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Comic-Besprechung - SZ Bibliothek Graphic Novels 2: Persepolis

Geschichten:

Eine Kindheit im Iran
Jugendjahre

Autor/Zeichner: Marjane Satrapi



Story:

Marjane Satrapi wird 1969 im Iran geboren und erlebt die Umwälzungen ihrer Heimat hautnah mit. 1979 stürzt die iranische Revolution den Schah und kurz darauf beginnt ein menschenverzehrender Krieg gegen den Irak, der von den westlichen Mächten noch zusätzlich angeheizt wird. Als Kind linksliberaler Eltern kommt sie früh mit politischen Vorstellungen in Berührung und begreift bald, was alles im Iran falsch läuft. All das versucht sie mit ihren kindlichen Erfahrungen zu begreifen, was eine ganz eigene Perspektive auf die Ereignisse wirft. Die Augen eines Kindes sind noch die Augen der Unschuld.

Als die Ereignisse durch den Krieg mit dem Nachbarn Irak immer bedrohlicher werden, fliegt Marjane alleine nach Österreich und beginnt ihre Jugendjahre ohne Eltern und in einem für sie fremden Land. Die Erfahrungen, die sie dort macht, rühren sehr an ihren eher traditionellen Vorstellungen. Und auch wenn sie sich schnell in diese neuen Verhältnisse einlebt und sogar ihre Vergangenheit verleugnet, merkt sie bald, dass sie ihr Erbe nicht zum Verstummen bringen kann.



Meinung:
„Ich glaube, dass man eine ganze Nation nicht aufgrund der Fehler einer extremistischen Minderheit verurteilen darf.“, sagt Marjane Satrapi im Vorwort ihrer Graphic Novel Persepolis, deren beide Teile dank der SZ-Edition zum ersten Mal in einem Band erscheinen. Um den Vorurteilen entgegen zu treten, beginnt sie deshalb ihre eigene Geschichte zu erzählen, die 1969 im Iran begann. Durch ihre Augen entfaltet sich dann aber nicht nur ihre persönliche Geschichte, sondern auch die Geschichte einer ganzen Generation und eines ganzen Landes.

Der Comic ist bereits seit langem ein internationaler Erfolg und wurde schon mit mehreren wohlverdienten Auszeichnungen (unter anderem Prix du Scénario 2002 von Angouleme und Max-und-Moritz-Preis 2004) prämiert. Mit schlichten Schwarz/Weiss-Zeichnungen, die manchmal bewusst naiv gehalten sind, erlebt man in Eine Kindheit im Iran, dem ersten Teil von Persepolis, Satrapis Aufwachsen in einer intellektuellen und linksliberalen Familie mit, die sich aktiv mit den politischen Geschehnissen in ihrem Land auseinandersetzt. Als kleines Kind, welches sich mit sechs Jahren noch sicher war die letzte Prophetin zu werden, ist sie hin und her gerissen zwischen den progressiven Ansichten ihrer Eltern und der öffentlichen Darstellung der Ereignisse. Es ist die Zeit der Herrschaft von Mohammad Reza Schah Pahlavi, der die Proteste in seinem Land mit Gewalt unterdrückt und gegen den sich des Volkes Zorn richtet.

Die Welt der Erwachsenen bleibt aber zunächst ein Rätsel. Denn vieles geht noch über den Horizont der kleinen Marjane. Darum ist sie traurig, weil ihr Vater nicht als Revolutionär im Gefängnis war. Um vor ihren Freunden anzugeben, muss sie deshalb Geschichten erfinden, in denen ihr Vater wegen seines Widerstandes gegen das Regime gefoltert und sogar verstümmelt wurde. Oder sie will mit ein paar anderen kleinen Kindern einen Nachbarsjungen bestrafen, weil sein Vater ein Folterer war. Also ziehen sie und die anderen mit Nägeln zwischen den Fingern los. Erst als sie ihren Onkel Anusch kennen lernt, beginnt ihr Bild von der Welt und den Vorgängen im Iran zu reifen und mehr und mehr wird ihr das Elend der Menschen bewusst, bis sie sich schließlich ohne jeden Halt findet. Und dann erst beginnt der Krieg gegen den Irak und die Ereignisse nehmen eine immer bösere Wende.

