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Ein Interview mit Bodo Birk
Aufgrund des ZACK-Editorials in Ausgabe #9/2010 zum Comic Salon in Erlangen wurde im Internet im Comicforum www.comicforum.de eine hitzige Diskussion losgetreten, in denen die Macher des Salons nicht zu Wort kamen. Deshalb geben wir Bodo Birk vom Kulturamt Erlangen die Gelegenheit, seine Sicht der Dinge zu äußern. Hier ein Auszug des Interviews, das die Zack-Redaktion in seiner Gesamtheit auf www.zack-magazin.de zur Verfügung stellen wird.

Um für die meisten Leser einen Vergleich zu haben, worüber hier diskutiert wird: Wie sehen die Besucherzahlen von Erlangen 2010 aus? Wie sah die Verlagsbeteiligung 2010 aus? Wer ist noch in Erlangen vertreten gewesen? Wie war die Altersstruktur des Kernpublikums? Gab es 2010 schwarze Zahlen?


Der Internationale Comic-Salon Erlangen hat in diesem Jahr offiziell 25.000 Besucher gemeldet. Insofern ist Georg Tempels Aussage von „sinkenden Besucherzahlen“ zumindest in Bezug auf Erlangen nicht richtig. Sie sind derzeit relativ stabil. Im Jahr 2006 – das Sommermärchen-Jahr – hatten wir mit 20.000 Besuchern einen kleinen Einbruch. In diesem Jahr hatten wir gute drei erste Tage, der Sonntag hätte besser sein können. Die Besucherstruktur ist in Erlangen inzwischen erfreulich durchmischt: Nach wie vor stellt die klassische Szene die Mehrheit, darunter mischen sich aber inzwischen immer mehr Frauen, jüngere Leser der Graphic Novels, Kinder und Jugendliche sowie ein allgemein kunst- und kulturinteressiertes Publikum, das vor allem wegen der Ausstellungen zum Salon kommt. Auch das „Junge Forum“ – der Bereich mit den Hochschulen – zieht inzwischen ein eigenes, eher kunstorientiertes Publikum an. Ausbaufähig ist nach wie vor das Manga-Publikum. Als es vor vier Jahren mit Unterstützung von Ehapa gelungen ist, Gosho Aoyama in Erlangen zu präsentieren, konnte man sehen, was grundsätzlich möglich wäre. Die Ausstellerzahlen sind in Erlangen seit Jahren weitgehend stabil und spiegeln die Entwicklungen auf dem deutschen Comic-Markt wider. Verschwindende Aussteller werden glücklicherweise durch neue Verlage oder positive Entwicklungen bestehender Verlage ausgeglichen. Soweit ich das einschätzen kann, gibt es kaum einen deutschen Comic-Verlag, der in Erlangen nicht vertreten ist, den reinen Manga-Bereich einmal ausgeklammert. Natürlich bedauern wir es, dass es uns in diesem Jahr nicht gelungen ist, Tokyopop wieder von Erlangen zu überzeugen, wo wir dem Verlag vor zwei Jahren mit der Präsentation von Benjamin doch zu einem viel beachteten Messeauftritt verholfen hatten. Aber natürlich respektieren wir die unternehmerische Entscheidung.

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Wachstumspotenzial sehen wir – auch wenn viele in der Szene das ungern hören – im Graphic-Novel-Bereich. Vielleicht wird zukünftig der eine oder andere Literaturverlag den Weg nach Erlangen finden, zumindest einige Scouts waren in diesem Jahr schon unterwegs. Neben Verlagen zählen in Erlangen auch Händler aus dem Comic- und Merchandising-Segment, Ausbildungsinstitute, Vereine und Institutionen sowie Einzelkünstler und Fanzines zu den Ausstellern, allerdings in erster Linie aus dem deutschsprachigen Raum. Internationale Aussteller gibt es allerdings selbst beim größten Comic-Festival Europas in Angoulême nur wenige in einem nicht öffentlich zugänglichen Bereich. Natürlich würden wir uns, wie Georg Tempel in seinem Editorial auch, in Erlangen mehr aufwändige und eindrucksvoll inszenierte Stände wünschen. Bekanntlich ist das aber nicht die Aufgabe des Veranstalters. Hilfestellungen bieten wir aber immer an.

Eine Kulturveranstaltung wie der Internationale Comic-Salon mit seinen Begleitveranstaltungen, den Ausstellungen, dem Max-und-Moritz-Preis usw. kann niemals schwarze Zahlen schreiben. Der Salon kostete in diesem Jahr etwa 450.000 Euro, davon wurden 250.000 von der Stadt Erlangen übernommen. Etwas weniger als die Hälfte kann durch Einnahmen gedeckt werden.

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Georg Tempels Editorial beabsichtigte ja ganz bewusst, eine Diskussion über Erlangen und andere Festivals in Gang zu bringen und auszuloten, was denn möglich wäre, wenn bisherige Strukturen auf den Festivals verändert oder ergänzt werden, um damit mehr Besucher anzuziehen. U.a. wird vorgeschlagen, angelehnt an San Diego, z.B. Comic-Film-Produzenten oder Schauspieler nach Erlangen einzuladen, um dort ihre Produkte zu präsentieren.

