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Comic-Besprechung - Under the Hood - Die Verweisstruktur der Watchmen

Geschichten:

Under the Hood – Die Verweisstruktur der Watchmen
Yellow: Schriften zur Comicforschung Band 4

Originalausgabe

Autor: Hans-Joachim Backe



Story:

Vor mehr als zwanzig Jahren erdachten Alan Moore und Dave Gibbons einen Meilenstein der Comicgeschichte, der bis dato das gesamte Genre geprägt und die Comics mit einem Schlag erwachsen gemacht hat. Um den Gründen für diesen Erfolg ein wenig auf die Spur zu kommen, untersucht Hans-Joachim Backe in Under the Hood die Verweisstruktur der Serie Watchmen und versucht ein wenig den Mythos zu entschlüsseln.



Dieser Comic wurde mit dem Splash-Hit ausgezeichnet Meinung:

Nachdem sich die Schriften zur Comicforschung bereits mit der Erfindung des Comics und der Konstruktion des Helden Batman beschäftigten, widmet sich im aktuellsten Band Hans-Joachim Backe den von Alan Moore und Dave Gibbons kreierten Watchmen. Genauer gesagt untersucht er die im Comic verwendeten Verweisstrukturen beziehungsweise Konstruktionsprinzipien und die daraus resultierenden Rezeptionsmöglichkeiten. Trotz dieser (notwendigen) Begrenzung der Untersuchung gelingt dem Autor ein vertiefter Einblick in die Graphic Novel, der verdeutlicht, wie komplex und einzigartig strukturiert das Gesamtwerk ist. (Der Titel Under the Hood stammt übrigens aus der im Comic veröffentlichten Autobiographie von Hollis Mason, der ersten Nite Owl).

Daran anknüpfend ist es durchaus ratsam, den Comic während der Lektüre von Under the Hood griffbereit neben sich liegen zu haben. Besser noch, ihn vorher erneut gelesen zu haben. Erst so kann man selbst den unterschiedlichen Deutungen und Interpretationen nachspüren, die Under the Hood präsentiert. Ein ums andere Mal werden einem wirklich die Augen geöffnet und man merkt, dass es sich lohnt Watchmen mit eingeschaltetem Verstand zu lesen.

Den Einstieg macht Hans-Joachim Backe mit einer Abgrenzung von Watchmen gegenüber sonstigen Superheldencomics, und inwieweit die Maxiserie über die traditionellen Archetypen des Genres hinausgeht und diese bewusst verzerrt. Insoweit der Comic auch als postmodern bezeichnet wird, folgt eine Klärung und Definition des Begriffes der Postmoderne. In der Einleitung erfolgt zugleich auch die Eingrenzung des Themas. Anhand der Motti der zwölf Kapitel (beziehungsweise Einzelhefte nach der ursprünglichen Veröffentlichungsweise) wird der Inhalt des Comics analysiert und aufgezeigt, wie durch ein System von vieldeutigen Zitaten innerhalb des Textes eine komplexe Verweisstruktur nachzuweisen ist.

Zuvor werden jedoch noch einige allgemeine Grundüberlegungen angestellt, die das Gesamtwerk betreffen. Dazu zählt unter anderem die Bedeutung von Zeichen innerhalb von Watchmen (insbesondere Bezug nehmend auf den Binnencomic). Auch die Darstellung von Zeit und Raum wird ausführlich erörtert. Besonders interessant sind dabei die Untersuchungen der verschiedenen Zeitebenen der einzelnen Kapitel und der Art und Weise des Panelaufbaus. Die dort aufgeführten Aspekte für die Verknüpfung von Panels können dabei allgemein und so auch für eine genauere Betrachtung anderer Comics angewendet werden. Bereits hier tauchen etliche Besonderheiten auf, die Watchmen selbst heute noch von allen anderen Comics unterscheiden und die zeigen, dass man es tatsächlich mit einem Meisterwerk zu tun hat.

