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Interview mit Christian Gossett Teil 2
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Dies ist der zweite Teil des Interviews. Klickt oben auf Zurück, um zum ersten Teil zu kommen.

DT: Besieht man sich die bisherige Story, sowie Andeutungen in anderen Interviews und auf Internet-Foren, bringt ihr die Antares-Familie in Stellung, damit sie an ein paar dieser Institutionen und Traditionen rüttelt, die die VRRS in ihre aktuelle Lage gebracht haben. Findest du, so etwas bräuchte es auch in unserer echten Gesellschaft?


comic4_klein.jpgCG: So ist es. Die Antares sind unser Symbol der Hoffnung, und sei die Aussicht auf Erfolg noch so gering. Ihr Mut ist die beste Gelegenheit, die sich ihrer Nation bietet, um sich von dem tragischen Erbe zu befreien, das sie umklammert hält. Sie sind das heldenhafte Gesicht in einem Zyklus der Erneuerung, dem sich die Zivilisation seit ihrer Entstehung unterwirft. In dem endlosen Ringen von Menschlichkeit und Gesellschaft sind sie die Hände der Freiheit, die die Grundfesten einer jeden Nation niederreißen, die die grundlegende Wahrheit des Gesetzes vergessen hat. Das Gesetz soll der Menschheit beim Aufbau ihrer Gesellschaften dienen. Wenn die Menschen von den Gesetzen ihrer Zivilisation zu nichts sehenden Sklaven gemacht werden, muss sich diese Gesellschaft erneuern, will sie überleben.

Meine Antwort auf die vorherige Frage verdeutlicht, dass ich denke, unsere Nation steht am Rande eines sehr schwierigen Übergangs. Der Übergang von einer industriellen hin zu einer Informationsgesellschaft wird grundlegende internationale Fluktuationen verursachen. Diese Zeit wird eine große Herausforderung an die Ressourcen der Welt darstellen, wie auch an die Machtstrukturen, die von ihrer Verteilung nutznießen. Neue Entitäten auf dem globalen Spielfeld sind erstarkt, andere sind schwach geworden. Das Verglimmen des Kalten Krieges hat uns in eine Ruhe versetzt, auf die, wie ich fürchte, ein sehr zerstörerischer Sturm folgen wird. In der analogen Welt meiner Fiktion stehen die Antares für das gemeine Volk, das sich irgendwie einen Weg hin zum Überleben wird bahnen müssen, während die intriganten Manipulatoren, die über die Welt herrschen, den Planeten in ein Chaos stürzen, das aus ihrer Gier erwachsen ist.

Um auf den letzten Teil deiner Frage zurückzukommen, wie kann das gemeine Volk nicht nur überleben, sondern die Autoritäten, die es anführt, herausfordern? Nun, die Geschichte gibt die Antworten sauber aufgelistet vor. Der Haken daran ist, solche Taten sind unglaublich kostspielig, selbstlos und blutig. Einen Comic über die Revolution zu schreiben, nichts leichter als das – doch große Menschenmengen dazu bringen, ihr Schicksal – was immer auch geschieht – in die eigenen Hände zu nehmen? Nichts in der Geschichte wäre lebenswichtiger. Oder komplexer.

sketchbook1_klein.jpg DT: Chris, du hast gesagt, dass wir einen positiven Wandel bewirken können, doch dass die Taten, derer es dazu bedarf, „unglaublich kostspielig, selbstlos und blutig“ wären. Beim ersten Lesen klingt dieses Statement ziemlich pessimistisch. Meinst du wirklich, nur dieser eine Weg kann die Dinge zum Besseren wenden?

CG: Ganz ehrlich, ja. Die, wie du es ausdrückst, pessimistische Interpretation ist nur eine Sicht auf meine Worte. Als ich diesen Gedanken ausdrückte, war meine Empfindung mehr objektiv denn gefühlsduselig. Zu welchem Zeitpunkt in der menschlichen Geschichte war der Weg zu positivem Wandel nicht unglaublich kostspielig, selbstlos und blutig? Martin Luther Kings Streben nach Bürgerrechten für die schwarze Gemeinde war kein Nachmittag im Disneyland. Abraham Lincolns Kampf, um die Union vor den Horden rassistischer Farmer aus dem Süden zu schützen, auch nicht. Als das russische Volk die Nazis in den Vierzigern zurückdrängte, war es eine Zeit extremster Schrecken, doch ohne das Opfer der Roten Armee im „Großen Vaterländischen Krieg“ hätte Hitler vor seiner Niederlage noch Millionen mehr an allen Fronten mit ins Grab gerissen.

