Optionen und weiterführende Links



In der Datenbank befinden sich derzeit 477 Specials. Alle Specials anzeigen...

Interview mit Alexander von Knorre
«  ZurückIndexWeiter  »

Sieben_Burgen_Cover

Hallo Alexander, vor kurzem ist deine Graphic Novel "Hinter den Sieben Burgen" beim jaja-Verlag erschienen. Herzlichen Glückwunsch erst einmal dazu.

Danke!

Alexander_von_KnorreKommen wir zur erste Frage: Warum Rumänien? Worin lag deine Motivation begründet, in diesem Land deinen sozialen Dienst zu absolvieren?

Durch ein High-School-Jahr in der 11.Klasse wusste ich, dass mir längere Auslandserfahrungen etwas geben. Nun hatte Florida mit Disney-World und ewigem Sonnenschein zwar gewisse Reize, aber letztendlich steckte ich ein Jahr lang ohne Führerschein und Auto im endlosen, quasi subtropischen Stadtgebiet von Orlando in einem Bungalow fest. Nur gelegentlich konnte ich meine Gastfamilie begleiten, wenn die am Wochenende Ausflüge in völlig überdimensionierte Einkaufszentren unternahm. Meine Schlussfolgerung aus all dem war, dass ich zwar wieder ins Ausland wollte, aber beim nächsten Mal in ein möglichst gegensätzliches Land - das war in meiner Vorstellung Russland. Als nach dem Abi der Zivildienst anstand, bewarb ich mich für den alternativen „Anderen Dienst im Ausland“. Die Organisation die das vermittelte, schlug mir neben Russland verschiedene andere Länder in Mittel-Ost-Europa vor, und ich war mit allen einverstanden. Dass es am Ende Rumänien wurde, war dann eher Zufall.

Du warst vor 10 Jahren in Rumänien als Zivi. Warum hast Du so lange mit der Veröffentlichung gewartet? Ist die Story erst während der Diplomarbeit entstanden, oder hast Du bereits in Rumänien mit dem Zeichnen angefangen? HinterdenSiebenBurgen-104

In Rumänien selbst war ich sehr mehr mit dem Leben dort beschäftigt: Arbeiten, Reisen... und nicht zuletzt Holzhacken, Wasserholen und Maisbreikochen. Darüber Comics gezeichnet habe ich zu dem Zeitpunkt nicht, dafür steckte ich zu sehr drin. Natürlich gibt es Fotos, Mails, Tagebucheinträge und ähnliches.

Diese Zeit in Siebenbürgen hat mich aber auch hinterher immer weiter beschäftigt. Ich bin noch öfter hingefahren, viele Freundschaften aus der Zeit haben sich erhalten... Es hat mich also nicht losgelassen. So kam ich schließlich auf den Gedanken, aus diesem Material einen Comic zu machen. Zum Abschluss meines Studiums bot sich das an, denn als Diplom wollte ich nochmal ein Herzensprojekt umsetzen.

Als es soweit fertig und verteidigt war, lag es dann für drei Jahre in der Schublade, denn nach meinem Diplom habe ich wortwörtlich rund um die Uhr an Kinder- und Jugendbuchprojekten gearbeitet. Inzwischen ist so viel Zeit vergangen, dass ich mir dachte: Wenn ich jetzt nochmal 10 Jahre warte, dann ist dieser Comic endgültig kalter Kaffee.    

Im Buch gibt es viele Situationen, die einen gewissen Diskussionsbedarf nach sich ziehen. Dennoch berichtest Du größtenteils völlig wertfrei und gibt nur selten Einblick in deine persönliche Meinung zu den dortigen Umständen. Warum arbeitest du mit dieser fehlenden direkten Kritik?