In Jugendjahre steht dann nicht mehr die Auseinandersetzung mit den Geschehnissen und den Veränderungen im Iran im Vordergrund, sondern die Identitätsfindung einer Frau, die westliche wie östliche Werte und Vorstellungen in sich vereint. Sie wurde inzwischen von ihren Eltern nach Europa geschickt, damit ihr der Krieg ersparet bleibt. Schweren Herzens kam die Familie Satrapi zu diesem Schluss, aber wie sagt Marjanes Mutter: „Besser du bist weg von uns und glücklich als bei uns und unglücklich“. Als gedankliches Kind zweier Welten muss sie jedoch erkennen, dass sie doch in keiner davon wirklich zu Hause ist. Einen entscheidenden Anteil trägt das Verhalten der Österreicher dazu bei. Die Nonnen, in deren Pension sie unterkommen muss, die ihr ins Gesicht sagen Iraner seien alle völlig ungebildet. Ihre spätere Vermieterin, deren Hund immer auf ihr Bett scheißt und die Marjane der Prostitution und des Diebstahls bezichtigt oder einfach der Passant in der U-Bahn, der ihr sagt: „Du scheiß Ausländerin! Geh raus!“

Der westlichen Kultur wird so der Spiegel vorgehalten, wo sie sich in ihrer ganzen Ignoranz, Dummheit und mangelnden Empathie betrachten kann. Erschreckend ist dabei nicht mal so sehr, wie es damals war, obwohl das bereits schlimm genug ist, sondern dass es heute immer noch so ist. Vorurteile und Arroganz bestimmen weiterhin die Sicht auf Menschen, die man für Fremde hält. Die aktuellen Debatten in Deutschland zeigen dies in aller Ausführlichkeit. Was anders ist, ist fremd und muss damit natürlich unter einem stehen und kann nichts wert sein. Der Tritt nach unten ist bei manchen dann schon fast ein Reflex. Einsichten, die auch Marjane erfahren muss.

Aber es sind nicht nur schlechte Erfahrungen, die sie in Europa macht. Sie lernt auch viel Neues kennen, übt sich im Umgang mit einer fremden Kultur und ist zum ersten Mal frei genug, um eigene Entscheidungen für sich zu treffen. Dabei wird auch einiges von ihrem bisherigen Weltbild auf den Kopf gestellt, allen voran ihr Verhältnis zur Sexualität. Denn im Iran, wo Frauen ihr Haar und Männer ihre behaarten Unterarme verbergen müssen, damit das andere Geschlecht nicht erregt wird, ist sie den offenen Umgang mit diesem Thema nicht gewohnt. Was sie nicht davon abhält schnell dazu zu lernen und gleich die ersten Höhen und Tiefen der ersten Liebe zu erleben.

Es bleibt aber stets eine Wand zwischen ihr und selbst ihren engsten Freunden. Bereits sehr früh musste sie die Grausamkeiten erleben, die Menschen sich gegenseitig antun können und lebte mit dem Vorbild ihrer Eltern, die trotz der vielen lebensbedrohenden Gefahren versuchten sich dagegen zu wehren. In Österreich redet man zwar auch von Revolution und pflegt anarchistisches Gedankengut. Doch erschöpfen sich diese Vorstellungen meist in einer Ich-bezogenen Nabelschau, deren Motive eher einer melancholischen Romantik zuzuordnen sind oder enden in albernen Fang-Mich-Spielen und bekifften Lachanfällen. Letztlich zerreißt es die junge Marjane immer mehr zwischen all den Extremen ihres Lebens. Sie landet sogar auf der Strasse, wird depressiv und schließlich sogar sterbenskrank. Für sie wird es Zeit wieder nach Hause zurück zu kehren. In ihre Heimat Iran.

