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Interview mit LURCHI-Zeichnerin Brigitte Smith

BS    Hallo?

JR    Grüß Gott, Frau Smith. Johannes Rüster hier.

BS    Sind sie pünktlich!

JR    Ich hatte ja was wiedergutzumachen…

BS    Nein, nein, überhaupt nicht. Ist ja eine flexible Sache, mit dem Telefon… Dann erzählen sie mir doch einmal, was sie da vorhaben.

JR    Die Sache ist eigentlich recht einfach. Ich gehe hier einer meiner Jugendlieben nach und habe gottseidank ein Jahrbuch gefunden, dass Interesse hat, mal so eine Gesamtdarstellung zu drucken.

BS    Von dem Lurchi…

JR    Genau. Und weil ich da eben auch auf sie gestoßen bin, bzw. die drei Hefte, die sie da gemacht haben, für eine außerordentlich spannende Sache halte, dachte ich mir: Wenn ich schon die Möglichkeit habe, jemand aus erster Hand dazu zu befragen, sollte ich die doch ergreifen und war dann so dreist, mich einfach an sie zu wenden.

BS    Das ist doch schön!

JR    Eben, finde ich auch. Ich habe jetzt natürlich den großen Vorteil, dass ich ihre Hefte gleichzeitig mit den Augen des Kindes und des, sagen wir einmal, Literaturwissenschaftlers, an die Sache heranzugehen.

BS    Dann werde ich ihnen einfach mal erzählen, wie es dazu kam…

JR    Das wäre auch meine erste Frage gewesen.

BS    Ich habe elf Jahre im Ausland gelebt, die letzten sieben Jahre in San Francisco, und habe da natürlich eine andere Farbskala gehabt, wie sie ja sehen. Das war also zur Hippie-Zeit, obwohl ich natürlich keiner war, oder wenigstens ein harmloser (lacht), weil meine Kinder zu der Zeit alle Babys waren, und es war schon ein wenig eine psychedelic atmosphere, …

JR    Das ist unverkennbar. Die Yellow Submarine leuchtet ja aus jedem Panel.

BS    Ja, das ist die Zeit halt gewesen. Vor einigen Jahren hat mich jemand mal ausfindig gemacht, das heißt den Zeichner, nicht meine Person, und er hat über den Lurchi geschrieben, das muss jemand gemacht haben, der LSD genommen hatte. Lacht. Aber ich habe nie irgendwelche Drogen genommen… Es war halt die Zeot, die einen beeinflusst hat. Also gut.
    Wir kamen nach Deutschland. Mein Mann ist afrikanischer Amerikaner und Indianer, und es war hier für uns schwierig, eine Existenz aufzubauen, mit zwei kleinen Mädchen. Dann habe ich durch Zufall gehört, dass Salamander einen Wettbewerb ausgeschrieben hat, für den neuen Lurchi. Und den habe ich gewonnen. Und ich habe denen eben auch vorgeschlagen, dass ich meiner Ansicht nach Gewalt, also wie bisher der Lurchi dargestellt war… das war ja vom psychologischen her bisher eben so, dass er jemanden niedertrat mit seinen tollen Schuhen. Ich habe den Standpunkt vertreten, dass die Zeit in der Gewalt verherrlicht wird, für unsere Kinder in dieser Generation vorbei ist. Es geht nur noch um gesunden Wettbewerb. Er soll ruhig immer gewinnen, mit seinen wunderbaren Salamanderschuhen, aber weil er schneller ist, nicht weil er jemanden tritt. Das war mir ganz wichtig. Und in dem Sinne… ich habe ja auch die Gedichte machen müssen.

JR    Das ist interessant. Weil anfangs, zumindest in den Fünfzigern und Sechzigern, gab es ja einen eigenen Texter.

BS    Bestimmt. Ich habe jedenfalls alles machen müssen. Die Idee, das Gedicht und die Zeichnungen.

JR    Das heißt, an die Reisegeschichten, die es vorher gab, anzuknüpfen, war auch ihre Idee.

