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Comic-Besprechung - Zahra's Paradise

Geschichten:

Zahra’s Paradise

Text von Amir
Zeichnungen von Khalil



Story:
Es ist der Juni 2009 und die Präsidentschaftswahlen im Iran sind vorbei. Heftige Proteste branden auf, da die Wahlen von den Machthabern manipuliert wurden. Wo ist meine Stimme, rufen sie von den Straßen, hunderte, tausende von Menschen. Sie rufen es selbst dann noch als sie von Milizen angegriffen, verschleppt und gefoltert werden. Der Enthusiasmus und die Hoffnungen einer ganzen Generation zerschellen innerhalb kurzen an den Mauern eines autoritären Regimes. Viele sind in den Tagen, die auf die Proteste folgten, verschwunden. So auch Mehdi. Seine Mutter und sein Bruder machen sich auf die Suche nach ihm. Sie finden ein Land vor, in dem die Grausamkeit regiert und die Angst ein Korsett ist in dem Andersdenkende erstickt werden sollen.


Dieser Comic wurde mit dem Splash-Hit ausgezeichnet Meinung:
Man brauchte nach den Meldungen zum Fortgang des demokratischen Prozesses beispielsweise in Tunesien oder Ägypten schlicht bis zehn zählen und die zu erwartenden Meinungen in Schnellschussmanier folgten auf dem Fuße: „Jetzt wollen die tatsächlich die Islamisten wählen und die Scharia einführen. Da war ja die ganze Revolution umsonst“. Für den Westen eine offensichtliche Reaktion und eine bequeme dazu. Weil sie alles das ausblendet, was erst zu den Umwälzungen geführt hat. Was diese bei den Menschen veränderten. Schließlich ist es eigentlich auch eine sehr naive Sicht vom heimischen Sofa aus. Denn weder taugt das westliche Modell allüberall zum einfach zu übernehmenden Vorbild, noch sollte man bei derartigen Entwicklungen im Sekundentakt ein Umdenken erwarten. Nur weil sich die Demonstranten teils über Facebook & Co. organisierten, gilt nicht gleich die Geschwindigkeit des Internets als Maßstab für die Veränderungen in den Köpfen.

Aber zurück beziehungsweise zum Beginn des eigentlichen Themas von Zahra’s Paradise, was im Ansatz auch mit den bereits geäußerten Gedanken zu tun hat. Eine Revolution, die eben nicht erfolgreich war und von den autoritären Kräften des Staates erstickt und brutal niedergeschlagen wurde. Jeden Abend standen die Demonstranten auf den Dächern ihrer Häuser und skandierten „Allahu Akbar“ – Gott ist allmächtig. Und sie skandieren es auch auf den Seiten von Zahra’s Paradise. Werfen es einem Regime entgegen, welches seinen Legitimationsanspruch in den Augen seines Volkes längst verloren hat. Sie ließen den Gebetsruf selbst dann erschallen, als sie tagsüber auf den Straßen von den Basidschi-Milizen angegriffen und beschossen wurden. So gelangten die Bilder von Neda zu trauriger Berühmtheit, der man hilflos dabei zusehen musste, wie sie durch einen Schuss getroffen innerhalb kürzester Zeit verblutete. Weder war sie jedoch die Erste, noch die letzte. Viele landeten auch in den Gefängnissen, wo die Demonstranten misshandelt, gefoltert und getötet, die Frauen vergewaltigt wurden. Dinge, die so grausam sind, dass man über sie nicht nachdenken will, aber nachdenken muss. Dinge, wie sie auch die Protestler in den anderen Ländern im Mittleren und Nahen Osten erleben mussten (und es in Syrien unter den Augen der Weltöffentlichkeit weiter erdulden). Ein trauriger rote Faden, der sich durch den gesamten arabischen Frühling zieht. Und dem Zahra’s Paradise für den Iran ein Gesicht gibt, indem es sich an die Seite der Personen stellt, die diese düsteren Tage im Jahr 2009 hautnah erlebten.

Eine Mutter die ihren Sohn sucht, ein Mann seinen Bruder. Mehdi, verschwunden nach den Demonstrationen gegen eine manipulierte Wahl, als Tausende auf die Straße gingen und fragten: „Where is my vote?“. Diese Momente der Einigkeit und des politischen Erwachens sind die kurzen Lichtblitze in einem Comic, der ein trostloses Bild für die Opposition und die Menschen im Iran zeichnet. In einen Rahmen aus Beklemmung und Unheil ist die Geschichte aus Zahra’s Paradise eingebunden, der einen bei der Gurgel packt und nicht mehr loslässt. Es beginnt bei einem Weiler im Norden von Teheran. Ein Junge betrachtet eine Hündin, deren Wurf sich gerade an ihren Zitzen labt. Ein Mann kommt aus dem Haus mit einem Spaten und schaufelt ein Grab. Er holt einen Sack und geht auf die Hündin zu. Sie knurrt und er beschimpft sie als dreckige Hündin und Hure, schnappt sich die Welpen und steckt sie in den Sack, wo sie verängstigt die Nacht verbringen müssen. Am nächsten Morgen nimmt der Mann den Spaten und schlägt auf den Sack wieder und wieder ein, bis nahezu jeder Laut des jungen Lebens erstickt ist. Der Sack landet zusammen mit seinem blutigen Inhalt im Bach und versinkt schließlich, das letzte Leben der Welpen mit hinunter ziehend. Eine verlorene Generation, zertreten, geschändet, vergraben. Ihr Grabstein ein Blog namens Zahra’s Paradise.

