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The Magic Pen: Interview mit Dylan Horrocks
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„Ich hab mich in der europäischen Comic-Szene immer zuhause gefühlt.“

Nachts träumt Dylan Horrocks gelegentlich von Comics. Sie sind die große Passion des 1966 geborenen Neuseeländers, der für den amerikanischen Verlag DC bereits Hunter: The Age of Magic, Batgirlund Batman: Legends of the Dark Knighttextete. Wirklich glücklich wurde Horrocks damit allerdings nicht, und hierzulande kennt man ihn seit der Frankfurter Buchmesse 2012, die ganz im Zeichen neuseeländischer Bücher und Comics stand, sowieso vor allem als Autor und Zeichner von Hicksville.
In diesem Meta-Comic geht es Horrocks insbesondere um ein Thema: Comics! Um die Macher, die Fans und die Sache, die sie verbindet. Themen wie künstlerische Integrität, der Umgang mit Urheberrechten und Kreativen und ganz allgemein die Schattenseiten der Comic-Welt sorgen für reichlich Spannungen auf den Seiten des fragmentarischen, referenzreichen Comic-Romans - und sind genauso autobiografisch geprägt wie Horrocks neuer Webcomic The Magic Pen.
Dieser beginnt ebenfalls als semiautobiografische Betrachtung eines depressiven, schreibblockierten Comicschaffenden, wandelt sich aber mehr und mehr zu einer spannenden und zuweilen hoch erotischen SciFi-Geschichte. Am Ende ist es fast schon eine moderne Huldigung von Edgar Rice Burroughs, wenn Protagonist Sam Zabel auf dem Mars einer fremden Kultur begegnet und mit offenen Armen und sogar einem eigenen exotischen Harem empfangen wird...
Im Interview spricht Dylan Horrocks über Fiktion und Realität, Webcomics und seine Suche nach Antworten.

themagicpen

Hallo Dylan. Seit Erscheinen der deutschen Ausgabe von Hicksville und der Buchmesse in Frankfurt mit Schwerpunkt auf Neuseeland ist gut ein Jahr vergangen. Spürst Du noch Nachwirkungen dieser Aufmerksamkeit?
Das ist das erste Mal, dass eine längere Arbeit von mir in Deutschland veröffentlicht wurde, und es freut mich wirklich sehr.
In Deutschland kommen gerade so viele tolle Comics heraus. Um ehrlich zu sein, achte ich nicht darauf, wie viele Klicks meine Website hat, aber ja, seit Frankfurt gibt es mehr Interesse von europäischen Verlagen. Hicksville ist bereits in mehreren Sprachen erschienen, und das ist großartig. Ich hab mich in der europäischen Comic-Szene immer besonders zuhause gefühlt.

Deine aktuellste Arbeit The Magic Pen ist ein Webcomic, den Du 2009 begonnen hast - ein Langzeit-Projekt?
Es ist als Graphic-Novel-Trilogie geplant. Der erste Band ist fast fertig, und die nächsten beiden Bände habe ich bereits geplottet. Ich gehe davon aus, dass ich noch ein paar Jahre an dieser Serie arbeiten werde.

Was bedeutet der Webcomic aus künstlerischer und ökonomischer Sicht für Dich?dylanhorrocks
An einem langen Projekt zu arbeiten, kann ziemlich einsam sein. Es online zu serialisieren, bewahrt mich davor, einen Lagerkoller zu bekommen, und hilft dabei, mich zum Weiterzeichnen zu motivieren.
The Magic Pen eignet sich für eine Serialisierung, und ganz ehrlich, die Ökonomie der Veröffentlichung von gedruckten Einzelheften ergibt für mich nicht mehr viel Sinn. Der Webcomic ersetzt dieses Format allmählich. Nichtsdestotrotz bin ich ein schrecklicher WebComic-Künstler, da ich mich nie an einen regelmäßigen Terminplan halte und die Erzählung noch immer um eine Buchveröffentlichung herum designe. Ich handhabe die Online-Serialisierung wie ein spaßiges Nebenprojekt und versuche nicht, davon zu leben.

Wird der Trend zum digitalen Lesen das Standing des Webcomics weiter verbessern?
Davon gehe ich aus. Die Verschiebung hin zum Digitalen eröffnet allerlei Möglichkeiten, und ich weiß wirklich nicht, wohin uns das alles führen wird. Manche Leute flippen deswegen aus, aber ich finde es eher aufregend als beängstigend.

