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In der Ruhe liegt die Kraft! - Der radikale Poet Jiro Taniguchi

Manga oder Gekiga? Comic-Roman oder Graphic Novel? Das unnachahmliche Werk des Japaners Jirō Taniguchi lässt sich nichtso einfach einordnen. Kein Wunder, denn der vielfach ausgezeichnete Mangaka bewegt sich inhaltlich und graphisch zwischen den Kulturen. So entdecken auch Nicht-Manga-Leser und sogar Nicht-Comic-Leser die beeindruckenden Arbeiten Taniguchis. Da ist es nicht verwunderlich, dass eines seiner Bücher verfilmt wurde. Seine Bilder und Geschichten schaffen den erstaunlichen Balanceakt, gleichzeitig Kraft und Ruhe zu vermitteln. Sie revolutionieren die Art zu erzählen – über alle Genres und Grenzen hinaus. Deswegen zählt Taniguchi zu den weltweit renommiertesten Mangakas.

Jiro_TaniguchiWahrheit. Abschied. Freundschaft. Zeit. Heimat. Schmerz. Natur. Verlust. Schönheit. Angst. Kraft. Trauer. Glück. Hoffnung. Mut. Es sind meist die essenziellen Dinge des Lebens und die grundlegenden Gefühle, um die sich die Geschichten von Jirō Taniguchi drehen. Genauer müsste man sagen, in den literarischen Mangas, die er seit den 1980er Jahren geschaffen hat.
Denn man mag es kaum glauben, aber der Mangaka hatte zuvor knallharte Genre-Mangas gezeichnet, die allenfallsaufgrund ihrer Härte an Erwachsene gerichtet waren. Als er jedoch auf den franko-belgischen Comic stieß, sollte sich alles ändern. Zwar war Taniguchi bereits durch den Gekiga (dt. "Bilderdrama" oder "dramatische Bilder") beeinflusst, aber erst der franko-belgische Comic veranlasste ihn dazu, literarische Mangas zu zeichnen. Sein Werk wurde seitdem vielfach prämiert, und er gilt als ein Wanderer zwischen den Kulturen. Jirō Taniguchi wurde am 14. August 1947 in der Präfektur Tottori, Japan, geboren. Seine klare Erzählweise stammt aus seinen Anfangstagen als Assistent, wo er durch seinen Lehrer Kyota Ishikawa beeinflusst wurde. Seine erste eigene Arbeit erschien 1972 mit dem Manga Kareta Heya, der im Manga-Magazin Young Comics abgedruckt wurde. Der Autor hat seine Erlebnisse aus diesem Zeitabschnitt 36 Jahre später in dem semi-autobiographischen Gekiga Fuyu no dōbutsuen (dt. Ein Zoo im Winter; Carlsen 2010) verarbeitet. Darin wird der Werdegang eines jungen Manga-Zeichners als Assistent erzählt. Ab 1974 arbeitete er gemeinsam mit dem Journalisten Natsuo Sekikawa an Kriminalerzählungen. Im selben Jahr wurde er bereits das erste Mal für den Shogakukan-Manga-Preis nominiert. Zu Beginn der 1980er Jahre schuf er mit dem Szenarist Carib Marley mehrere Boxergeschichten. Außerdem zeichnete er auch SF- und Samurai-Mangas.
Erst durch die Auseinandersetzung mit dem franko-belgischen Comic verabschiedete sich Taniguchi von diesen harten Genre-Mangas. Inspiriert von Zeichnern wie Moebius oder François Schuiten zeichnete er fortan vor allem realistische Darstellungen von der Natur und den Menschen, Geschichten, die erwachsene Leser ansprechen sollten. Nicht mehr die äußere Handlung, sondern das Innenleben der Protagonisten rückte stärker in den Vordergrund. Taniguchi übertrug den franko-belgischen Fokus auf ein einzelnes Panel auf den Manga.
Im Gegensatz zu den sorgfältigen franko-belgischen Panelkompositionen sind Mangas auf sequenziell angelegte spontane Bilder ausgerichtet. Nicht Ein_Zoo_im_Winterdynamische Sequenzen oder ein hohes Erzähltempo dominierten nun den Erzählduktus, sondern ein strukturierter Bildaufbau und die Betonung des Einzelbildes. In den 1980er Jahren arbeitete Taniguchi mit verschiedenen Autoren, weiterhin aber auch noch mit Natsuo Sekikawa. Mit Botchan no Jidai (1987) schuf Taniguchi eine 5-teilige Serie über Natsume Soseki, einen Schriftsteller der Meiji-Zeit, und das intellektuelle Leben in Japan gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Der japanische Zeichner arbeitete ab 1986 an dieser Serie und erhielt mit Erscheinen des fünften Bandes im Jahr 1998 den Osamu-Tezuka-Culture-Award.
Neben weiteren Genre-Arbeiten wie NY no Benkei (1994) schlug Taniguchi in den 1990er Jahren einen persönlichen Ton an. In dieser Phase entstanden die für ihn typisch gewordenen, ruhigen Arbeiten, die oftmals im Alltag stattfinden.
So veröffentlichte er einfühlsame Werke wie Inu o Kau (dt. Träume vom Glück; Carlsen 2008), Aruku Hito (dt. Der spazierende Mann; Carlsen 2009), Keyaki no Ki (dt. Von der Natur des Menschen; Carlsen 2009), Chichi no Koyomi (dt. Die Sicht der Dinge; Carlsen 2008) oder Sousaku Sha (dt. Die Stadt und das Mädchen; schreiber&leser 2007). Für Haruka Na Machi He (dt. Vertraute Fremde; Carlsen 2007/Süddeutsche Zeitung 2011) wurde er 2003 auf dem internationalen Comicfestival in Angoulême als bester Szenarist ausgezeichnet. Der enorme Erfolg dieses Gekigas in Frankreich führte 2010 zu einer gleichnamigen Kinoadaption durch den Regisseur Sam Gabarski. Taniguchi hat im Film sogar einen Cameo-Auftritt. Vertraute Fremde wurde auch in Deutschland zweimal ausgezeichnet: als "Comic des Jahres 2007" und 2008 mit dem Max-und-Moritz-Preis als "Bester Manga".
2000 kam es zur Zusammenarbeit von Moebius und Taniguchi. Nach einem Szenario des Franzosen zeichnete der Mangaka Ikaru. Die deutschen Fans müssen auf dieses Zusammentreffen der Comic-Giganten aber noch warten. Die Rechte für Ikaru sind für Deutschland bereits seit langem an Carlsen vergeben, aber die Abstimmung mit den Lizenzgebern dauert noch an.

Auszug_von_Vertraute_Fremde

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Special vom: 23.12.2011
Autor dieses Specials: Marco Behringer
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F.W. Tempel
Erich Ohser: Der Schöpfer von Vater und Sohn
Zuletzt gefragt: Serge Carrère
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