Dem Salon wurde in der Vergangenheit immer mal wieder vorgeworfen, sein Programm sei zu weit vom Markt entfernt. Wenn das mit der Forderung nach „mehr Kommerz“ gemeint ist, kann man darüber diskutieren. Wir haben uns in den letzten Jahren in den Ausstellungen und im Begleitprogramm fast ausschließlich an aktuellen Themen des Markts, an Neuerscheinungen und Trends orientiert. In diesem Jahr haben wir im großen Saal fünf Graphic-Novel-Projekte präsentiert, von denen eines bereits erfolgreich publiziert war und ein weiteres kurz vor der Veröffentlichung in einem großen Publikumsverlag stand. Außerdem haben wir eine große Western-Klassiker-Ausstellung produziert, weil wir beobachtet haben, dass der Western im Comic eine Renaissance erlebt. Wir haben uns in mehreren Ausstellungen mit dem Thema Zeitungscomics beschäftigt, weil die Zeitungen für die deutschen Zeichner inzwischen wieder ein kommerziell (!) wichtiges Betätigungsfeld geworden sind. Wir haben Jens Harders Alpha eine Bühne geboten und unseren Teil zum großen Medieninteresse an diesem Buch beigetragen; als „Dankeschön“ an einen unserer wichtigsten Aussteller haben wir Milo Manara eine kleine Ausstellung gewidmet. Im Comic-Forum werden die Kollegen von Cross Cult zurecht dafür gelobt, wie es ihnen gelungen ist, das Debut-Album Jakob am deutschen Markt zu positionieren. Hat die Jakob-Ausstellung im Zentrum des Salons dazu vielleicht auch einen kleinen Teil beigetragen?

Comic-Blogs, Mecki, Duckomenta ... Ich glaube, der Internationale Comic-Salon war in seiner Geschichte noch nie so nah am Markt wie in diesem Jahr! Das alles übrigens mit Steuergeldern. Alle diese Ausstellungen hat der Salon bezahlt, ohne dafür die Verlage in Anspruch zu nehmen. Georg Tempels Vorschlag, nach dem Vorbild San Diegos auch in Erlangen die Filmwirtschaft in die Messe zu integrieren, geht meiner Meinung nach an den deutschen Verhältnissen vorbei. Wo sind denn in Deutschland die großen kommerziellen Filmproduzenten, die sich mit comicnahen Stoffen beschäftigen? Bei den Vorbereitungen zum Filmprogramm des diesjährigen Salons mussten wir sogar der zuständigen Mitarbeiterin beim deutschen Verleih erst einmal erklären, dass die europäische Produktion Vertraute Fremde auf einer Comic- bzw. Manga-Vorlage beruht ...

Und wer sagt denn, dass Erlangen in den letzten Jahren nicht viel Presse gehabt hätte? Unser Pressespiegel füllt mehrere Leitz-Ordner.

Die Meinungen zum aktuellen Erlangen-Konzept gehen, wie bei vielen Dingen, auch im Comic-Forum auseinander. Die einen finden alles sehr O.K., andere finden, dass es vieles zu verbessern gibt. Die Letzteren glauben aber auch, dass der Comic-Salon aus Gründen der speziellen organisatorischen Voraussetzungen mit einer Stadt als Veranstalter nicht der beste Ort ist, ein modernes kommerzielles Festival auf die Beine zu stellen. Wie sehen Sie das?

Ich möchte keineswegs den Eindruck erwecken, dass ich der Auffassung wäre, dass es beim Salon nichts zu verbessern gäbe. Im Gegenteil. Und natürlich würden wir auch gerne noch ein paar Tausend Besucher mehr erreichen und die Präsenz des Salons in der breiten Öffentlichkeit noch weiter forcieren. Nicht als Selbstzweck übrigens, sondern um die deutsche Comicbranche im gemeinsamen Interesse voranzubringen. Allerdings sollten wir auch die Kirche im Dorf lassen: Hunderttausende von Besuchern gibt der deutsche Comic-Markt nicht her und eine Veranstaltung dieser Größenordnung wäre auch von einem kleinen Team von fünf Leuten in ein paar Monaten nicht zu organisieren. Außerdem ist es völlig richtig, dass eine Kommune für eine rein kommerzielle Messe nicht der richtige Veranstalter ist. Die Aufgabe kommunaler Kulturarbeit ist es, die Steuergelder zur Förderung von Kunst und Kultur einzusetzen und den Bildungsauftrag der öffentlichen Hand einzulösen. Vor diesem Hintergrund ist der Salon zu bewerten.

Wobei ich die in der Frage formulierte Zuschreibung, kommerziell sei modern, weniger kommerziell im Umkehrschluss also altmodisch, nicht unwidersprochen stehen lassen kann. Im Gegenteil: Die Kunst- und Kulturgeschichte hat ja immer wieder gezeigt, dass gerade die modernen, innovativen Ansätze Zeit gebraucht haben, sich durchzusetzen.  Außerdem glaube ich, dass die angeführte Argumentation aus dem Forum auf einer sehr eingeschränkten Wahrnehmung dessen beruht, was sich derzeit auf dem deutschen Comic-Markt abspielt. Die Zeiten, in denen die klassischen Comic-Themen mühelos die Massen erreicht haben, sind doch längst vorbei, während mit Publikationen wie „Gift“, „Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens“ usw. durchaus Umsatz gemacht werden kann. Es ist also alles etwas differenzierter geworden.

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Special vom: 22.11.2010
Autor dieses Specials: Michael Hüster
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Haarmann – eine deutsche Geschichte
Editorial von Georg F.W. Tempel
NICO - Atomium Express
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