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Mit Schirm, Charme und Melone
John Steed als dubioser Partner eines Arztes
1. Staffel, 26 Episoden (1961)

Im United Kingdom gab es bereits Mitte der 50er Jahre einen privaten TV-Sender: ITV. Die Diskussion, die damals geführt wurde, war im Prinzip die gleiche, wie bei uns in den 80er Jahren. BBC hielt seinen Bildungsauftrag hoch, musste aber letztlich doch Konzessionen an die Unterhaltsamkeit machen, während ITV sich mehr traute als der öffentlich rechtliche Sender und hohe Einschaltquoten mit purer Unterhaltung erzielte. Die vielleicht gewagteste, innovativste Produktion von ITV, bzw. der Partneranstalt ABC, war: THE AVENGERS, wie MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE im Original heißt. Prägenden Einfluss auf diese Serie sollte der Kanadier Sidney Newman, Chef der Abteilung Schauspiel bei ABC, ausüben, auch wenn er im Abspann nie genannt wurde. Eines Tages im Jahre 1960 beauftragte ihn Howard Thomas, der Managing Director von ABC, Ideen zu einer neuen Fernsehreihe im Stil der populären Romane von Ian Fleming zu entwickeln (der erste JAMES BOND-Film kam erst zwei Jahre später in die Kinos). Auch Hitchcocks Thriller wurden als Inspiration empfohlen.

Emma_mit_Steedfoto

Newman hatte kurz davor eine konventionelle Krimiserie namens POLICE SURGEON initiiert. Auch wenn sie kein großer Erfolg war, diente sie ihm als Vorbild für die neue Reihe. Da der Hauptdarsteller von POLICE SURGEON, Ian Hendry, trotz allem beim Publikum gut angekommen war, engagierte er ihn erneut als Helden. Wie bei POLICE SURGEON sollte er einen kriminalistisch aktiven Arzt darstellen, der bei der neuen Serie Dr. David Keel hieß. Doch diesmal stand dem Arzt ein schräger Sidekick zur Seite, der moralisch nicht ganz makellose und geheimnisumwitterte Agent John Steed, den Newman gemeinsam mit Leonard White, dem Produzenten der künftigen Serie, einführen wollte. Newman dachte dabei an jemanden, mit dem er bereits in Kanada gut zusammengearbeitet hatte: Patrick Macnee (für Kanada waren Newman und Macnee Fernsehpioniere). Da es in den ersten beiden Folgen darum ging, dass der talentierte Laie Dr. Keel die Killer seiner Verlobten jagt (John Steed unterstützt ihn dabei als Profi), nannte Newman die Serie THE AVENGERS – Die Rächer. Nachdem sie zum Erfolg geriet und das Rachemotiv längst ausgedient hatte, meinte er einmal: „Ich weiß zwar nicht, was er bedeutet, aber es ist ein höllisch guter Titel.“

Der Engländer Macnee hatte schon eine langjährige Schauspielkarriere hinter sich, die ihn und seine Familie mit Müh und Not ernähren konnte. Er war vor einigen Monaten aus Hollywood, wo er u.a. in „Panzerschiff Graf Spee“ spielte, in die Heimat zurückgekehrt und hatte als Produzent einer TV-Doku-Reihe über Winston Churchill endlich eine lukrativere Beschäftigung gefunden. Newmans Angebot kam Macnee also nicht gerade gelegen, zumal der Status eines TV-Seriendarstellers zu der Zeit noch ziemlich unter dem eines Produzenten lag. Um nicht „Nein“ sagen zu müssen, forderte er eine damals unverschämt hohe Gage von 150 Pfund. Newman schluckte zwar, sagte aber zum Erstaunen Macnees „Ja“. Jahre später erfocht Macnees Agent eine zweiprozentige Gewinnbeteiligung an Zweitverwertungen. In einer Zeit in der es zwar Super 8 gab, Video und DVD aber noch in weiter Ferne lagen, konnte man nicht ahnen, dass diese „kleine“ Gewinnbeteiligung Patrick Macnee einmal den Lebensabend beträchtlich versüßen würde.

Die Produktion lief an. Am Anfang hatte THE AVENGERS noch nicht das Konzept, das wir später in den Folgen mit Emma Peel zu sehen bekamen. Es ging um eher konventionelle Kriminalfälle, an die Keel durch seine Tätigkeit als Arzt und motiviert durch die persönliche Tragödie herangeführt wurde. Der von seiner Rolle erfüllte Ian Hendry war laut Macnee mehr als einfach nur Schauspieler. Als ihm einmal ein Drehbuch nicht gefiel, zerriss er es vor den Augen des Autors und machte diesem Dampf, wie er die Dialoge zu schreiben habe.

Macnee lehnte seinen Steed an die Bösewichterrollen an, die er eine Zeit lang in Hollywood gespielt hatte. Steed und Keel traten in Trenchcoats auf und rauchten viel. Irgendwann ließ Newman Macnee zu sich kommen, und meinte lapidar, wenn er sich nicht endlich etwas Spektakuläres für seine Rolle überlegen würde, sei er draußen. Not macht erfinderisch, und so nahmen Macnees Ideen schnell Formen an. Er orientierte sich an seinem Vater, einen Dandy, der an Sir Percy Blakeney aus „Scarlet Pimpernel“ erinnerte. In der Folgezeit wurde Steed in einen maßgeschneiderten Anzug gesteckt und geriet zum modernen King Edward mit Bowler (Melone). Seine Sprechweise passte er seinem Outfit an. Schon vor dem neuen Styling hatte es Macnee abgelehnt, eine Waffe zu tragen, da er der Jugend kein schlechtes Beispiel geben wollte. Er war mehrere Jahr im Krieg gewesen und musste mit ansehen, wie viele seiner Kameraden in Stücke gerissen wurden. Einmal hatte er scherzhaft vorgeschlagen, statt der Waffe einen Schirm zu verwenden. Nun wurde diese Idee tatsächlich aufgegriffen.

Die Produktionsbedingungen zu der Zeit waren unglaublich. Die Szenen wurden kostensparend mit Videokameras aufgenommen. Ein Band dauerte etwa 15 Minuten, und es musste in einem Stück durchgedreht werden. Das war eine gängige Praxis, Patrick Macnee hatte in Kanada bereits intensiv auf diese Weise gearbeitet. Dem Material merkte man den Live-Charakter natürlich an, z.B. wenn die Kamera Mühe hatte, einem Darsteller zu folgen oder ihn sogar aus den Augen verlor. Dabei mussten sich die Schauspieler für eine neue Szene – wie beim Theater – schnell umziehen, während eine andere Szene weitergedreht wurde. Diese billige Art der Produktion stellte hohe Anforderungen an die Schauspieler, da nichts korrigiert werden konnte. Im ungünstigsten Fall musste eine 15minütige Szene komplett  wiederholt werden. Das wollte man natürlich mit allen Mitteln verhindern. Außenaufnahmen und komplizierte Einstellungen produzierte man im Vorfeld auf teurem Filmmaterial und spielte sie an den richtigen Stellen hinzu.

Unglaublich ist auch, was mit den Bändern nach der Erstausstrahlung passierte: man überspielte sie mit neu gedrehtem Material, um noch mehr Kosten zu sparen. Eine solche Vorgehensweise zeigt drastisch, wie gering damals TV-Produktionen geschätzt wurden.

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Special vom: 13.09.2009
Autor dieses Specials: Winfried Secker und Gerhard Förster
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