BS    Ja. Da konnte ich dabei auch gleichzeitig, die Öffnung, die ich von Amerika gewohnt war, die ich mir in der Welt wünsche, in die Geschichte einbringen. Dass man Indianer nicht nur schrecklich findet, dass man aus dem Fremden lernt.

JR    Das ist ja ein klarer Kontrast zu den Heften vorher. Ein Heft ein paar Ausgaben vorher heißt »Lurchi bei den Wilden« (BS lacht) und dann kann man hier eine sehr differenzierte Darstellung finden, ein deutlicher Bruch. Das erste ihrer Hefte beschreibt ja die Reise nach China. Das darin so etwas wie feministische Aspekte auftauchen, war ja auch etwas ganz neues.

BS    Ich weiß nicht, ob man das feministisch nennen soll. Ich bin jedenfalls ein unabhängiger weiblicher Mensch. Lacht. Haben sie einmal meine Website angeschaut? Da sehen sie ja, dass ich [heute] als freie Malerin arbeite. Und da sind auch Skulpturen, rote Frauen, die heißen "Hüterinnen des unabhängigen Denkens". Also, mir ist es sowohl von der Erziehung als von meinem Leben mit einem andersrassigen Menschen her, von der Philosophie her wichtig, dass Grenzen aufgebrochen werden. Dass wir alle Menschen sind und nicht andere verteufeln, weil sie gepunktet sind, oder gestreift oder weiß der Teufel.

JR    Mir ist aufgefallen, diese Grenzüberschreitungen finden sich eben auch in den Heften hier. Gerade das China-Heft am Anfang, der Übergang von der Volksrepublik zum kaiserlichen China (BS lacht) oder die Sache mit den abgebundenen Füßen, dass hier so der Gesundheitsaspekt von Schuhen betont wurde war ja neu.

BS    Ja. Um das Geschichtliche schnell zu beenden: Bei Salamander waren die ja hochzufrieden. Und dann kam ein neuer Direktor, ein Werbemensch. Und der wollte, dass ich's so mache wie früher. Und dann war das sehr unangenehm. Sie haben mir an einem Freitag gesagt, sagen sie uns bis Montag Bescheid. Sie kennen das ja aus Amerika: Wenn sie's so machen wie vorher, können sie den Job behalten, sonst nicht. Und da ich neu in Deutschland war, nach so vielen Jahren der Abwesenheit, mit drei kleinen Kindern und einem nicht deutsch sprechenden Mann, können sie sich vorstellen, unter welchem Druck ich stand.

JR    Natürlich.

BS    Und dann habe ich die am Montag angerufen und gesagt, ich kann es nicht anders machen. Jedenfalls kann ich nicht die Philosophie verändern. Denn diese gewaltträchtige Philosophie, wie vorher da war, die kann ich nicht akzeptieren. Ja, damit hatte ich den Job verloren und musste möglichst schnell wieder andere Jobs finden und habe dann auf der Buchmesse in Frankfurt sehr viele Kinderbuchillustrationen bekommen und habe inzwischen 120 Kinderbücher illustriert. Aber jetzt lebe ich eigentlich nur von meinen Bildern. Das ist das historische – jetzt müssen sie mich weiter befragen… (lacht)

JR    Da möchte ich doch kurz beim Historischen bleiben… Kannten sie eigentlich ihren Vorgänger?

BS    Nein, ich kannte niemanden. Nur den Werbeleiter.

JR    Und sie wissen auch nicht, wer nach ihnen übernmmen hat?

lurchi



BS    Keine Ahnung.

JR    Es ist ja erstaunlich – später hatte man Leute gefunden, die eine relativ klare Linie fahren, aber das Heft    direkt nach ihren drei macht so den Eindruck, als ob man das schnell irgendjemand hat machen lassen.

BS    Ja, das ist nicht gut gezeichnet.

JR    Das passt nirgendwo mit rein.

BS    Nein.

JR    Wenn sie sagen, sie haben die Texte geschrieben, haben sie dann auch den Textsatz gemacht? Also die kalligraphische Seite?