Das freut mich, dass es nicht wertend rüberkommt, denn ich wollte nichts bewerten oder beurteilen. Ich hatte ja mein Vor-Urteil im Gepäck, nämlich dass dieses Land sehr arm sei und dort soziale Hilfe dringend benötigt würde. Als ich dann dort war, zeigte sich das Bild wesentlich vielschichtiger und natürlich hatte niemand auf einen 19jährigen deutschen Abiturienten gewartet, der endlich die Lage richtet.

Ich habe dann vor allem viele Dinge als sehr ambivalent erlebt. Zwar war das Kinderheim pädagogisches Niemandsland, aber die westeuropäischen „Sozialtouristen“ hatten nun offensichtlich auch nicht das rettende Konzept (ich war ja einer von denen, mit etwas längerer Aufenthaltsdauer) Die Gastfreundschaft, Offenheit und Toleranz der Menschen waren umwerfend, andererseits war da diese gewisse Roheit und Härte, zum Beispiel im Umgang mit Tieren oder beim alltägliche Rassismus in Bezug auf die Roma...
Die offensichtliche Romantik des dörflichen Alltags hörte dann schnell auf, wenn es um Dinge wie Gesundheits- und Sozialvorsorge ging. Ich persönlich habe aber die dörfliche Stille, die Üppigkeit der Natur, die Vielzahl starker sensueller Eindrücke durch die Nähe zu Tieren, das kontinentale Klima, die Einfachheit der Lebensumstände sehr genossen.

Letztlich darf der Leser gern selber anhand seiner persönlichen Toleranz-Skala festlegen, welche der gezeigten Umstände er fürchterlich findet, traurig oder nur merkwürdig und welche gewöhnungsbedürftig, skurril, amüsant, sympathisch oder gar wundervoll.

HinterdenSiebenBurgen-149Für das Buch hast Du extra eine Schrift namens "Knorrehand" entwickeln lassen. Erzähl mal bitte, wie Du zu dieser Idee kamst.

Das Ideal ist für mich schon ein schönes Handlettering. Aber es war ziemlich schnell klar, dass ich es mit ziemlichen Textmengen zu tun haben würde, und tatsächlich habe ich bis zuletzt immer wieder Änderungen und Korrekturen vorgenommen, das wäre alles nur per Hand sehr zeitintensiv geworden. Ich bin auch alles andere als ein geübter Letterer. Also es ging mir mit diesem Schriftfont basierend auf meiner Handschrift um die optische Stimmigkeit zwischen Text und Bild, Flexibilität und gute Lesbarkeit. Ein Dank an Friedrich Althausen, der das für mich umgesetzt hat!

Vor drei Jahren hast du deinen Comic als Diplom verteidigt. Hast du für die aktuelle Veröffentlichung noch Veränderungen vorgenommen?

Ich habe das Layout umgestellt und dabei hie und da mal ein paar Panels rausgekürzt oder anders arrangiert. Vor allem habe ich aber vor der Veröffentlichung noch verschiedene zusätzliche Episoden gezeichnet. Etwa „Rumänische Hängung“ oder „Die Tore zur Welt“. Ich wollte noch stärker auf den Kern meiner Zeit dort eingehen - die Arbeit im Kinderheim. In der ersten Version habe ich mich sehr schnell den kuriosen Nebenfiguren und Randerscheinungen gewidmet, also Erfahrungen, die so oder ähnlich wohl viele Rumänienreisende und Freiwillige gemacht haben. Das eigentlich originäre an meinem Jahr war aber sicherlich die Arbeit im Heim.

HinterdenSiebenBurgen-86In einem Artikel auf SpOn sagst Du: "Ich wollte das noch einmal im Bild festhalten, bevor das Land vollständig in die Europäische Union integriert ist". Was hat sich zurückblickend, in Rumänien seit dem EU-Beitritt geändert? Hast Du aktuelle Infos aus dem Dorf, oder sogar aus dem Kinderheim?