Schon bald wird ihr klar, dass sie dadurch ihren Problemen nicht entronnen ist. Denn längst hat sich auch der Iran ihrer Kindheit gewandelt und ist etwas eng geworden für ihre Vorstellungen von Moral, Freiheit und Selbstbestimmung. Wieder daheim muss sie ihr Leben also aufs Neue mit ihrer Umwelt vereinen. Mit ihr lernt auch der Leser, wie es ist im modernen Iran zu leben und wie sich der Alltag für eine ganze Generation von Menschen gestaltet, in dem zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten eine schier unüberwindliche Kluft besteht.

Die Unterdrückung durch ein perverses System ist allgegenwärtig, während der Widerstand nicht leiser geworden ist, sondern sich andere Ventile suchen muss. Da wird jeder Zentimeter mehr Haar den man zeigt, zu einer Herausforderung des Regimes, die auch im Gefängnis enden kann. Bei solchen Beispielen denkt man dann sofort an die kleinlichen Debatten im Westen, wo schnell die Ambivalenz und Vieldeutigkeit von Symbolen, wie es das Kopftuch beispielsweise ist, vergessen wird. Hier ein Zeichen der Zugehörigkeit derjenigen, die sich von der Gesellschaft, in die sie hineingeboren wurden und in der sie leben, ausgestoßen und ausgegrenzt fühlen. Dort ein Instrument der Unterdrückung, wo jedes Aufblitzen von Haar ein weiterer Schlag gegen die Repression ist.

Es fällt vor allem ins Auge, dass gerade die Bilder aus der Kindheit Satrapis die Bilder von heute sein könnten. Nur ist es jetzt die Grüne Revolution, die sich gegen die Missstände in ihrem Land erhebt und wahrscheinlich, trotz der massiven Unterdrückung und dem brutalen Vorgehen der herrschenden Klasse, nicht so leicht zum Verstummen gebracht werden kann. Eine Idee kann nicht vernichtet, der Wunsch nach Freiheit nicht auf Ewigkeit unterdrückt werden. Der Umbruch im Mittleren und Nahen Osten beweist diese eigentlich simple Tatsache und führt alle bisherigen Modelle über die Rückschrittlichkeit der islamischen Welt ad absurdum. Die Neuveröffentlichung von Marjane Satrapis Persepolis kommt damit genau zur rechten Zeit. Ihre Lebensgeschichte könnte aktueller nicht sein, um die Menschen kennen zu lernen, die man meistens nur in Verbindung mit der Politik ihrer Länder betrachtet, Wenn sich denn der westliche Bürger überhaupt für diese Nationen außerhalb ihrer Urlaubstauglichkeit interessiert. Demonstrierende Menschen, auf Zivilisten schießende Soldaten, Gefängnis, Folter, Vergewaltigungen, Unterdrückung, Ausbeutung. Es sind die Bilder der Vergangenheit und der Gegenwart, die insbesondere in dem Kapitel Eine Kindheit im Iran heraufbeschworen werden. Aber hoffentlich nicht mehr die Bilder der Zukunft



Fazit:

Persepolis knüpft ein Band zu den Menschen im Iran, indem es einen an den Sorgen, den Ängsten und den Nöten der Familie Satrapi teilhaben lässt. Es wird ein anderes Bild vom Iran geboten. Nicht verfälscht durch politische Interessen und reißerische Medien, sondern viel authentischer, mit Dingen, die das Gemeinsame betonen, nicht das Trennende. Und am Ende vermittelt die Graphic Novel vielleicht vor allem eines: Wenn man das Fremde kennen lernt, kann es nicht mehr mein Feind sein.




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SZ Bibliothek Graphic Novels 2: Persepolis

Autor der Besprechung:
Alexander Smolan

Verlag:
Süddeutsche Zeitung GmbH

Preis:
€ 19,90

ISBN 13:
978-3-86615-871-9

352 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • schöne Aufmachung der SZ-Edition
  • bewegende Graphic Novel über eine Kindheit im Iran
  • zeitlos und stets aktuell
Negativ aufgefallen
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
Bewertung:
1
(1 Stimme)
Bewertung
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Rezension vom: 29.03.2011
Kategorie: SZ Bibliothek Graphic Novels
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