McCay

McCay

McCay

Story:

Thierry Smolderen erzählt aus Windsor McCays Leben. Der Leser lernt den Schöpfer von „Little Nemo in Slumberland“ als einen wenig von seinen Talenten überzeugten Mann kennen. Und immer wieder fällt er aus der Realität in Traumwelten. Parallel dazu lernt er durch den mysteriösen Professor Hinton eine neue, vierte Dimension kennen, die nicht in der Zeit, sondern geometrisch definiert ist. Das Aufeinandertreffen seiner Träume mit der vierten Dimension hat so verheerende Folgen für die Psyche McCays, dass er den Kontakt zu Professor Hinton komplett abbricht. Jahre später, McCay verdingt sich mittlerweile als Zirkusmaler, geschehen eine Reihe von Morden in Chicago. Und nur der Zeichner kennt die Identität des Mörders.



Meinung:
Zunächst eine kleine Mitteilung an alle Graphic Novel Jäger: der vorliegende Band ist keine reale Biographie des außergewöhnlichen Zeichners McCay. Es ist vielmehr. 
Bereits das schöne Cover des Bandes gibt einen ersten Aufschluss darauf, was den Leser erwartet. Wir sehen einen gutgekleideten jungen Mann, der Betrachter ahnt schnell, dass es sich um McCay handelt, einen Gang entlangeilen. Allerdings steht der Gang Kopf, das heißt, McCay läuft auf der gewölbten Decke. Im Hintergrund blickt ein unfertiger Nemo um die Ecke und beobachtet den Zeichner beim Gehen. Seine Kleidung entspricht bereits der Version, die wir aus seinen Comics kennen, allerdings ist sein Gesicht nur ein weißer Fleck. 
Smolderen verwebt Fiktion und Realität auf das Beste: So ist es beispielsweise eine Tatsache, dass sich der britische Mathematiker Charles Howard Hinton u.a. mit der vierten Dimension befasst hat. Das ist unstrittig. Ebenso wie der Umstand, dass er versucht hat, diese graphisch festzuhalten. Allerdings völlig aus der Luft gegriffen ist die Behauptung, dass sich McCay und Hinton getroffen und ausgetauscht haben. Aber es passt einfach zu gut zu den Bildern McCays, dass sie sich kannten und so nimmt ihn Smolderen mit auf.
Eingefangen wird die Geschichte in den wundervollen, aquarellartigen Bildern von Jean-Philippe Bramanti, die bereits von dem 2010 erschienenen Band „Bob Dylan Revisited“ bekannt sind. Bramatis Zeichnungen passen deshalb so gut zur Geschichte, weil sie viel Platz für Phantasie lassen. Der Leser kann und muss sich vieles denken. Traumsequenzen wirken umso bedrohlicher, verworrener und intensiver, wenn der Leser die Lücken mit eigenen Versatzstücken auffüllen kann. Dabei ist sein Stil weit davon entfernt undeutlich avantgardistisch zu sein. Das Motto seiner Zeichnungen könnte lauten: Soviel Detail wie nötig, so viel Freiraum wie möglich.
Noch ein Wort zur Aufmachung: Ja, ich habe Little Nemo gelesen und geliebt. Aber vermutlich wäre ich über diesen Band nicht gestolpert, wenn er sich nicht in einer so bibliophilen Ausgabe präsentieren würde. Hardcover, eingestanzter, goldener Titel auf dem Frontcover, stabile Bindung, handliches Format und dabei noch einige redaktionelle Zusatzseiten, beispielsweise einem Portfolio, bestehend aus 24 imaginären Titelbildern, die die Erzählung von A bis Z abdecken und den Eindruck vermitteln, der Comic sei zunächst als Fortsetzung erschienen. Das einzige was vielleicht fehlt, ist im redaktionellen Teil ein biographischer Abriss von McCay. So tappt der unkundige Leser oftmals im Dunkeln. Aber vielleicht ist das ja mal wieder eine Gelegenheit sich mit der realen Biographie eines der größten Comickünstler zu beschäftigen. 



Fazit:
Traum, Comic und reale Biographie werden in diesem Band zu einem wundervollen Knäuel verwoben, bei dem der Leser akribisch den einzelnen Fäden der Geschichte folgen muss, um den Überblick zu behalten. Kenntnisse von „Little Nemo in Slumberland“ sind dabei definitiv von Vorteil. Als Musik empfehle ich Pink Floyd „Ummagumma“