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Editorial von Georg F.W. Tempel
Liebe Leser,

mein Editorial in der ZACK-Ausgabe 9/2010, in dem ich die jährliche Comic Convention in San Diego mit dem Comic-Salon Erlangen vergleiche und mögliche Defizite des deutschen Comic-Events aufzeige und das unter www.comicforum.de im ZACK-Forum zur Diskussion gestellt wurde, hat für erheblich Furore gesorgt. Neben der hitzigen Debatte, ob eine medienübergreifende Veranstaltung in Erlangen überhaupt möglich wäre, kam es auch zu einer Grundsatzdiskussion zu Comicalben vs. Graphic Novel und
welche Auswirkungen die Fokussierung bestimmter Verlage auf Graphic Novels und deren Bewerbung unter diesem Terminus auf die deutsche Comiclandschaft und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung haben könnte.

Zur Diskussion Erlangen/San Diego werden wir den Macher des Comic Salons, Bodo Birk, in der kommenden Ausgabe von ZACK (#12/2010) zu Wort kommen lassen und ihm Gelegenheit geben, seine Sicht der Dinge darzulegen.

Zum Thema Graphic Novel möchte ich aus der US-Ausgabe der Financial Times vom 25. September 2010 zitieren, in der unter der Rubrik Book Reviews eine komplette Seite den Neuerscheinungen The Unwritten von Mike Carey und Peter Cross, Revolver von Matt Kindt, X’ed out von Charles Burns und Air von G Willow Wilson und MK Parker gewidmet war: „Das Lesen einer Graphic Novel ist ein komplexer wie auch ein instinktiver Akt. Der Leser ist gezwungen, verschiedene Erzählabläufe zu definieren – Sprechblasen, die stille Kommunikation bildlicher Darstellung und szenischer Arrangements, die Wiederholung visueller Symbole, die oft als narrative Kommentare genutzt werden – und sie gleichzeitig als kontinuierliche Sequenz zu erkennen, die den Zeitablauf darstellt. Eine Aufgabe, die ohne nachzudenken geschieht und doch ein komplizierter Akt ist, bei dem man sich zwischen dem Konkreten und dem Abstrakten bewegen muss.“



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Georg F.W. Tempel auf der Buchmesse 2009, rechts Thomas Dräger

Möglicherweise ist die mittlerweile jahrzehntelange Entwicklung der Comics vom Lesestoff für Kinder zum Erwachsenenmedium in Ländern wie den USA, Frankreich oder Belgien und die daraus resultierende Schulung der Rezeption von Bildergeschichten der Grund für die viel größere Akzeptanz der sog. Neunten Kunst in diesen Ländern. Deutschland mag zwar Exportweltmeister in Sachen Wirtschaft sein, in Fragen Comics war und ist es fast ausschließlich Importland, das mit der amerikanischen Lesewelt der Disney-Comics und der italienischen und französischen der frühen Abenteuercomics aufgewachsen ist und sich auch heute noch sehr stark an diesen Vorbildern orientiert. So fühlt sich ein Zeichner von Funny-Comics doch unglaublich geehrt, wenn man ihn mit André Franquin vergleicht. Niemand würde auf die Idee kommen, sein Werk in Relation zu Wilhelm Buschs Zeichnungen zu setzen.

In der Book Review der New York Times vom 26. September 2010 wird der sechste Band der Serie Scott Pilgrim von Bryan Lee O’Malley auf einer kompletten Seite vorgestellt. Der Zeichenstil wird lobend als „manga-inflected“ beschrieben und mit Rumiko Takahashis Manga Ranma ½ verglichen. Als Fazit der positiven Rezension fordert der Autor den Leser auf, an G.T.A. Toronto: Grand Theft Adulthood zu denken, um den Kern des Comics zu beschreiben. Da stellt sich mir die Frage, ob sowohl der Rezensent wie auch der Leser der vergleichbaren F.A.Z. oder Die Welt überhaupt wüssten, dass es sich zum einen um einen Manga und zum anderen um ein PC-Spiel handelt?

Auch darin liegt die Crux der Ablehnung gegenüber Comics in Deutschland: die Angst vor populärer und möglicherweise unintelligenter Unterhaltung. In diesem Sinne!

Georg F.W. Tempel
Chefredaktion


Special vom: 24.10.2010
Autor dieses Specials: Georg F.W. Tempel
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Der Mann von Neuengland
Walter Trier: Buchillustrator, Werbegrafiker & Pressezeichner
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