Das letzte Mal war ich vor fünf Jahren im Dorf, wirklich aktuelle Infos habe ich also nicht.
„Komplett integriert“ ist das Land hoffentlich noch nicht (das klingt auch arg bedrohlich). Aber es hat sich bereits vieles geändert, das ist durchaus vergleichbar mit den Veränderungen in Ostdeutschland nach 1989. Die Omnipräsenz deutscher Supermarktketten, die Anzahl der Werbeschilder an den Schnellstraßen, die Zahl der Autos überhaupt, die wildwuchernden Gewerbegebiete vor den Städten sind offensichtliche Anzeichen, dass die EU angekommen ist. Eine Autobahn wird quer durch Siebenbürgen gebaut. Mit dem Bild dieser wunderbar leeren, komplett unverbauten Landschaft vor Augen, ohne Überlandleitungen und Windräder... blutet mir schon etwas das Herz, wenn ich daran denke. Auch das dörfliche Leben verändert sich, den Kuhabtrieb wird es so nicht mehr geben, weil jeder Bretterverhau von Stall nach EU-Norm gefliest und sterilisiert sein müsste, um die Milch noch verkaufen zu können... Solche Beispiele gibt es viele. Es wird alles irgendwie „normaler“, im Guten wie im Schlechten.

Deine Zeichnungen in "Hinter den Sieben Burgen" lassen oftmals noch die ersten Scribbles und Entwürfe erkennen. Auch bei der Kolorierung und beim Inken gibt es diese recht freihändige Arbeitsweise. Verstehst Du dies als dein "Markenzeichen" oder soll dies eher den Inhalt der Graphic Novel widerspiegeln?

Die Tendenz zu einer gewissen Freihändigkeit ist, glaube ich, immer da, nur die Ausprägung ist unterschiedlich. Ich bin ja großer Fan von Joann Sfar, Christophe Blain oder Mawil, deren Zeichenstile etwas sehr unmittelbares und direktes haben. Und ich liebe gerade bei Sfar die unglaubliche Freiheit der  „Klezmer“-Geschichten, die die Comics wie ein persönliches Skizzenbuch wirken lässt (was sie dann teilweise auch sind). Die Zeichnung ist ja immer ein sehr persönlicher, unmittelbarer Ausdruck und den sollte man möglichst ungeschminkt so stehen lassen, finde ich- solange es halbwegs lesbar bleibt. Zu cleanes Inking und zu viel technischer Aufwand entfernen den Zeichner wieder vom Leser. Wenn man also beim Lesen das Gefühl hat, ich hätte den Comic direkt vor Ort irgendwo zwischen Kinderheim und Kuhstall schon mal vorgescribbelt, dann ist mir das sehr recht. Natürlich passen lockere, teils schmuddelige Bleistiftzeichnungen besser zum rauen rumänischen Dorfleben mit windschiefen Plumpsklos und bröckelnden Fassaden als z.B. zum Berliner Hauptbahnhof oder der Frankfurter Skyline.    

image-240092-galleryV9-qqkyDer Comic besteht aus vielen kurzen Storys, dennoch ist es dem Leser möglich, ein zusammenhängendes Bild von deinem Auslandsaufenthalt zu bekommen. War es für Dich schwierig, die einzelnen Szenen so auszuwählen, dass sie im Endeffekt eine lückenlose Geschichte ergeben? Wie sah hier deine Herangehensweise für das Story-telling aus?

