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Interview mit Olivia Vieweg
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„Die Jungs und ich haben beschlossen, eine Bande zu gründen.“
Auf den Spuren von Huckleberry Finn


Olivia_Vieweg„Personen, die versuchen, in dieser Geschichte ein Motiv zu finden, kommen vor Gericht. Personen, die versuchen, eine Moral darin zu entdecken, werden verbannt. Personen, die versuchen, einen Plan darin zu sehen, werden erschossen. Auf Befehl des Autors.“
Diese bissige, pointierte „Bekanntmachung“, zu finden auf der ersten Seite von Olivia Viewegs Graphic Novel Huck Finn, hat die Autorin von Twain übernommen. Darüber hinaus ist bei der Adaption der ostdeutschen Künstlerin vieles zwar ähnlich wie in Mark Twains „Great American Novel“, mit welcher der scharfzüngige Schriftsteller Ende des 19. Jahrhunderts die neue amerikanische Literatur fast im Alleingang begründet hat, aber doch irgendwie wohltuend anders. Deutsch. Frisch. Eigenständig.

Olivia Vieweg, die 2012 den ersten Platz bei Ehapas Comic Stipendium erreichte, verlegt die Schilderungen des jugendlichen Südstaaten-Rebellen kurzerhand aus dem fernen Mississippi-Delta Nordamerikas an die näher liegende Sächsische Saale in Deutschland.
Die Handlung des ambitionierten Comics spielt in der Gegenwart. Hauptschauplatz ist die Gegend um Halle. Nun ist der Mississippi stolze 3778 Kilometer lang und die Saale nur deren 413, aber ein transformierter Twain-Plot aus der Perspektive eines ostdeutschen Teenagers erzählt, bietet genügend Erzählstoff, sowohl der abenteuerlichen, als auch der sozialkritischen Art, um für unterhaltsame und stimulierende Lektüre zu sorgen.
Für ZACK sprach Matthias Hofmann mit der Zeichnerin, der mit dieser wichtigen Graphic Novel bei Suhrkamp, einem der renommiertesten Buchverlage Deutschlands, der ganz große Wurf gelang.

Olivia, vor mir liegt Deine neue Graphic Novel Huck Finn. Bevor wir zu diesem, wie ich finde, äußerst gelungenen Werk kommen, möchte ich ganz nüchtern nach Deinen wichtigsten biografischen Daten fragen …
Geboren: 03.10.1987 in Jena, eine Stadt, die ich immer noch sehr liebe! Studiert habe ich Visuelle Kommunikation in Weimar an der Bauhaus-Uni. Dort habe ich mit meinem Comic Endzeit 2011 mein Diplom gemacht. In Weimar bin ich dann auch gleich hängen geblieben, weil viele von unseren Illustratoren geblieben sind und es nebenbei eine gute Stadt zum Leben ist.

Wie war Deine Schulzeit? Hast Du da schon Katzen gezeichnet?
Dafür war ich sogar berühmt-berüchtigt! Immer, wenn im Kunstunterricht eine Aufgabe gestellt wurde wie: „Modelliere aus Ton eine Marktfrau“, dann hat meine Marktfrau eben den Arm voller Katzen gehabt. Ich hab immer ein Schlupfloch gefunden, die Tierchen unterzubringen. Und gezeichnet hab ich praktisch in jeder Unterrichtsstunde. Vor allem im Gymnasium, da gab es etliche Lehrer, die das rasend gemacht hat. Ich kann das auch verstehen, weil sie das als Missachtung ihrer Arbeit empfunden haben. Tolle Ereignisse gab es aber auch. Wir mussten irgendwann ein Essay über eine bestimmte Passage in Nathan der Weise schreiben, und der gestrenge Deutschlehrer, der kurz vor seiner Pensionierung stand, hatte mich schon lange auf dem Kieker. Bis zu dem Tag, als er mein Essay vor der gesamten Klasse vorlas mit den Worten: „Besser kann man es nicht machen, und ab heute hat Olivia die Lizenz zum Zeichnen im Unterricht!“ Ich glaube zum Ritter geschlagen werden kann sich nicht cooler anfühlen.