Nichts von wirklich erstrebenswerter Natur ist leicht errungen. Je leichter etwas erreicht werden kann, desto geringer die Aussicht, dass es einen langfristigen Wandel bewirken kann. Uns allen gefällt die Vorstellung, dass die Produktion eines Musikvideos für wohltätige Zwecke den Hunger auf Erden beenden kann, und solche Gedanken sind sentimentale Fiktion der angenehmen Art, doch ich denke, die Geschichte ist deswegen ein so unerfreuliches Thema, weil ihre primäre Lektion die ist, dass wenn du die Welt verändern willst, du dich wappnen solltest für entsetzliche Höllenqualen.

sketchbook2_klein.jpg DT: Du wirkst auch etwas abschätzig, wenn du das Schreiben über die Revolution mit den Worten „nichts leichter als das“ bewertest. Was genau braucht es deiner Meinung nach, um Vorstellungen zu Taten werden zu lassen? Hin zu deinen wildesten Träumen, was, hoffst du, werden die Menschen nach der „The Red Star“-Lektüre begreifen, denken und unternehmen? Was glaubst du persönlich noch tun zu müssen, um die von dir angesprochenen Ideale in die Tat umzusetzen?

CG: Auch hier sprach ich wieder aus der objektiven Warte heraus. Über die Revolution zu schreiben ist einfach, jede Marketing-Flachzange kann das Wort „Revolution“ auf eine Anzeige für ein Luxusauto klatschen und sich in ihrem vermeintlichen Genie sonnen. Ein Schauspieler kann in ein Kostüm schlüpfen und Che Guevara oder George Washington darstellen, und auf eine verinnerlichte Weise nachempfinden, was es heißt, ein Revolutionär zu sein. Doch um sich an die Speerspitze menschlicher Konflikte vorzuwagen, um den Versuch zu unternehmen, kraft seines Lebens und seiner Arbeit den Lauf der Dinge zu verändern, bedarf es ganz besonders ausgeprägter menschlicher Fertigkeiten. Studiert man die Geschichte der Russischen Revolution, wird einem die unumstößliche Wahrheit bewusst, wie schwer es ist, wirklich einen positiven Einfluss auf die Welt zu haben. Die sozialistischen Revolutionäre wollten eine Utopie errichten, und wurden stattdessen zu Opfern eines monströsen totalitären Experiments. Wir Amerikaner können viele Lehren aus dieser fehlgeleiteten Utopie ziehen, und ich frage mich, ob wir auch nur eine einzige von ihren befolgen werden.

In meinen wildesten Träumen … nun, ich bin ein Schreiber, also kommen meine Träume ziemlich wild daher … ich ziehe es vor, über meine Hoffnungen und Ziele bei diesem Projekt zu reden. Es wäre schön, das aktuelle Geschehen fortzusetzen. Fast jeden Tag erreichen mich Botschaften von Leuten aus aller Welt oder gar meiner Nähe, die mir berichten, wie sehr sie „The Red Star“ berührt, verändert, Neugier in ihnen weckt auf das, was im Russland des 20. Jahrhunderts geschah, und wie sich das auf ihr Leben ausgewirkt hat, wo immer sie gelebt haben mögen. Ungarn, Polen, Mexikaner, Deutsche und natürlich Russen und Amerikaner – unsere Leben fanden in einer außergewöhnlichen Periode der menschlichen Geschichte statt. „The Red Star“ kann uns das, wenn überhaupt, nur ins Gedächtnis rufen. Und es ist eine Grußkarte ans industrielle Zeitalter – eine Epoche, die rasch Platz macht für die Ära der Computerisierung. Das Großartige daran ist, dass diese Themen standhalten. Die Leute begreifen sie. Meine Hoffnung und mein Ziel sind, dass immer mehr Menschen dort draußen „es begreifen“. Was sie daraus machen, wissen nur die Götter. Mir bleibt einzig, den Enthusiasmus und die Vision unangetastet aufblühen zu lassen, die mich inspiriert haben, und mein Bestes zu geben, damit all das hier die Mühe wert ist für diesen phänomenalen Freundeskreis, der sich entschlossen hat, mir bei dieser bescheidenen Sache beizustehen.

DT: Ihr verbringt beide recht viel Zeit im Forum von redstar.com – was gibt euch diese Interaktion mit den Lesern?

CG: Spaß! „The Red Star“ zu veröffentlichen ist so, als finge man eine Konversation mit möglichst vielen Fremden an, und das Forum ist das Medium, über das sich diese Kommunikation abspielt. Wie man sieht, hängt sich unser ganzes Kreativteam mit Leib und Seele emotional wie auch künstlerisch rein. Zwischen uns passt kein Blatt. Wir sehen uns auch privat, wir arbeiten in direktem Kontakt, und wir erzählen eine Geschichte, die sich eingedenk der herkömmlichen Marketing-Weisheiten bei Publikum und Kritikern nie als so erfolgreich hätte erweisen dürfen, wie sie es hat. Deshalb ist es für uns besonders wichtig, in unserem Forum so direkt mit den Leuten zu sprechen, die diese Arbeit zu schätzen wissen.

sketchbook3_klein.jpg DT: Was denkst du kann die Comicbranche vom bisherigen Erfolg von „The Red Star“ ableiten?