BS    Nein, das ist im Druck entstanden. Ich habe lediglich das Manuskript abgeliefert und alle Zeichnungen.

JR    Ich frage, weil die lateinische Ausgangsschrift zu ihren expressiven Bildern noch in einem viel stärkeren Kontrast steht. Die Bilder und die Fibelschrift – das bricht bei ihnen doch viel stärker auseinander als bei ihrem eher naturalistischen Vorgänger.

BS    Jaja – und nachher…

JR    Hatten sie also kein Interesse, keine Möglichkeit, das zu ändern?

BS    Kein Mitspracherecht. Das war ist ein Riesenbetrieb gewesen. Ich habe lediglich… Also ich musste jeweils eine neue Idee präsentieren, kurz umreißen, und dann habe ich die ganze Arbeit, die Zeichnungen mit Gedicht, präsentiert. Und die waren immer sehr zufrieden, bis ein neuer Werbeleiter kam.

JR    Der dann beschlossen hat, zur Corporate Identity passt das alte viel besser.

BS    Ja, ja. Da habe ich noch ein Gutachten gemacht, habe ich ihm noch beweisen wollen, dass die heutige Pädagogik nach einer so schrecklichen Geschichte, die wir in Deutschland durchgemacht haben, und so weiter, dass die heutigen Kinder anders erzogen werden und die Gewalttat nicht mehr schick ist (lacht) sondern eben Wettbewerb, aber das hat nichts genützt.

JR    Und dann durfte sich jemand anders daran versuchen.

BS    Genau.

JR    Wenn ich mal kurz auf Ihre drei Hefte eingehen kann: Wie gesagt, beim ersten ist die Sache mit den Überschreitungen ganz klar, auch die Flugmetaphorik die sie da drin haben…

BS    Ich weiß das gar nicht mehr genau. Wo habe ich…?

JR    Es ist schon auffällig: An die Schauplätze kommt man immer auf dem Rücken eines Vogels…

BS    Ach, das ist ja schön! (lacht)

JR    Und beim zweiten Heft mit den Indianern, von ihrem Leben her ist ja klar, dass sich das als Schauplatz angeboten hat ¬– aber da ist auch wieder ein phantastisches Element. Gut, laufende, sprechende Lurche sind an sich nichts realistisches…

BS    Eben, eben! Deshalb dachte ich ja, ich habe die Freiheit!

JR    Es fällt aber auf, dass das in den ersten beiden Heften viel stärker ist, die Zeitreise und…

BS    Das muss ich mir direkt noch einmal angucken…

JR    … der Uhu, der dritte aber von den Zeichnungen her fast noch expressiver ist, mit diesem ganzseitigen Splash Panel mit dem Löwen, das ist sehr sehr schön, aber dann eben gleichzeitig die realistischste Botschaft mit der Ökologie. Also, dass hier mit den Schuhen das Feuer ausgetreten wird. Sehen sie da eine Entwicklung von der Thematik her? Wie wäre es weitergegangen?

BS    Mein Gott, das würde mir so viel einfallen! Es ist einfach so wichtig, dass sich das Denken verändert in der Welt! Das sehen wir ja jetzt, was überall passiert. Und dass auf der anderen Seite Obama so eine Hoffnung ist für die Welt. Es ist einfach ein Ungleichmaß entstanden durch die Überanhäufung von Reichtum auf der einen Seite und Ausbeutung der Armen auf der anderen Seite. Da wären die heißesten Themen möglich! (lacht) Aber ich hab den Job ja nicht.

JR    Das war ja möglicherweise auch etwas, was den Marketingleiter einer Schuhfirma schlicht überfordert hat.

BS    Wahrscheinlich. Dem ist Philosophie ziemlich wurscht. Aber sehen sie, es ist schon schade. Das wäre ein Forum gewesen für etwas Gutes.

