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Interview mit Ramón K. Pérez (Tale of Sand)
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Surrealer Wüsten-Trip - Jim Hensons Tale of Sand

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Der amerikanische Effekt-Pionier und Meister-Puppenspieler Jim Henson (1936-1990) hat der Welt viel hinterlassen. Nicht nur, dass er mehr als eine Generation Filme, TV-Sendungen und Werbespots geprägt hat. Mit den Muppets und den Bewohnern der Sesamstraße schuf Henson in den 1970ern zudem einige denkwürdige Ikonen unserer Popkultur, die bis heute kaum etwas von ihrer Beliebtheit eingebüßt haben. Bevor Henson sich Kermit, Samson und Co. zuwandte, schuf er in den 60ern einige mindestens so experimentelle wie durchgeknallte Kurzfilme – The Cube, zum Beispiel, oder Time Piece, für das es sogar eine Oscar-Nominierung gab.
In der Folge machten sich Henson und sein Langzeit-Kollaborateur Jerry Juhl einige Gedanken über einen ähnlich getakteten Spielfilm, der die Stärken und Verrücktheiten von Time Piece aufgreifen sollte. Juhl war ursprünglich als Autor und Puppenspieler zum Team um Jim Henson und Frank Oz dazu gestoßen, verlegte sich bald aber ausschließlich aufs Schreiben und wirkte später nicht nur an vielen Folgen von Die Muppet Show oder Die Fraggles mit, sondern ging als Autor auch an den Drehbüchern zu einigen der Muppet-Spielfilmen zu Werke.
Das Film-Script zum Time Piece-Nachfolger Tale of Sand, das in den Jahren vor diesen großen Erfolgen entstand und von Henson und Juhl bis 1974 noch drei Mal überarbeitet wurde, sollte allerdings nie realisiert werden. Der Aufstieg der Muppet Show sorgte schließlich für eine deutliche Verlagerung der Interessen, zumal Hensons Agent mehrfach erfolglos versucht hatte, das Filmdrehbuch zu verkaufen. So blieb Tale of Sand das einzige vollständige Film Script, das Henson Zeit seines Lebens als Autor abschloss – und wanderte lautlos in die Archive der berühmten Jim Henson Company, die Henson bereits 1958 gegründet hatte und die inzwischen Niederlassungen in New York, Los Angeles und London besitzt. Viele Jahre später fand Firmen Archivarin Karen Falk das verschollen geglaubte Drehbuch über eine bizarre Hatz durch eine surreale Fantasie-Wüste, in der sich Terry Gilliam wie zuhause fühlen würde, wieder.
Aus dem verrückten Filmscript machte der kanadische Comic-Künstler Ramón K. Pérez 2011 einen vor allem visuell beeindruckenden Comic, der durch sein fantastisches Artwork und Storytelling glänzt. In der von Pérez zum Leben erweckten Sandlandschaft mit ihrer dehnbaren Realität gibt es zwar keinen straffen roten Faden oder allzu viele Erklärungen, dafür jedoch haifischverseuchte Swimmingpools, gefährliche Schönheiten, Löwen in Limousinen, monströse Footballspieler, orientalische Krieger, Eiswürfel-Lieferanten, Gebrauchtwagenhändler und die eine oder andere gesellige Zusammenkunft, die sich hinter unscheinbaren Türen verbirgt.
Im Januar wird die mit drei Eisner und drei Harvey Awards ausgezeichnete Graphic-Novel Jim Henson’s Tale of Sand bei danibooks auf Deutsch erscheinen. Im Interview spricht Ramón K. Pérez über Jim Hensons Vermächtnis, die Transformation vom Film Drehbuch zum Comic, und was der Panel-Fiebertraum aus der Wüste mit einem Rorschach-Test gemein hat.

jimhenson

Hallo Ramón. Kannst Du dich noch an Deine erste Berührung mit einer Schöpfung von Jim Henson erinnern?
Als ich aufwuchs, war ich ein großer Fan der Muppet Show. Der schräge Sinn für Humor und die Mätzchen der Charaktere haben immer in mir nachgehallt. Fozzie Bär, Sweetums und Beaker waren meine Lieblinge, und Gonzo fand ich einfach ulkig. Die Sesamstraße mochte ich genauso, mit Oscar, Grobi, dem Krümelmonster und Schnuffi – ich war nie ein großer Bibo-Fan ... aber ich habe immer auf seinen Auftritt gewartet (wobei ich dachte, er wäre eine sie), da es bedeutete, dass man vielleicht Schnuffi zu sehen bekam. Das sind alles Sachen, denen ich bis zu einem gewissen Grad meine merkwürdige Vorstellungskraft zu verdanken habe. Hensons spätere Schöpfungen wie Die Reise ins Labyrinth oder Der dunkle Kristall sah ich Jahre später auf Video. Obwohl sie alle unterhaltsam gewesen sind, packten sie mich nie so wie die Muppet Show oder die Sesamstraße. Viele Jahre später kam dann Farscape, auch wenn das keine echte Jim-Henson-Story und mehr eine Jim-Henson-Co-Produktion war – und ich habe mich sofort verliebt. Für mich war es das Star Wars einer neuen Ära.

