette ein Familienerbstück von unschätzbarem Wert gesetzt hat. Es handelt sich um das „Zitternde Schwert des Tybalt Stone“, an dessen Besitz die Ländereien und der Adelstitel des Klienten geknüpft sind. Angetragen wurde dem verzweifelten Lord Lawrence die Wette von dem zwielichtigen Geschäftsmann Urkaz Grope, der behauptet, ihn bei dem jährlich stattfindenden berühmten Orchideen-Wettbewerb auf der British Empire Exhibition im Wembley Park schlagen zu können. Der Sieg scheint Grope sicher, da er mit einer extrem seltenen schwarzen Orchidee teilzunehmen plant. Um Lord Lawrence zu helfen, beschließt
Julius, eine mythische Blume von großer Schönheit zu suchen: die Regenbogenorchidee. Erste Erwähnung fand diese Pflanze bei dem
griechischen Philosophen und Naturforscher Theophrast. Dem Hinweis auf einer im Industal gefundenen Steintafel folgend, macht sich Julius in Begleitung von Lord Lawrences Tochter, dem Stummfilmstar Lily Lawrence, und ihres tollpatschigen amerikanischen Agenten Nathaniel Crumpole auf in Richtung Britisch-Indien. Den guten Ausgang der Expedition versucht die in Diensten Gropes stehende Femme fatale Evelyn Crow nach Kräften zu vereiteln. Urkaz Grope will den Wettbewerb um jeden Preis gewinnen, denn er verfolgt einen ebenso geheimnisvollen wie sinisteren Plan.
Ihre historische Verankerung in den späten 1920er Jahren verdankt die Geschichte der Begeisterung Garen Ewings für den Stummfilm.
Die Lektüre von Kevin Brownlows Standardwerk über die Stummfilmzeit, The Parade’s Gone By (dt. Pioniere des Films: Vom Stummfilm bis Hollywood), diente ihm dabei als direkte Inspirationsquelle.
In dieser Zeit des Übergangs wurde die Welt dank der sich schnell etablierenden Massenmedien wie Radio und Film und vereinfachter Reisemöglichkeiten scheinbar ein wenig kleiner, es gab aber noch etliche weiße Flecken auf der Landkarte, die zu entdecken sich für den Helden eines Abenteuercomics sicher lohnen würde. Während die Handlung im Wesentlichen dem Erzählprinzip der Quest folgt, in deren Verlauf Schwierigkeiten überwunden und Feinde besiegt werden müssen, orientiert sich Ewing graphisch bewusst an den Arbeiten der Meister der Ligne claire. Neben Hergé und Jacobs, dessen atmosphärisch dichter Klassiker La Marque Jaune (dt. Das gelbe M) nicht nur aufgrund des britischen Schauplatzes zu seinen Lieblingsalben gehört, finden sich in Ewings eigenständiger Version der klaren Linie auch Spuren so unterschiedlicher Einflüsse wie die japanischen Farbholzschnitte der Künstler der Utagawa-Schule oder die detailverliebten Arbeiten von Robert Crumb. Es sind aber nicht die Autoren von Comics, sondern die Verfasser von fantastischen Romanen und Abenteuerromanzen, denen sich Ewing in Sachen Handlungsaufbau und -führung verpflichtet zeigt.

Skizzen

Neben Jules Verne und Arthur Conan Doyle steht Die Regenbogenorchidee besonders unter dem Einfluss der Romane von H. Rider Haggard, allen voran King Solomon’s Mines (dt. König Salomos Schatzkammer) und She (dt. Sie). Zahlreiche Anspielungen in dem Zyklus zeugen von dem Respekt, den Ewing dem Schöpfer von Allan Quatermain entgegenbringt. So ist es kein Zufall, dass Sir Alfred optisch eine auffallende Ähnlichkeit mit Haggard aufweist und Lily Lawrence in der Rolle der Ayesha in einer Filmversion von She brillierte. Schon während der Lektüre der ersten Seiten des Abenteuers fällt auf, dass der Autor ein dichtes Netz aus Anspielungen und Verweisen geknüpft hat: So etwa die Adresse auf Nathaniel Crumpoles Visitenkarte, die „512 Chaland Avenue“ lautet und eine augenzwinkernde Verneigung vor dem viel zu früh verstorbenen Yves Chaland darstellt, oder der Umstand, dass Evelyn Crow nach dem Vorbild von Louise Brooks und Theda Bara gestaltet wurde und Ewing auf diese Weise zwei Göttinnen des Stummfilms die Reverenz erweist. Der Zufall will es, dass die extravagante Femme fatale Crow beim fachgerechten Umgang mit einer Schusswaffe glatt als Zwillingsschwester von Irina Spalko durchgehen könnte. Mit der von Cate Blanchett in Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull (dt. Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels) verkörperten Agentin teilt sie zudem die Vorliebe für den unbewaffneten Nahkampf. Die Anspielungen verkommen allerdings nie zum Selbstzweck, sondern zeugen von viel Liebe zum Detail und sorgen beim kundigen Rezipienten für erhöhtes Lesevergnügen.

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Special vom: 24.02.2014
Autor dieses Specials: Peter Nover
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F. W. Tempel
Interview mit Carl Critchlow
Das Allerletzte
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