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Haarmann – eine deutsche Geschichte
Mit der Geschichte der Verbrechen von Fritz Haarmann und seiner Überführung legt Szenarist Peer Meter nach mehr als 20 Jahren endlich ein Werk vor, das erst mithilfe von Zeichnerin Isabel Kreitz vollendet werden konnte. Der Serienmörder, der sich aufgrund seiner verdeckten Tätigkeit als Spitzel für die hannoversche Polizei seine Opfer in den Wartesälen des Bahnhofs fast ungehindert unter jungen, allein reisenden Männern aussuchen konnte, gehört noch heute, fast 90 Jahre später, zu den abscheulichsten Verbrechern in Deutschland. Doch auch die Geschichte hinter der Entstehung von Haarmann liest sich spannend …

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Die Präsentation eines „deutschen Monats“ des Carlsen Verlags im Juni 1990 auf dem Comic-Salon in Erlangen war für Peer Meter und Christian Gorny der Startschuss eines unerwarteten Medieninteresses. Denn anders als die anderen in diesem besonderen Monat vorgestellten Neuheiten des Hamburger Verlags, die ausnahmslos von deutschsprachigen Autoren und Zeichnern stammten, war „der spektakulärste deutsche Kriminalfall“, wie Andreas C. Knigge den ersten Band der Haarmann-Trilogie von Gorny/Meter benannte, keineswegs als einer der Headliner des Festivals auserkoren. Daran erinnert sich auch Peer Meter noch recht gut:

„Als wir damals von Carlsen zum Comic-Salon nach Erlangen eingeladen wurden, haben wir wirklich erwartet, Prügel für unseren Haarmann zu beziehen. So etwas Absonderliches gab es unter den in Deutschland veröffentlichten Comics damals einfach nicht. Aber es wurde eine Sensation, und wir waren völlig erstaunt und überrascht darüber, dass die Leute so begeistert reagierten.“

Tatsächlich entsprach der im Carlsen Verlag erschienene erste Band einer geplanten Haarmann-Trilogie im Juni 1990 keineswegs den Erwartungen des damals hauptsächlich auf klassische europäische und amerikanische Inhalte spezialisierten Herausgebers. Christian Gorny, der 1960 in Oldenburg geboren wurde, damals bereits in L’Echo des Savanes und beim Pariser Verlag Futuropolis veröffentlichte sowie für Illustrationsaufträge vom Zeitmagazin und Stern gebucht worden war, hatte das Szenario von Peer  Meter mit einem expressiven, extrem kantigen und von scharfen Licht- und Schatteneffekten geprägten Stil umgesetzt, der auf ein neues, ja mutiges Bewusstsein deutschsprachiger Comic-Künstler hindeutete. Doch dieser Eindruck basierte hauptsächlich auf einem Zufall, wie der 1956 in Bremen geborene Szenarist Peer Meter sich heute erinnert: „Man muss dazu sagen, dass das erste Album damals unter einem ungeheuren Zeitdruck entstanden war. Das hätte Christian eigentlich nicht machen dürfen. Und weil er so schnell sein musste, hat er auch großflächig gearbeitet, und es hat trotzdem funktioniert! Doch diesen Stil hat er danach nicht wieder hinbekommen.“ Denn leider entpuppte sich die von Kritik und anderen Sehgewohnheiten keineswegs abgeneigten Lesern so begeistert aufgenommene Tour-de-Force des ersten Haarmann-Bandes von 1990 allzu schnell als Strohfeuer.

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Und entgegen der von Christian Gorny noch im Juli 1990 in einem Interview geäußerten Begeisterung über die Resonanz zu seinem ersten Album, das „in Bremen [läuft] wie
bekloppt, klar, das ist eben Lokalpatriotismus, aber auch in Hamburg wird es wie die Alben von Chris [Scheuer] und Matthias [Schultheiß] gut verkauft, und das finde ich schon beeindruckend“, konnte er dem Erwartungsdruck nicht standhalten. "Der unerwartete Erfolg hatte offensichtlich keine günstige Auswirkung auf Christian", wie Peer Meter heute rückblickend feststellt. Die Folge war, dass sich Gorny mit der Fertigstellung des zweiten Bandes, den der Carlsen Verlag zudem mit unverhohlenem Optimismus für Februar 1991 angekündigt hatte, immer mehr Zeit ließ, und bald darauf Deutschland ganz den Rücken zukehrte, um in seiner Wahlheimat London am Erfolg der britischen Kollegen von der Rekrutierung durch die amerikanischen Verlage Marvel und DC zu partizipieren, die für damalige und europäische Verhältnisse fantastische Honorare boten.

Da war das Verhältnis zwischen Szenarist und Zeichner aber ohnehin schon so belastet, dass eine Fortsetzung undenkbar schien: "Christian begann damals ein recht seltsames Benehmen an den Tag zu legen. Es erschienen sogar Arbeiten von uns in Zeitschriften, ohne dass ich als Autor genannt wurde. Er brauchte das wohl irgendwie." Peer Meter war damals in der Tat professionelleres Arbeiten gewohnt, denn bereits 1988 war er als Autor eines auf den Verhören der Giftmörderin Gesche Gottfried basierenden Theaterstücks in Erscheinung getreten, das bald darauf auch als Buch erschien und 2010 in Zusammenarbeit mit der Zeichnerin Barbara Yelin für den Comic Gift adaptiert wurde.

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Alle Zitate stammen aus Gesprächen, die Volker Hamann 1990 und 2010 mit den Autoren und Zeichnern führte.


Special vom: 22.11.2010
Autor dieses Specials: Volker Hamann
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Editorial von Georg F.W. Tempel
NICO - Atomium Express
Ein Interview mit Bodo Birk
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