JR    Und es ist ja eigentlich das Interessante an der Figur überhaupt: Diese Ambivalenz, die Kombination von Werbeinstrument aber eben auch völlig klarem künstlerischem Ausdruck. Diese Erzählungen, da waren ja nicht nur sie, auch ihre Kollegen mit großer Ernsthaftigkeit bei der Sache, was man vielleicht bei einem Werbecomic, der heute auf den Markt geworfen würde, nicht so ohne weiteres sehen würde.

BS    Nein. Wissen sie, es ist ja auch so: Der Lurchi ist ja ein Held. Man muss, wenn man das macht, das ja auch ernst nehmen. Man muss ja dann auch die Kinder ernst nehmen. Für Kinder ist der Lurchi ein Held. Und ich hab auch in allen meinen Kinderbüchern nie Kinder verschaukeln wollen. Es gibt ja Illustratoren, die wahnsinnig witzig und toll, aber am Kind vorbeizeichnen. Das ist dann superschick und stilistisch, aber es ist kalt. Es war mir immer ganz wichtig, dass ich das Kind achte. Und wenn für die Kinder der Lurchi ein Held ist, dann muss ich den Lurchi ja auch ernst nehmen, wenn ich ihn gestalte.

JR    Und auch die, Mythologie ist vielleicht übertrieben, aber die Geschichte, die diese Figur mit sich schleppt, ernst nehmen, aber trotzdem eben wieder vom alten Schema abweichen. Ich habe gerade einen Sammelband vor mir. Wenn ich von ihren Geschichten zwei Seiten zurückblättere, da werden Schwerter gezogen, da werden Burgen erobert, da singt die Loreley (BS lacht), dann kommen ihre drei Hefte, und dann geht's mit der Olympiade weiter.

BS    Also wenn sie ihre Denk- und Schreibarbeit fertig haben, würde ich mich sehr freuen, es zu lesen. Ich würde mich auch sehr freuen, wenn sie dem Salamanderwerk das schicken würden.

JR    Das werde ich auf alle Fälle. Und ich werde sowieso, wenn ich sie wörtlich zitiere, diese Teile ihnen vorab schicken. Dass sie sich da nicht entstellt wieder finden!

BS     Nein! (lacht) Vielen Dank! Ich freue mich, dass sie das machen, weil damals war ich schon, also abgesehen von der existenziellen Katastrophe, die die Leute mir zugefügt hatten, denn stellen sie sich mal vor: Man kommt nach elf Jahre wieder ins Heimatland zurück und dann gewinnt man einen Wettbewerb und dann geht das alles gut und alle sind zufrieden und dann von einem Freitag bis auf den nächsten Montag ist alles vorbei! Das war schon brutal. Aber abgesehen davon: In allen meinen Arbeiten, egal jetzt ob es freie künstlerische Arbeiten sind oder Kinderbücher, die ich selbst geschrieben habe, es ist immer das Bemühen, etwas zum Guten zu verändern.

JR    Das ist in den drei Heften auch sehr, sehr stark spürbar. Wenn ich mir den Schluss des dritten noch einmal anschaue, wird es ja völlig klar. Wo sich die Tierwelt gegen die Ausbeutung durch die Menschen erhebt…

BS    Das muss ich wirklich noch mal angucken! Ich danke ihnen! Wenn noch Fragen offen sind in ihrer Arbeit, fragen sie einfach.

JR    Ich danke Ihnen – und eine allerletzte Frage habe ich noch: Werden sie eigentlich heute noch gelegentlich auf die Arbeit angesprochen?

BS    Nein. Ach, eigentlich nur das eine Mal war das witzig, dass jemand dachte, ohne meinen Namen pder meine Person zu kennen, dass dieser Mensch LSD genommen haben müsste (lacht), der diese drei Hefte gezeichnet hat. Ich dachte immer, ich hätte vier gezeichnet… Nein, ich werde nicht angesprochen.

JR    Dann freue ich mich, dass ich es gemacht habe.

BS    Das war auch sehr nett.

JR    Hat mich gefreut, mit ihnen zu sprechen.

BS    Dann hören wir voneinander. Auf Wiederhören.

JR    Auf Wiederhören.



Special vom: 03.05.2011
Autor dieses Specials: Johannes Rüster
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