Meine Herangehensweise sah so aus, dass ich erst mal wild alles gesammelt und aufgeschrieben habe, was ich als Umstand oder Anekdote interessant oder skurril genug fand, um es zu erzählen. Da hatte ich also einen Haufen Zettel und musste die in eine Ordnung bringen, am besten noch einer Art Dramaturgie folgen lassen. Ich habe dann drei Entscheidungen getroffen: Das Dorf ist Kern und Mittelpunkt aller Episoden, quasi die Bühne. Anderswo in Rumänien, in Bukarest, den Karpaten, an der Schwarzmeerküste gab es zwar auch kuriose Dinge und Erlebnisse, aber das wäre dann wahrscheinlich sehr ausgefranst. Die Dorfbewohner sind immer wiederkehrende Charaktere, und der Kosmos ist überschaubar. Es fällt leichter, in dieser kleinen Welt heimisch zu werden. Die zweite erzählerische Komponente ist der Verlauf eines Jahres, etwa August bis Juli. Viele Ereignisse spielen sich draußen ab oder ergeben sich aus Feiertagen, extremen Wetterlagen oder jahreszeitlich spezifischen Stimmungen. So ordnet sich das schon ein wenig. Das dritte, verbindene Element ist dann der Freiwillige und sein Dienst, mit allen Aufs und Abs - von der Ankunft bis zum Abschied. Der Freiwillige nimmt dann auch ungefähr die Perspektive des deutschen Lesers ein.

Du bist Mitglied in der Weimarer Kreativ Etage. Was verbirgt sich dahinter und welchen Nutzen ziehst Du daraus?
667151_orig
Die Kreativ-Etage ist eine Atelier-Gemeinschaft mitten in Weimar. In Weimar gibt es eine Gestaltungs-Hochschule, aber die ganzen frischgebackenen Grafiker, Fotografen, Illustratoren etc. verließen nach ihrem Abschluss immer sofort die Stadt. Um einen Anreiz zum Bleiben zu geben, hat die Stadt hier günstige Arbeitsräume geschaffen, für Absolventen direkt im Zentrum. Ich sitze da zwar allein in einem kleinen Kabuff, aber schräg über den Flur und die Treppe hoch, arbeiten viele ehemalige Kommilitonen. Wir trinken ab und zu Kaffee und gehen zusammen Mittag essen. Die Vernetzung und das Gemeinschaftsgefühl aus der Uni konnte so ein Stück weit in den Alltag der Selbständigkeit rüber gerettet werden.    

Wie kam der Kontakt zum jaja-Verlag zustande? Hattest du Dich mit dem Comic bei verschiedenen Verlagen beworben?

Ich habe Annette Köhn wie viele andere spannende und inspirierende Menschen beim Skizzenfestival in Stralsund kennengelernt. Als sie den Jaja-Verlag gegründet hat, schien mir das sehr gut zu passen und ich habe zuerst sie gefragt, ob sie nicht mein Diplom-Comic veröffentlichen möchte. Sie war dann gleich mit voller Energie dabei und hat maßgeblich Anteil daran, dass das Buch nun endlich fertig vorliegt.

Wo kann man Dich in nächster Zeit antreffen? Wirst Du beim Münchener Comicfestival zugegen sein? Und an welche Sachen arbeitest Du momentan?

Ich bin auf der COMICINVASION in Berlin (21. April). Dort zeigen wir Original-Seiten aus „Hinter den sieben Burgen“ und für Signaturen bin ich auch zu haben. Danach bin ich aus familiären Gründen erst mal weniger unterwegs, werde aber bestimmt wieder zum Comicgarten (Anfang September) nach Leipzig reisen.

Wie immer in den letzten Jahren arbeite ich gerade vorläufig geheimen Kinderbuchprojekten… Gerade habe ich einen „Klassiker für Erstleser“ beendet, der mir sehr am Herzen liegt, es wird weitere Geschichten von Paul (der plötzlich ein Vampir ist) geben und einen weiteren Band der Reihe „Baff!-Wissen“ von Volker Präkelt (da sind auch Comics mit drin!) . Es steht auch ein neues Comicprojekt im Raum, ich bin gespannt.  

Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.

Gerne!


Homepage jaja Verlag: http://www.jajaverlag.com

Blog von Alexander von Knorre: http://knorre.blogspot.de/

«  ZurückIndexWeiter  »


Special vom: 16.04.2013
Autor dieses Specials: Christian Recklies
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Leseprobe Hinter den Sieben Burgen
Rezension - Hinter den Sieben Burgen
Zurück zur Hauptseite des Specials


?>