Auch die einzelnen Figuren werden genau in den Blick genommen und ihre Widersprüchlichkeiten herausgestellt. Die Charaktere werden mit den Assoziationsmerkmalen ihrer Kostüme verglichen und der besondere Verweischarakter von Farben und Formen innerhalb des Comics dargestellt. Nach einer kurzen Erklärung, wie die Machart von Watchmen den Leser dabei anleitet, wie er den Comic zu lesen hat und ihn unbewusst beeinflusst (geradezu dirigiert), werden in den nächsten zwölf Abschnitten die Kapitel jeweils einzeln und anhand ihres Mottos interpretiert. Hierin liegt dann auch der Schwerpunkt von Under the Hood.

Entsprechend ihrer Bedeutung widmet sich der Autor den Kapiteln im Folgenden mit unterschiedlicher Gewichtung. Die Bandbreite der Mottos reicht von Passagen aus der Bibel, über Gedichtauszüge von William Blake und Songzeilen von Bob Dylan. Alan Moore verwandte auf die Benennung der einzelnen Kapitel genau soviel Sorgfalt, wie auf den Comic selbst, was ihre Bedeutung zusätzlich unterstreicht und von Hans-Joachim Backe zum Anlass genommen wird, die Interpretation von den Mottos aus zu beginnen. Auf die jeweiligen Schlüsse und Deutungen des Autors einzugehen, würde den vorliegenden Rahmen sprengen und der Versuch würde fragmentarisch bleiben, könnte man doch bloß einen minimalen Ausschnitt zeigen. Auf jeden Fall sollte man sich auf eine Reise gefasst machen, die von den Gestaden der Psychoanalyse eines C.G. Jung bis hin zu Fragen der Theodizee und der Existenz des Menschen einiges an Überraschungen bereithält.

Man fühlt sich wie in einen tiefer und tiefer treibenden Strudel aus Querverweisen, verdeckten Zitaten, Mehrfachdeutungen und Doppelbödigkeiten hineingezogen, je weiter man in Under the Hood voranschreitet. Zwischendurch kommt man tatsächlich ins Grübeln, ob etwas derartiges überhaupt bewusst von Menschen konstruiert werden kann. Aber das ist ja auch letztlich der Clou von Watchmen. Indem verschiedene Deutungsebenen überlagert und absichtlich Mehrdeutigkeiten sowohl sprachlich als auch graphisch erzeugt werden, gelingt es dem Comic ein Panoptikum an Assoziationen zu erschließen, die letztlich auch auf Fragen hindeuten, die heute weiterhin aktuell sind wie nie. Allmachtsphantasien, Ambivalenz von Moral, Geschlechterkonflikte, Individualismus/Selbstverwirklichung, Vergangenheitsbewältigung, Religion, die Liste ließe sich viel, viel weiter spinnen. Wie in einem Juwel bricht sich das Licht mit jeder neu eingenommenen Perspektive anders, was vor allem daran liegt, dass der Comic so ausgeprägt mit Symbolen arbeitet, die immer wieder in andere Kontexte gestellt werden und damit ihren Sinngehalt jedes Mal  hinterfragen.

Und kaum glaubt man, die Mottos erschöpfend hinter sich gelassen zu haben (nein, eigentlich kann man das nicht wirklich glauben), betritt man den zweiten Rahmen, der das Werk Watchmen umgibt. Denn der gesamte Text, alle zwölf Teile, sind abermals unter ein Meta-Motto gestellt. Das Zitat stammt aus Juvenal: Satiren und verknüpft den Inhalt des Comics mit der Lebenswirklichkeit des Lesers und verschiebt abermals den Fokus des bisherigen Textes. Zum Ende hin greift der Autor aus dem Bündel an Deutungsarten zwei exemplarisch heraus und stellt sie dem Leser genauer vor. Wenig verwunderlich ist Politik und Religion die erste aufgezeigte Lesart, während sich die zweite mit Nostalgie und Geschlechterdiskursen innerhalb vom Watchmen befasst. Als Epilog nimmt der Autor Blick auf die Nachfolgewerke von Watchmen, darunter natürlich der Kinofilm, aber ebenfalls die Klassiker Marvels und Kingdom Come. Hier wird erneut die bestehen bleibende Nachwirkung der Moore’schen Graphic Novel deutlich.