CG: Diese Frage stelle ich mir selbst oft. Werden wir die Branche überhaupt beeinflussen? Und wie? Nur oberflächlich? Werden sich doppelseitige Panoramen und große Bildkästen durchsetzen? Handwerklich? Im schlimmsten Fall haben wir der 3D-Kunst einen Weg in den Comickrieg geebnet, aber werden weitere Wellen an Soldaten uns Rückendeckung geben, während wir mit der Invasion fortfahren? Künstlerisch? Wird unser ohne Tuschzeichnungen auskommender Stil für alle sichtbar machen, dass Tuscher nicht länger produktionstechnische Notwendigkeit sind, sondern traditionelle, stilistische Präferenz. Lyrisch? Wird unsere Erzählweise irgendeine Wirkung erzielen? Wird man diese Geschichte mit Respekt erwähnen? Flattern uns auch weiterhin Angebote von anderen Verlagen ins Haus, dort das zu tun, was wir tun?

Da wir nicht weissagen können, wie es kommen wird, sind wir auch weiterhin dankbar für den Erfolg, über den wir uns freuen dürfen. Eine Comic-Allegorie über Russland? Junge, wie man mich angestarrt hat, als ich die Idee meinen Freunden in der Comicbranche vorgestellt habe! Sie dachten, das wäre ein armseliger Plan, um einen Bankrott hinzulegen. Es ist wirklich bemerkenswert, dass es uns so gut geht, und wir sind jedermann dankbar, der sich ein Heft gekauft hat. Oder zehn. (Gelächter)

DT: Du hast mal gewitzelt, dass in eurer Serie keine Schwarzenegger-Kirsch-Torten serviert werden, sondern süße Schnittchen. Und ihr habt euch offensichtlich wirklich vorgenommen, das weibliche Geschlecht bei „The Red Star“ auf neue Weise darzustellen – Frauen werden zu Energiesäulen, Frauen befehligen Panzergeschwader, eine der übernatürlichen Mächte nimmt die Gestalt einer Frau an. War es eine bewusste Entscheidung, Frauen ins Zentrum der Handlung zu rücken? Wenn ja, wurde das wenigstens teilweise ausgelöst durch das traditionelle und stereotype Einbinden von Frauen im Comic-Mainstream? Sollte das der Branche gezielt aufzeigen, dass man Geschichten auch anders erzählen kann?

CG: Was die Frauen in „The Red Star“ angeht, und die romantische Natur der Handlung, so sind meine Eltern die wahre Quelle. Sie haben einander auf eine Weise geliebt, die selten ist und unglaublich. Ihr gegenseitiger Respekt entstammte purer Bewunderung, und mein Bruder und ich badeten in dem Glanze. Mein Respekt vor Frauen nahm genau da seinen Anfang – bei meinem Vater, der mir ein großartiges Beispiel für mein Leben in die Hand gab.

Darüber hinaus ist die Liebe als Element der Fiktion eine der qualifizierenden Größen, die heroische Fiktion von bedeutungsloser kommerzieller Ausschlachtung unterscheidet. Joseph Campbell sagt, jedes Drama drehe sich um die menschliche Entstehung, alle großartigen Taten dienen nur als Metapher für Geburt, Tod und Wiedergeburt der Seele.

Die Frauen in „The Red Star“ – Maya, die Rote Frau, Alexandra, Makita (die wir in Heft 6 treffen werden) – sollten nie nur eine künstliche Quote erfüllen. Bei ihnen handelt es sich um Figuren, deren Motivationen und Gegenwart das Vorantreiben der Handlung am besten beschleunigen oder verlangsamen. Diese starke weibliche Präsenz ist auch historisch verbürgt. Während des Zweiten Weltkriegs gab es Teams aus Mann und Frau, die zusammen Panzer steuerten, ein gefeiertes Geschwader aus weiblichen Kampfpiloten, und die große Scharfschützin Roza Shanina verbuchte über 100 Tötungen. Wenn du einen Krieg führst, der 30 Millionen Leben kosten wird, kannst du Sexismus nicht mehr als billiges Alibi missbrauchen, um die Fähigkeiten von Frauen zu ignorieren. Du brauchst jeden Körper, den du kriegen kannst. Die russischen Frauen waren der Aufgabe gewachsen.

DT: Blicken wir voraus – was sind deine Hoffnungen und Pläne für 2001, nun da „The Red Star“ an vorderster Front kämpft?

CG: 2001 werden wir weiter unsere Arbeit auf den Markt bringen, und so den Händlern und den Lesern dafür danken, dass sie uns in die „Echter Hit“-Kategorie befördert haben. 2001 ist eine Art Belohnung für 2000. Ständig langweile ich das Team mit meinen Zweiter-Weltkriegs-Analogien, aber einmal muss es noch sein … es ist, als hätten wir am D-Day den Strand überwunden, sind nicht schon im Boot in Stücke geschossen worden, wir sind ausgelaugt und saufroh, dass wir es heil an Land geschafft haben – und doch ist es noch ein verdammt weiter Weg, bis Berlin eingenommen ist. Wir müssen für so vieles dankbar sein. Unsere Verkaufszahlen klettern stetig, unser Verleger glaubt an uns – und niemand hat auch nur die leiseste Vorstellung von dem, was wir noch alles in petto haben.
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Special vom: 26.01.2007
Autor dieses Specials: Cross Cult
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Einleitung von Brian Michael Bendis
Interview mit Christian Gossett Teil 1
Bildergalerie
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