Ich bin zum ersten Mal auf Dich aufmerksam geworden durch Deine Katzenbücher bei Carlsen. Während des Studiums hast Du dort drei dieser amüsanten Bilderbücher veröffentlicht und unter anderem erklärt, „Warum Katzen besser sind als Männer“. Was können Männer von Katzen lernen?
Eigentlich bin ich kein Fan dieser „Männer/Frauen“-Bücher mit den immer gleichen Klischees, aber es hat einfach zu viel Spaß gemacht, das Ganze mit dieser mürrischen Katze umzusetzen. Und es ist ja auch ironisch gemeint, denn was hat man von einer im Sitzen pinkelnden Katze? Das Klo macht sie dann ja doch nicht sauber! Ich kann also nicht sagen, was Männer von Katzen lernen sollten. Vielleicht können wir Menschen allgemein lernen, etwas entspannter zu sein. Das wäre ich selber auch gerne ...

Für das Magazin ALFONZ – Der Comicreporter habe ich den Spanier José Fonollosa interviewt, der drei Katzen im Haus hat, die ihn täglich zu seinen Katzencomics inspirieren. Wie viele Katzen hast Du und was bedeutet so ein doch eigensinniges Pelztier für Dich?
Wir haben zwei Katzen im Haushalt, eine Kurzhaar- und eine Perserkatze. Letztere war eine Herzensangelegenheit von mir. Denn eigentlich versteht sich die Kurzhaarige nicht mit anderen Katzen, es war also ein Risiko, „die Neue“ ins Haus zu holen. Zum Glück hat das geklappt. Gerade liegt sie übrigens schnurrend neben mir und blockiert die ESC-Taste. Ich bin da vielleicht ein bisschen wie Loriot veranlagt, der unbedingt Möpse um sich herum brauchte, obwohl andere Hunde ja auch ganz schön sind. Bei mir muss es was langhaariges, flauschiges sein. Ganz ehrlich - ohne möchte ich nicht leben. [lacht]

Kannst Du Dich an Deinen ersten gelesenen Comic erinnern?
Eigentlich nicht, aber früh war sicher Das lustige Taschenbuch dran. Ich war immer ziemlich lesefaul und hab mich gegen normale Bücher gewehrt. Das hat sich teilweise bis heute nicht geändert, um die meisten Romane mache ich immer noch einen Bogen, ich lese lieber Fachbücher und Comics. [grinst] Wobei ich den Zusammenhang, den manche Pädagogen in den Medien zwischen „Lesefaulheit“ und „Comiclesen“ herstellen wollen, echt dämlich finde.

Stimmt. Ich glaube sogar, es ist eher andersrum. So mancher hat durch Comics eher lesen Huck_Finngelernt, und nicht selten wird bei Comiclektüre quasi nebenbei Allgemeinwissen vermittelt. Aber wenn du um Romane einen Bogen machst, wie war das mit Mark Twains Romanvorlage zu deinem Huck Finn? Wie lange hast Du daran gelesen?
Ich hab schon länger daran gelesen als normal, aber das lag auch daran, dass ich das Buch nicht in einem Rutsch durchlesen wollte, sonst vergisst man am Ende zu viel. Ich hab mir das häppchenweise vorgenommen.

Welche Art von Comics gefallen Dir besonders?

Am liebsten lese ich gute Manga und Graphic Novels, Funnys lese ich ganz selten, genauso wie Superhelden-Comics. Aber ich bin dankbar über jeden guten Comic, der mir in die Hände fällt, ganz gleich welches Genre.

Und welche Zeichner schätzt Du?
Es gibt etliche Manga-Zeichner wie Naoki Urasawa (Monster, Pluto, 20th Century Boys) und Mohiro Kitoh (Naru Taru), die ich sehr bewundere. Oder das Autoren/Zeichner-Duo Takeshi Ohba und Tsugumi Obata (Death Note, Bakuman). Mit Bakuman haben sie einen Manga geschaffen, auf den ich echt immer Fingernägel kauend gewartet habe. Leider kommt jetzt bald der letzte Band. Den Manga sollten sich übrigens alle Comicschaffenden mal zu Gemüte führen, man kann viel lernen dabei, auch wenn ich nicht alles unterstütze, was im Manga gezeigt wird, aber man muss das positive - und das ist tonnenweise vorhanden - einfach raus filtern.
Ansonsten mag ich auch sehr was die europäischen Graphic-Novel Leute leisten, aber weniger die historischen Stoffe, lieber die Sachen, wie sie Bastien Vives macht. Oder Manu Larcenet mit seinem Der alltägliche Kampf. Das hat mir auch sehr gefallen. Großer Geheimtipp ist auch Mark Kalesnikos Mail Order Bride, leider noch nicht auf Deutsch erschienen, aber auf Englisch auch gut lesbar. Wäre ich Filmschaffender, würde ich mir die Story sichern.
Bei den deutschen Zeichnern ist mein Favorit Nummer #1 sicher Ralf König, da hab ich viel mitgelacht und mitgelitten. Meistens gefallen mir eher die Comiczeichner, die auch eine brillante Geschichte liefern können, schöne Zeichnungen sind mir nicht ganz so wichtig wie eine gute Story. Früher hab ich Comics oft nach den schönen Zeichnungen gekauft, heute nicht mehr.