Wie wurdest Du dazu auserkoren, Tale of Sand als spektakuläre Graphic Novel umzusetzen?
Archaia [die Red.: Der amerikanische Originalverlag] ist auf mich und ein paar andere Künstler zugekommen. Chris Robinson, der Redaktionsassistent des Projekts, kontaktierte mich und fragte, ob ich daran interessiert wäre, für die Arbeit an einem Jim-Henson-Objekt vorzusprechen. Mit der Anfrage kamen die ersten zehn Seiten des Drehbuchs. Ich war sehr aufgeregt und fragte nach dem Lesen, ob ich mehr vom Script sehen könnte. Chris schickte es netterweise, und so kam ich in den Genuss der ganzen Lektüre. Es war eine bizarre Story, es war durch und durch Henson, und es fühlte sich richtig an. Mein Bauchgefühl riet mir, vorzusprechen, und das tat ich. Die Jim Henson Company, genauer gesagt Jims Tochter Lisa Henson, die mit Stephen Christy die Firma leitet und im Original Redakteurin des Comics war, fällte die finale Entscheidung, wer das lange verlorene Drehbuch visualisieren würde. Glücklicherweise fiel die Wahl am Ende auf mich.

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Kannst Du uns noch ein bisschen mehr über das Original Drehbuch erzählen?
Die ersten zehn Seiten waren ein netter Haken … ich habe die restlichen 67 Seiten kaum erwarten können. Als ich das komplette Script bekam, begann ich sofort mit dem Lesen. Mein erster Eindruck blieb: Bizarr. Doch als die Story zu einem Ende kam, verstand ich es.
Eine Offenbarung. Beim Lesen des kompletten Drehbuchs wurde das Geniale in der Einfachheit der Geschichte deutlich. Wie die Schichten einer Zwiebel hat die Story mehr und mehr enthüllt. Ich bezeichne die Geschichte oft als Rorschach-Test – Leser nehmen und sehen, was immer sie möchten, und was sie in die Story hinein interpretieren. Mac ist ein Vehikel für den Leser, sowohl um zu erfahren als auch um zu analysieren. Es ist eine faszinierende Geschichte, so einfach an der Oberfläche und mit so viel mehr darunter.

Wie bist Du bei der Adaption vorgegangen? Hast Du das Drehbuch erst in ein Comic-Script umgeschrieben?
Nein, da ich das Drehbuch nicht verdünnen wollte. Ich habe mit dem Original-Script gearbeitet und es direkt adaptiert. Ich hatte ein extra Skizzenbuch, das ich Tale of Sand gewidmet habe. Mit dem Drehbuch in der Hand saß ich also da und habe ein Storyboard für die gesamte Graphic Novel erstellt. Der Storyboard-Prozess hat ungefähr fünf Tage in Anspruch genommen, danach kamen diverse Überarbeitungen. Wir mussten die Seitenzahl reduzieren, da ich ursprünglich auf 170 Seiten gekommen bin!

Was war Deine größte Angst hinsichtlich der Adaption?
Ich hatte nie Angst, als ich die Geschichte adaptierte. Ich wollte es wild genug für Leser halten, die mit Comics vertraut sind, doch es sollte auch für Comic-Anfänger lesbar sein. Meine Hauptsorge war, den Schöpfern der Geschichte gerecht zu werden. Ich wollte der vibrierenden Stimme von Jim Hensons Arthouse-Filmen in der Durchführung treu bleiben. Es war ein fantastisches Erlebnis, meine eigene Erfahrung als Geschichtenerzähler zu nehmen, um einen Mann zu kanalisieren, der 20 Jahre zuvor schon eine Inspiration für mich gewesen war. Doch der Prozess ging so schnell von statten, dass ich kaum zum Nachdenken kam. Nachdem ich den Comic abgeschlossen und aus den Händen gegeben hatte, war meine größte Angst, ob die Leute es verstehen würden – die Story, meine ich. Wie die Leute das Bizarre verdauen würden. Am Ende, denke ich, hat es geklappt, und wir haben etwas geschaffen, auf das Jim und Jerry stolz gewesen wären. Stephen Christy sagte während der Arbeit oft, dass Jim über unsere Schulter blicken würde. Ich glaube, er hatte Recht – und dass Jim und Jerry stolz auf uns wären.

Der Comic hat mehrere Eisner Awards gewonnen. Hast Du das Gefühl, dass dieses Projekt Dich auf ein neues Level gebracht hat und es eine Karriere-Entscheidung gewesen ist, selbst wenn es am Anfang vielleicht nicht danach aussah?
Die Eisner Awards, die Tale of Sand erhalten hat, waren wirklich schmeichelhaft. Die Beachtung, die den Awards folgte, war unerwartet und hat meine Reputation definitiv auf ein neues Level gebracht, wie Du es ausdrückst. Es pusht mich dahingehend, bessere Entscheidungen zu treffen und mein Bestes zu geben, nun, da ich weiß, wie viele Augen auf mich gerichtet sind. Es ist ein angenehmer und willkommener Druck. Tale of Sand war also wirklich eine frühe Karriere-Entscheidung. Ein Glücksspiel. Um im Leben oder im Job auf das nächste Level zu kommen, musst du oft eine Chance ergreifen, wenn du an die Dinge glaubst. Ich habe auf mein Bauchgefühl gehört, Cover der dt. Ausgabe hatte ein großartiges Team um mich herum, und man ließ mich größtenteils zum Glück einfach machen. Und genau so passiert dann etwas Magisches.

Weiter geht es in ZACK # 175 ...

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Special vom: 24.12.2013
Autor dieses Specials: Christian Endres
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Editorial von Georg F. W. Tempel
Die Dan Cooper-Gesamtausgabe: Action, Leidenschaft und Emotionen
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