The Magic Pen beginnt stark autobiografisch mit einem Künstler, der mit Deadlines und brutal kommerziellen Superheldengeschichten hadert. War Deine Zeit als Autor von Superhelden-Comics wirklich so deprimierend und traumatisierend?
Ganz ehrlich, ja. Ich hatte einige ziemlich harte Jahre. Es ging nicht bloß um meine Arbeit, sondern wirklich auch um meine weitere Beziehung zu Geschichten und zur Fantasie. The Magic Pen ist für mich zum Teil ein Weg, all dies zu erkunden: Sind Geschichten wichtig? Was passiert, wenn wir unseren Glauben in die Kunst verlieren? Können wir uns selbst mit Fantasie heilen? Oder sind Fantasien und Geschichten potenziell destruktiv? Ich interessiere mich auch dafür, ob wir eine moralische Verantwortung für die Fantasien haben, in denen wir sündigen, oder nicht. Ich kenne die Antwort auf diese Fragen nicht, deshalb schreibe ich diese Geschichte. Ich möchte die Antworten herausfinden!

The Magic Pen entwickelt sich recht schnell zu einem SciFi Abenteuer auf dem Mars. Hattest Du das von Anfang an so geplant?
Ja, die SF-Elemente der Geschichte waren schon ganz am Anfang da. The Magic Pen begann als Tagtraum, dem ich nachgab, wenn ich mich wegen meiner Arbeit deprimiert fühlte. Von da aus wuchs es weiter. Es dauerte eine Weile, bis ich anfing, es als ernsthafte Story zu behandeln, die ich schreiben wollte. Doch es ist definitiv im Voraus geplant.
Ich verbringe für gewöhnlich viel Zeit damit, über eine Story nachzudenken und sie zu planen, ehe ich überhaupt etwas zu Papier bringe. Ich weiß grob, was in allen drei Bänden passieren wird. Das heißt jedoch nicht, dass ich alles gescripted habe. Ich schreibe immer nur Scripts für ein oder zwei duesenschubKapitel auf einmal, um dem voraus zu sein, was ich zeichne. Das hilft mir dabei, den Prozess spielerisch zu halten, was in meinen Augen wichtig für die Geschichte ist. Es gibt andere Projekte, bei denen ich das gesamte Buch bereits gescripted war, bevor ich auch nur mit dem Zeichnen der ersten Seite begonnen habe..
Es hängt vom Projekt ab.

Warst Du schon immer ein Science-Fiction-Fan?
Ich wuchs mit Science-Fiction in Büchern und Filmen auf. Ich glaube, ich war vier, als ich zum ersten Mal 2001: Odyssee im Weltraum sah, und es ist noch immer einer meiner Lieblingsfilme. Mein Dad führte mich an viel SF heran, als ich ein Kind war, und ich habe immer das Gefühl geliebt, andere Realitäten zu erforschen. Ich las auch viel Fantasy, und in der High School entdeckte ich Dungeons & Dragons, woraus eine lebenslange Obsession für Fantasy-Rollenspiele wurde. Das hängt auf irgendeine Art wieder mit den Fragen zusammen, die ich in The Magic Pen zu Fiction und Kunst stelle. Ich bin zutiefst skeptisch gegenüber „realistischer“ Fiktion, da sie auf mich irgendwie unehrlich wirkt. Geschichten lügen; sie konstruieren eine erdachte Simulation der Realität, die fundamental anders funktioniert als die Realität. Je mehr ein Autor versucht, seine Geschichte realistisch zu machen, desto größer ist die „Uncanny Valley“-Übelkeit, die sich in mir breitmacht; ich habe das Gefühl, als wolle der Autor mich zum Narren halten und davon überzeugen, dass die Welt in seiner Story die reale Welt sei, obwohl ich weiß, dass sie es nicht ist. Meiner Meinung nach hat die literarische Fiktion im letzten Jahrhundert einen Mythos um sich selbst errichtet, der behauptet, dass der ernsthafteste Romancier - mehr als jeder andere - die tiefe Wahrheit über die Welt erzählt. Wir haben einen Kult um Autoren als Wahrsager und Zeichendeuter entwickelt, die uns das Leben offenbaren und beschreiben, wie es wirklich ist. Damit habe ich massive Schwierigkeiten. Es wirkt bestenfalls unaufrichtig. Für mich haben Science Fiction und Fantasy eine gesündere Beziehung zur Fiktion, weil sie die Imagination genau ins Zentrum dessen rücken, was sie tun.
Ich weiß nicht, womöglich übertreibe ich, und am Ende von The Magic Pen ändere ich vielleicht meine Meinung. So oder so ist das jedoch der Stoff, mit denen ich ringe.

Weiter geht es in ZACK # 174 ...

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Special vom: 21.11.2013
Autor dieses Specials: Christian Endres
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F. W. Tempel
Die Schöne und das Automobil: Margots Reportagen
Das Allerletzte
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