Im Sinne einer historischen Abhandlung lässt sich der Comic nicht lesen. Diesen Anspruch haben die Macher Amir und Khalil auch nicht, die die Geschichte als mit Tatsachen gespickte Fiktion anlegten. Nicht die Fakten stehen im Vordergrund, sondern sie dienen nur als Leinwand, um Zeugnis von dem Leid des iranischen Volkes zu geben. Mehdis Mutter und sein Bruder Hassan stehen damit stellvertretend für die vielen, die während der Proteste Menschen verloren, die im Zuge der Tage danach nach Vermissten suchten, für die sich die Obrigkeit nicht mehr interessierte. Sie erleben jene Episoden nach, denen sich die Suchenden ausgesetzt sahen, der Gleichgültigkeit, dem Zynismus, der Arroganz der Mächtigen.

Einer ganzen Generation wurde im Sommer 2009 die Augen endgültig geöffnet. Viele von ihnen betrachteten auch den Blog Zahra’s Paradise und machten ihn so zu einem Phänomen, das über Ländergrenzen hinweg Zeugnis davon gab, welches Leid im Iran vonstatten geht. Wohin kein Auge blicken konnte, wohin weder die Aufnahmen bei Youtube noch die Kommentare bei Facebook reichten, da versuchten die Blogger Amir und Khalil dem Leser ein Bild zu vermitteln. Das Grauenhafte aus den Hinterzimmern und den Folterzellen zu holen, von denen man zwar hörte, aber die man nicht sah. Der Zeichenstift kennt keine Grenze, kein Verbot und so wird man Zeuge der Verbrechen und des Leids.

Es sind Bilder, die tief betroffen machen und wenig Hoffnung verbreiten. Nur manchmal schimmert sie durch und nimmt die Gestalt eines geflüsterten Traumes an. Zahra’s Paradise will das Grauen zeigen und rüttelt zugleich auf, schockiert, weil man weiß, dies ist tatsächlich passiert und passiert weiter. Neda, Kazemi, Mohsen, und, und, und. Namen die für viele stehen, die aus der Anonymität herausragen, doch letztlich nur die Spitze eines Eisberges sind, der in einem Meer aus Tränen schwimmt.

Man kann den Comic nicht weglegen, ohne betroffen sein. Die im nüchternen Schwarz-Weiss gehaltenen Szenen mit ihren mal mehr mal weniger cartoonigen Figuren, können die Grausamkeit nicht kaschieren, sollen es nicht. Vielleicht drängen sie sich gerade dadurch mehr in die Herzen, weil nichts Trennendes mehr zwischen ihnen und den Lesern steht. Ihre Nationalität wird zweitrangig. Sie sind Menschen wie wir, denen Unglaubliches angetan wird. Dadurch wird das Leseerlebnis intensiver. Den Rest erledigt die Thematik, die mehr noch als beispielsweise bei Werken wie Persepolis von Marjane Satrapi dazu beiträgt, Ergriffenheit auszulösen.

Beklemmung öffnete nicht nur den Rahmen, er schließt den Comic auch ab. Und so endet Zahra’s Paradise nicht nur mit einem ausführlichen Anhang (mit vielen Erläuterungen), sondern ebenso mit den Namen der Toten, die im Zeitraum zwischen 1979 und 1989, aber auch in den Neunzigern sowie den Jahren zwischen 2005 und 2009 exekutiert, ermordet oder auf Demonstrationen erschossen wurden. 15 sehr eng beschriebene Seiten. Wohl mehr als 16901 Namen. Auch ihrem Andenken gilt der Comic.


Fazit:
Eine Geschichte, der man sich nicht entziehen kann und die einen nicht unberührt zurücklässt. Das Leid einer Generation zu Papier gebracht. 4 Tage nach den manipulierten Wahlen gestartet, ist Zahra’s Paradise ein Dokument über das Geschehene. Nicht im Sinne einer historischen Abhandlung, sondern aus den Erlebnissen der Beteiligten destilliert. Doch was ist erlebte Geschichte anderes.


Zahra's Paradise - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Zahra's Paradise

Autor der Besprechung:
Alexander Smolan

Verlag:
Knesebeck

Preis:
€ 19,95

ISBN 10:
978-3-86873-103-3

ISBN 13:
978-3-86873-103-3

272 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • Comic vor der Leinwand erlebter Geschichte
  • beklemmendes Kapitel in der Geschichte Irans
  • macht tief betroffen
  • die Grüne Revolution als Comic
Negativ aufgefallen
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
Bewertung:
1
(1 Stimme)
Bewertung
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Rezension vom: 14.12.2011
Kategorie: One Shots
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