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Comic-Besprechung - SZ Bibliothek Graphic Novels 5: Palästina

Geschichten:

Palästina

Autor / Zeichner: Joe Sacco



Story:

Joe Sacco ist ein Journalist, der sich langsam über die einseitige Berichterstattung der amerikanischen Medien über den Nahostkonflikt ärgerte. Seiner Meinung nach wurde zu sehr pro-Israel berichtet. Also entschloss er sich, im Winter 1991/1992 während der Intifada selber nach Palästina zu reisen, um dort die Sichtweise der Palästinenser zu schildern und sich selber ein Bild von der isrealischen Besatzung zu machen. In vielen Gesprächen erfährt er von vielen Demütigungen, Gefängnisaufenthalten, Folter, Enteignung und auch von viel subtileren Menschenrechtsverletzungen. Das Elend, das er vor allem in den Flüchtlingslagern der Palästinenser sieht, erschüttert ihn zutiefst und lässt ihn an allen Friedensbemühungen zweifeln.



Meinung:

Joe Sacco begründete mit Palästina ein neues Genre. Nämlich das der Comicreportage. Gab es in den Sechzigern schon die Strömung des New Journalism, welche Journalismus mit Literatur vermengte, dessen namhaftester Vertreter Norman Mailer ist, ist Sacco es gelungen eine komplett neue Strömung zu etablieren. Seine Arbeit ist journalistisch und der ganze Band eine Reportage. Aber eben als Comic.

Allerdings verweigert er sich bewußt der gängigen journalistischen Herangehensweise, beide Seiten zu schildern und somit möglichst objektiv zu sein. Das lehnt er ab, sondern er will vor allem eines sein: ehrlich. Das behauptet Sacco im Vorwort. Nur liegt gerade hier der größte und gefährlichste Knackpunkt des Bandes.

Die israelische Sicht kommt nicht vor. Die Israelis wirken zum größten Teil wie ein vom Himmel gefallenes Volk voller militanter Siedler, jähzornigen Soldaten und folternden Geheimdienstlern. Andere Personen kommen kaum vor. Indem Sacco allein die Palästinenser zu Wort kommen lässt, macht er sich willig zu deren Sprachrohr und droht oftmals zum willfährigen Mittler derer Propaganda zu werden. Das so auch manche antisemitischen Klischees anklingen (etwa das amerikanische Medien von Juden beherrscht werden), macht das ganze noch viel ärgerlicher. Sacco ist oft allzu naiv. Die Palästinenser kommen den ganzen Band über als hilflose unterdrückte Opfer vor, die sich nur mit Steinwürfen gegen eine militärische Übermacht wehren können.

Ja, die Israelis verletzen Menschenrechte. Ja, es wurde gefoltert. Ja, es finden gezielte Tötungen statt. Ja, es gibt Diskriminierungen und behördliche Willkür. Ja, die Palästinenser gelten als Menschen zweiter Klasse. Das wird nicht bestritten. Aber das Sacco nur in zwei kleinen Szenen darauf hinweist, was die israelische Psyche ausmcht und das deren Taten nicht der puren Bosheit entspringen, verschweigt er. Israel wurde einen Tag nach seiner Gründung bereis von allen arabischen Staaten angegriffen. Und das zwei bis drei Jahre nach dem Holocaust. Einzig mit Ägypten bestand ein wackliger Frieden. Und das auch erst nach dreißig Jahren. Umringt von Feinden (seit der Gründung 1948 war Israel mindestens in fünf Kriegen bedroht), ist Sicherheit, auch durch das kollektive Trauma des Holocausts, die größte Sehnsucht der Israelis. Und das während der Intifada nicht nur Steine geworfen wurden, sondern auch Attentate auf Märkten, in Bussen, in Supermärkten usw stattfanden, erwähnt Sacco nicht (oder nur in zwei Panels des ganzen Bandes). Das jede Busfahrt, jeder Einkauf, jeder Strassengang, jeder Kneipenbesuch tödlich sein konnte, verschweigt Sacco, da die Palästinenser angeblich nur Steine werfen. Die Erfahrungen sitzen bei den Israelis so tief, dass Schulklassen nur dann Ausflüge auf  israelischem Gebiet machen können, wenn die Lehrer mit Maschinengewehren bewaffnet sind. Auf all das und dessen psychischen Auswirkungen auf ein Volk wird hier verzichtet. Das soll die Menschenrechtsverletzungen Israels nicht relativieren, aber es macht sie zumindest zu einem Teil erklärbar. Aber Sacco interessiert es nicht. Insofern ist der Titel des Bandes Programm. Er heißt schließlich Palästina, wie die Araber das Land nennen, und nicht "Israel" oder der "Nah-Ost Konflikt".

Diese gewollte und bewußte Einseitigkeit macht den Band stellenweise sehr ärgerlich zu lesen. Aber andererseits ist das Leiden der Palästinenser wirklich in Vergessenheit geraten und wird nur recht selten geschildert. Insofern ist Sacco hier etwas wirklich Neues gelungen und er weckt durchaus Empörung. Es ist wichtig, das Elend zu schildern und die Menschenrechtsverletzungen, aber wie schon erwähnt, tappt Sacco ein um das andere Mal in eine Propagandafalle.

Graphisch ist der Band gut umgesetzt. Gut, der Stil, der eindeutig von dem amerikanischen Underground der sechziger Jahre beeinflußt wurde (da vor allem von Robert Crumb), ist gewöhnungsbedürftig. Aber durch die Verzerrungen der Gesichter schafft es Sacco, die Empörung und das Leiden gut einzufangen. Wenn es auf der inhaltlichen Ebene zum Chaos kommt, wie bei Demonstrationen oder Ausschreitungen, lösen sich die Panel auf und es herrscht auch der Seite Chaos und es gibt kaum noch Abgrenzungen. Somit wird der Leser direkt in das Geschehen hineingesogen. Auch wenn die Gesichter sehr reduziert dargestellt sind, bleiben sie doch unterscheidbar. Und die Landschaften und Stadtansichten sind sehr detailliert ausgeführt. Durch die Graphik wird der Leser sehr gut in das Geschehen und in das Setting eingebettet.



Fazit:

Sacco begründete mit diesem Band ein neues Genre. Allein schon deswegen ist ein Blick hinein sehr lohnenswert. Dass er das vernachlässigte Elend der Palästinenser schildert, ist notwendig und lobenswert. Leider verzichtet er komplett auf die Sicht der Israelis und tappt so ein ums andere Mal in eine Propagandafalle und bedient sogar teils antisemitische Klischees. Ist der Band inhaltich sehr kontrovers und teilweise auch sehr ärgerlich, so punktet er mit der unmittelbar wirksamen Graphik.



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SZ Bibliothek Graphic Novels 5: Palästina

Autor der Besprechung:
Jons Marek Schiemann

Verlag:
Süddeutsche Zeitung GmbH

Preis:
€ 14,90

ISBN 10:
3866158769

ISBN 13:
978-3866158764

288 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • Sichtweise auf Palästinenser
  • graphische Umsetzung
  • neues Genre erfunden
Negativ aufgefallen
  • Einseitige Berichterstattung
  • Propaganda wird bedient
  • teilweise anklingende antisemitische Klischees
  • Naivität
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
Bewertung:
1
(1 Stimme)
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Rezension vom: 02.04.2011
Kategorie: SZ Bibliothek Graphic Novels
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