Man wird dem Autor der Studie Recht geben, wenn er sagt, Watchmen sei ein Text, der bei seiner ersten Lektüre sein volles Potential nicht entfalten kann. Auch Alan Moore räumte in einem Interview ein, den Comic so gestaltet zu haben, dass er vier bis fünf Mal gelesen werden müsse. Und wenn Moore selbst manche Deutung erst beim sechsten oder siebten Überlesen entdeckte, wird einem klar, was die beiden Briten damals im Jahr 1986 für einen Opus geschaffen haben, der mehr war als die Summe der kreativen Energie beider Schöpfer.

Es ist enorm, wieviel bei Watchmen bewusst konstruiert ist und auch die Dichte der Verweisungen und Assoziationen sucht seinesgleichen. Durch Under the Hood lernt man den Comic mit ganz anderen Augen zu sehen und erkennt, wie wertvoll er für das Genre ist. Nicht umsonst hat er so viele Auszeichnungen erhalten und ist als einziger Comic in der Liste der 100 besten Romane des Times Magazine vertreten. Bei allem Gerede und Streit um die Graphic Novel hat kein Comic diesen Titel mehr verdient, als Watchmen.

Soviel Under the Hood den aufmerksamen Leser bereichert, manchmal hätte das Lektorat etwas sauberer ausfallen können, finden sich doch an einigen Stellen vermeidbare Rechtschreibfehler. Ab und an mag man versucht sein, einen Blick in ein Lexikon zur Literaturwissenschaft zu werfen, um einige spezielle Ausdrücke nachzuschlagen. Größtenteils werden diese Begriffe aber vom Autor selbst erklärt und auch nicht im Übermaß angewendet. Die Arbeit wendet sich damit auch an ein fachlich nicht so versiertes Publikum, was jedoch nicht heißt, dass man sich nicht intensiv mit dem Text auseinandersetzen muss. Außerdem hätten ruhig mehr Bilder aus Watchmen zitiert werden können, da einige Erklärungen dadurch anschaulicher geworden wären. Aber wer den Comic bei der Lektüre ohnehin neben sich liegen hat, kann auch selbst nachblättern. Hat man dann ein wenig Gehirnschmalz, Zeit und Sitzfleisch parat, kann eigentlich nichts mehr schief gehen.

Nebenbei ist es eine besondere Freude in der Bibliografie unter anderem 100 Bullets und The Sandman neben Ovids Metamorphosen zu sehen. Wem es nach mehr gelüstet, für den stehen auch genug Sekundärtexte bereit.



Fazit:

Für wen Comics das tägliche Brot sind, der sollte die Studie Under the Hood wie einen guten Wein genießen. Wer weniger darum gibt, verpasst einen erstaunlichen Einblick in die eine und definitive Graphic Novel. Auch heute noch vermag Watchmen die Menschen zu faszinieren, ohne dass es in den letzten zwanzig Jahren an Aktualität verloren hat. Beinahe schon gespenstisch ... gespenstisch gut!





Under the Hood - Die Verweisstruktur der Watchmen - Klickt hier für die große Abbildung zur Rezension

Under the Hood - Die Verweisstruktur der Watchmen

Autor der Besprechung:
Alexander Smolan

Verlag:
Christian A. Bachmann Verlag

Preis:
€ 16,00

ISBN 13:
978-3-941030-10-7

153 Seiten

Bewertungen unserer Redaktion und unserer Leser

Positiv aufgefallen
  • kaum zu fassen, was man aus Watchmen alles herausholen kann
  • gründliche Untersuchung des Themas
  • für das Thema beinahe schon unanständig kurz und kompakt gefasst
Negativ aufgefallen
  • einige wenige Rechtschreibfehler
  • zwei oder drei mehr Bilder zur Veranschaulichung wären gut gewesen
Die Bewertung unserer Leser für diesen Comic
Bewertung:
1
(2 Stimmen)
Bewertung
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Rezension vom: 19.11.2010
Kategorie: Sekundärliteratur
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