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Stan - The Man - Lee
Stan «The Man» Lee
Die sagenumwobene Figur, der windige Macher, Texter und Verkäufer, der den Marvel-Ansatz Anfang der Sechzigerjahre entwickelt, zelebriert und bis zur Penetranz vermarktet hatte, war Stan «The Man» Lee. Sein Name leuchtete von zahllosen Seiten im Heft, uns allen bekannt, dazu das gezeichnete Porträt, ein Grinsen mit Pilotenbrille, das sich über einer Rubrik namens «Soapbox» befand, in der sich Lee mit salbungsvollen Worten an die Leser wandte. Stan war, wie er nicht müde wurde auszuführen, der Koautor und Inspirator der meisten Marvel-Helden. Im Verbund mit dem nicht minder legendären Zeichner Jack «King» Kirby hatte er schliesslich auch die nordischen Göttersagen als Comicepos neu erstehen lassen. Das Gespann genoss in unseren Kreisen kultische Verehrung. Kirby war der Mann der kinetischen Energie, der rohen, rasenden Energien, der seinen Figuren Muskeln einpflanzte, die anatomisch gar nicht möglich waren. Lee galt uns als Mastermind und Psychologe, als schlauer Fuchs, der den grandiosen Kirby-Panels einen Sinn für Ironie einspritzte und Geschichten ersann, denen man wochenlang entgegenfieberte. Es war mir nicht bewusst, dass sich am Höhepunkt meiner persönlichen Comicbegeisterung Ende der Siebziger bereits ein hässlicher Rechtsstreit anbahnte zwischen Marvel und Kirby, der sich um seine Mitautorenschaft an all den Ikonen betrogen fühlte.

Unglaubliche Geschichten waren damals auch über den nimmermüden Zampano Stan Lee zu lesen. Er soll mit 17 Jahren bereits bei Marvel angeheuert haben, als Schwiegerneffe des Verlagsbesitzers, der neben den Comics eine Reihe schlüpfriger Magazine herausgab, für die Lee ebenfalls die Texte schrieb. Mit 20 war er Comic-Chef, mit 36 stand er, ohne wirklich etwas geleistet zu haben, vor dem kreativen Bankrott und wollte den Posten wechseln, Dann kam die Wende. Die Chroniken berichten, wie Lee Anfang der Sechziger von seinem Vorgesetzten nach einer Runde Golf genötigt worden sei, eine Superheldenserie zu entwerfen nach den Vorbildern des Konkurrenten DC. Das Resultat ungezählter Nachtschichten mit Lee und Kirby waren «Die Fantastischen Vier», deren unmittelbarer Erfolg das «Silver Age of Comics» einläutete, eine unglaublich kreative und fruchtbare Epoche, die einer Branche, die mit hohem Ausstoss und niedrigen Margen kämpfte, gewaltige Gewinne bescherte. Lee selber avancierte zur prominenten Gestalt, die sich an Kongressen und Universitäten als Mr. Comics feiern liess. Der Höhepunkt wurde erreicht, als man in der New Yorker Carnegie Hall 1972 an einem Galaabend mit Stan Lee vor Tausenden hoch illustrer Gäste das Superheldengenre zur kulturellen Leistung adelte.

«Stan Lee», erklärte mir in einem längeren Gespräch für diesen Artikel der deutsche Comicexperte Andreas Platthaus, «ist das herausragende erzählerische Talent des Superheldentums.» Man könne seine Bedeutung gar nicht hoch genug einschätzen. «Er gab den Geschichten einen Charme, eine Tiefe und einen Humor, den Kirby weder vor noch nach der Zusammenarbeit an den Tag legte.» Erst durch Lees Nuancierungen seien Kirbys fantastische Szenarien geerdet und für ein breiteres Publikum verständlich geworden. Man könne ihm nicht zum Vorwurf machen, dass er als wandernder Imagepfleger vor allem auch sich selbst vermarktet habe. Lee, so Platthaus, «war der erste Redaktor, der mit grossflächigen Autorenkästen den Personenkult eingeführt hat in die Welt der bis dahin anonym produzierten US-Comics». In das Fazit des FAZ-Redaktors mischte sich noch eine Prise Melancholie: «Es ist ein Jammer, dass diese grossartige Kombination von Handwerk und Experimentierfreude nicht beibehalten werden konnte. Abgesehen von einer kurzen Blüte Mitte der Achtzigerjahre ist das Superheldengenre den Bach runtergegangen. Was heute erscheint, ist grässlich. Das macht keinen Spass mehr.»


Special vom: 04.03.2001
Autor dieses Specials: Roger Köppel (Text) und Vera Hartmann (Fotos)
Die weiteren Unterseiten dieses Specials:
Kannibalistische Rituale
Und dann kam Spider-Man
Einsamkeit und Depressionen
Empathische Rüsselmenschen
Batman durch den Schredder
Im Büro bei Stan Lee
Ich habe es einfach ausgespuckt
Drei Gründe für den Niedergang
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