Es ist in der Tat so, dass auch bei der „Neunten Kunst“ in den meisten Fällen alles mit der Geschichte steht und fällt. Du schreibst auch eigene Geschichten …
Ja, das ist mir mindestens genauso wichtig wie das Zeichnen. Oft wird ja bemängelt, dass Leute, die als Zeichner gut sind, auch noch ihre eigene Geschichte schreiben müssen, was oft nicht so perfekt ist wie die Bilder. Aber ich hoffe, dass meine Geschichten auch was taugen! Ich könnte mir jedenfalls nicht vorstellen, nur fremde Geschichten zu adaptieren, da bin ich mit dem Kopf nicht richtig in der Materie drin. Beim Huck Finn war es ja eine angenehme Mischung, ich hab viel Eigenes reinbringen können, das war mir echt wichtig.

JimHuck Finn ist übrigens ein wirklich gutes Beispiel, wie man einen bekannten Stoff adaptiert und für eine neue Zeit und neue Leser frisch macht. Wie bist Du darauf gekommen, gerade diesen Roman zu nehmen? Warum nicht den Vorgänger Tom Sawyer bzw. was ganz anderes?
Mir stand das Verlagsprogramm des Suhrkamp/Insel-Verlags offen, und ich hab mich gleich auf die Kinderbücher eingeschossen, wobei Huck ja schon fast ein Erwachsenenbuch ist. Mich hätte auch der Zauberer von Oz gereizt, den mach ich irgendwann vielleicht noch.
Aber vorerst war für mich klar: Ich mach Huck Finn! Der Roadmovie-Aspekt in der Geschichte ist genau mein Ding.

Hast Du etwas ähnliches selber schon mal gemacht? So einen klassischen Roadtrip durch die USA oder durch Europa getrampt?
Na ja, einen richtig abenteuerlichen Roadtrip, der kinoreif wäre, hab ich noch nicht gemacht, da bin ich vielleicht nicht krass genug für. Aber ich warte, bis ich ein paar Euro übrig habe, und dann plane ich, mit einem Wohnmobil ein paar Wochen durch die USA zu fahren und dort Station zu machen, wo es mir gefällt. 2011 war ich das letzte Mal in den USA, aber schön gepflegt mit Mietwagen und allem drum und dran. Das reicht manchmal auch schon, um bizarre und aufregende Dinge zu erleben. Wir sind von San Diego nach San Francisco an der Küste hochgefahren, das sind 800 kurvenreiche Kilometer, und da haben wir auch erst am jeweiligen Tag entschieden, wo wir bleiben wollen. Das hat schon was, ist aber auch anstrengend. Ansonsten steht noch eine längere Tour durch Japan an, aber da sind die Pläne noch nicht so konkret. Japan ist sicher prägend, vor allem wenn man sich für Manga interessiert.

Wie lange hast Du an Huck Finn gearbeitet?
Ein Jahr hab ich ziemlich regelmäßig dran gearbeitet. Also fast komplett 2012. Ich habe aber nebenbei noch andere Dinge gemacht zum Broterwerb.

Illustrationen? Oder ganz was anderes?
Ich habe für eine Kinderbuchreihe von Schneiderbuch (Vampirinternat Schloss Schauerfels) die Illustrationen gemacht und einige Hefte des belgischen Comics Silberpfeil koloriert - manchmal echt eine höllische Arbeit. Außerdem waren wir viel mit dem „Illumat“ unterwegs, da haben sich einige Weimarer Illustratoren zusammengetan, die Illustrations-Wünsche innerhalb weniger Minuten auf Festivals und ähnlichen Events erfüllen, da kommt man viel rum und lernt schnell zu zeichnen.

Weiter geht es in ZACK # 171 ...

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Special vom: 27.08.2013
Autor dieses Specials: Matthias Hofmann
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F. W. Tempel
Interview mit José Fonollosa
Das Allerletzte
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