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Ein Amerikaner in Angoulême

Bericht vom Festival international de la bande dessinée

offizielles_PlakatWer von Angoulême spricht, denkt unweigerlich an Comics.  
Seit 1974 steht die Hauptstadt des westfranzösischen Departements Charente Jahr für Jahr gegen Ende des Monats Januar im Zeichen der Neunten Kunst. In diesem Jahr, zur 39. Auflage des berühmten BD-Festivals, kamen einmal mehr um die 120 000  Besucher aus der ganzen Welt und zelebrierten nach der offiziellen Eröffnung am Mittwochabend von Donnerstag, 26.1. bis Sonntag, 29.1.2012 vier begeisternde Tage, deren Motto Art Spiegelman vorgab.  
Angoulême …
Allein das Wort weckt bei allen, die mit Comics zu tun haben, die schillerndsten Gedankenverknüpfungen.
Ob bei Lesern, Autoren, Zeichnern, Verlags- oder Medienvertretern, jeder hat da seine ureigenen Bilder vom Festival im Kopf. Verbunden damit ist die Freude über unvergessliche Erinnerungen und die stete Vorfreude auf kommende Ereignisse. Für Fans wie für Professionelle ist Angoulême ein Muss, denn nirgendwo sonst in Europa kommt es zu einer so geballten Darstellung des internationalen Comicgeschehens. Was 1974 eher schlicht begründet wurde von den drei Enthusiasten Claude Moliterni (1932-2009), Jean Mardikian (*1935) und Francis Groux (*1934) – dessen Autobiografie Au coin de ma mémoire gerade im Verlag PLG erschienen ist –, gilt längst als Großereignis von überragender wirtschaftlicher, kultureller und politischer Bedeutung.
Die wirtschaftliche Bedeutung belegen die aktuellen Zahlen, die der Journalist Gilles Ratier (*1958) seit 2000 jeweils zum Jahreswechsel im Namen des ACBD (Association des Critiques et des journalistes de Bande Dessinée) vorlegt. Danach erschienen 2011 in Frankreich exakt 5.327 Comics: franko-belgische BDs, US-Comics und Comics asiatischer Herkunft. Das ist eine Zunahme von 3% gegenüber dem Vorjahr und steht für 8,3% der gesamten Produktion im französischen Buchmarkt. Nicht weniger als 3.841 sind echte Novitäten, also Neukreationen, die anderen Nachdrucke. Obwohl publiziert von 310 verschiedenen Verlagen, sind es die vier großen Hersteller Delcourt (= Soleil etc.) mit 840, Média-Participations (= Dargaud, Dupuis, Lombard etc.) mit 775, Glénat (= Vents d’Ouest, Disney etc.) mit 469 und Flammarion (= Casterman, AUDIE/Fluide glacial etc.) mit 226 Titeln, die an diesen Aktivitäten einen Anteil von 43,6% haben.
Interessant auch, dass knapp 100 Serientitel mit mehr als 50.000 Exemplaren aufgelegt wurden, wobei die drei ersten Plätze XIII: Le jour du Anstehen_fuer_eine_SignaturMayflower von Yves Sente und Youri Jigounov (500.000), Kid Paddle: Panic Room von Midam (360.000) und Boule & Bill à l’abordage!! von Laurent Verron (253.000) belegten. Was für eine wichtige Rolle im Leben der Franzosen die Neunte Kunst als Unterhaltungsstoff spielt, zeigen auch diese Zahlen: 2011 gab es 455 Veranstaltungen (Festivals, Ausstellungen, Diskurse etc.), die sich mit dem Thema beschäftigten, und immerhin knapp 1.500 Autoren können – wenngleich bisweilen mit Schwierigkeiten – von dieser Kreativarbeit leben. Dass trotz der sich entfaltenden neuen Technologien dem traditionellen Buch die nahe Zukunft gehört, davon konnte sich der Beobachter in Angoulême ein augenfälliges Bild machen. Der  Blick in die in der ganzen Stadt   aufgebauten Zelte, wo sich die Verlage präsentierten, zeigte wahre Menschentrauben, die  geduldig darauf warteten, dass der Lieblingsautor die Widmung ins gedruckte Comic-album strichelte.
Die kulturelle Bedeutung des Phänomens BD definiert sich in Angoulême nicht zuletzt über die Sorgfalt, mit der die unzähligen Ausstellungen montiert sind. Neben der obligaten Werkausstellung, die dem am-tierenden Präsidenten Art Spiegelman (*1948) zukam, konnte sich der Besucher interessante Einblicke in das kreative Schaffen der Comicszene in Spanien, Schweden und Taiwan verschaffen.
Einzelausstellungen zeigten unter anderem die Comicmalereien des französischen Künstlers Hervé Di Rosa (*1959) sowie die poetisch-surrealen Blätter von Fred (*1931). Letztgenannter, 1980 mit dem "Grand Prix" ausgezeichnet, fand im altehrwürdigen Hotel Saint-Simon den würdigen Rummel_allerortenRahmen für die Darbietung seiner einst für Pilote entstandenen Philémon-Illustrationen, die dem deutschen Leser leider kaum bekannt sind. Unschlagbar, schon wegen der Menge an Gezeigtem, war freilich die Art-Spiegelman-Schau mit etwa 750 Dokumenten, davon mehr als 350 Originale. Vom belgischen Ausstellungsmacher Jean-Marie Derscheid und seinem Team im Gebäude Castro (ehemals Comic-Museum) eingerichtet, reflektiert diese erstklassige, noch bis 5. März 2012 gezeigte Retrospektive alle Aspekte im Schaffen des US-amerikanischen Künstlers rund um die Kernpunkte Breakdowns, RAW, Im Schatten keiner Türme und natürlich dem zentralen Thema Maus. Nach Angoulême ist diese Ausstellung von 21. März bis 21. Mai 2012 in der Bibliothek des Centre Pompidou in Paris zu sehen, ehe sie dann vom 22. September 2012 bis 6. Januar 2013 im Kölner Museum Ludwig gastiert. Damit nicht genug, bot das Comic-Museum eine zweite, mit Le Musée privé überschriebene, von Spiegelman arrangierte Ausstellung mit mehr als 400 primär amerikanischen Werken, die seine Karriere beeinflusst haben. 

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Special vom: 23.03.2012
Autor dieses Specials: Horst Berner
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F.W. Tempel
40 Jahre ZACK-Magazin: Ein Rückblick
Albert Uderzo "Wir gratulieren!"
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